Student mit "Schmiss"-Narben am Kopf löst Ärger aus
Ein studentischer "Schmiss" wird Thema im Parlament: Am Dies Academicus vergangenen Jahres stellte die Basler CVP-Grossrätin Gabriele Stutz-Kilcher fest, dass ein Student eine Narbe offen zur Schau stellte, die er sich in einem traditionellen akademischen Gefecht zugezogen hatte.
Basel, 5. Februar 2008
"Dies hat mich sehr betroffen gemacht", so Gabriele Stutz (Bild) gegenüber OnlineReports. In ihrem eben eingereichten Vorstoss bezeichnet sie die Tatsache, dass in der heutigen Zeit jemand daran Gefallen finden könne, "sich solchen Taten mit schwerwiegenden Folgen auszusetzen", als "absolut unverständlich". In ihrem Vorstoss fordert sie die Regierung implizit auf, diese alte studentische Fecht-Tradition zu verbieten. Auf die Frage von OnlineReports, welcher Studentenbewegung dieser junge Mann angehöre, und ob es sich bei dieser Narbe tatsächlich um einen so genannten "Schmiss" - als Folge eines Fechtkampfes ("Mensur") - handle, reagierte die Grossrätin zurückhaltend.
Doch Cyril Andenmatten, Fecht-Chargierter der Studentenverbindung "Helvetia" bestätigte auf Anfrage die Vermutungen der Volksvertreterin: "Ja das war einer von uns." Die Narbe in der Haarpartie sei noch frisch gewesen und habe wegen den sichtbaren Nähten "schlimm" ausgesehen.
Kämpfe hinter verschlossenen Türen
Bei den Mensuren handle es sich um eine "legale Tradition", die seit dem 19. Jahrhundert gepflegt werde. Diese Kämpfe "hinter verschlossenen Türen" seien "freiwillig" und bezweckten Disziplin und Selbstbeherrschung. Die Interpellation der Grossrätin bezeichnet der akademische Fechtleiter deshalb als "absurd". Strafrechtlich gesehen sei eine Mensur kein Offizialdelikt, da sie zu keinen schweren Körperverletzungen führe. Die Form des studentischen Kampfes sollte, so Andenmatten, "relativiert" werden, da auch andere Sportarten zu Verletzungen führen könnten. Lediglich Backe oder Kopfhaut könnten getroffen werden. Andenmatten: "Es handelt sich dabei nicht um einen Renomier-Schmiss." Im Gegenteil: "Verletzungen sollen vermieden werden".
Anders als im Sportfechten, werde bei einer akademischen Mensur keine Stoss-Waffe, sondern eine Hieb-Waffe ("Schläger" oder "Rapier") benutzt. Es handle sich um eine "ehrenvolle Angelegenheit", bei der es weder einen Sieger noch einen Verlierer gebe. "Sportsgeist existiert dabei nicht – eine Mensur ist ein festgelegtes Zeremoniell", erzählt Andenmatten.
Auf die Frage von OnlineReports, ob es sich bei den Kämpfen um ein patriarchalisches Getue handle, antwortete der Fechter: "Nein eigentlich nicht. Natürlich wird mit Würde und Stolz gefochten - und wenn man einen Schmiss davon trägt, ist man ein Leben lang gekennzeichnet – doch im Allgemeinen ist diese Narbe etwas Negatives."
Selbstverstümmelung seien "gesetzeswidrig"
Grossrätin Gabriele Stutz kann dieser Form studentischer Zeremonien gar nichts abgewinnen. Grundsätzlich halte sie "solche Körperverletzung als Selbstverstümmelung und somit gesetzeswidrig". Sie halte es "für inakzeptabel, dass Parlament und Regierungsvertreter durch ihre Anwesenheit bei einem Festakt, an dem solche Körperverletzungen zur Schau getragen werden, diese mehr als antiquierten Männervorstellungen gewisser Studentenkreise dulden sollten".
In ihrer Interpellation fragt die Politiker die Regierung, ob sie bereit sei, darauf Einfluss zu nehmen, dass künftig solche Aktionen im Kanton Basel-Stadt unterbleiben. Auch will sie von der Exekutive wissen, ob sie bereit sei, durch ihre Vertreter im Universitätsrat "dahingehend Einfluss zu nehmen, dass künftig keine Teilnehmer von Mensuren in einer offiziellen Funktion am Dies Academicus teilnehmen dürfen".
In Basel gibt es sieben Studentenverbindungen, von denen zwei schlagend sind – also einmal pro Semester eine Mensur durchführen.
"Unbeholfene Ignoranz"
Vom Studentenfechten und seinem Sinn/Unsinn kann man halten, was man will. Es als Ausdruck des "Bösen", als "Gewaltverherrlichung" oder gar als "nationalistisch" zu bezeichnen, zeugt von der gleichen unbeholfenen Ignoranz, welche man hier den schlagenden Verbindungen unterstellt. Erschreckend ist vor allem, wie leicht auf Grund eines Rituals das Pauschalurteil über Studentenverbindungen im Allgemeinen von der Hand geht. Gabriele Stutz kann ich nur empfehlen, sich persönlich über studentische Traditionen zu informieren.
Unabhängig davon entsteht kein Schaden für Dritte beziehungsweise für die Allgemeinheit, insofern sollen diese Herren hinter ihren Türen tun und lassen, was sie wollen.
Matthias Annen, Oberbipp
"Keine Last für die Allgemeinheit"
Ernsthafte Verletzungen sind beim Studentenfechten ausgeschlossen. Der Körper ist gut geschützt und die Hiebwaffen, mit denen gekämpft wird, sind ungefährlich. Einen kleinen Schmiss kann es ab und zu geben, von "Selbstverstümmelung" kann jedoch keine Rede sein. Der stets anwesende Arzt entscheidet bei einer Verletzung über den Abbruch der Partie. Die medizinische Versorgung ist gewährleistet und fällt keiner Krankenkasse oder gar der Allgemeinheit zur Last.
Wir achten darauf, dass nur zur Mensur zugelassen wird, wer hundertprozentig (mental und physisch-technisch) dazu bereit ist.
, Präsident der Altherrenschaft Akad. Turnerschaft Alemannia Basel, Basel
Schlagende Pointe für Schnitzelbänkler"
Das Frau Grossrätin Stutz Zeit hat sich mit den "sichtbaren" Folgen von Mensuren zu beschäftigen, zeigt eindeutig dass sie entweder unterbeschäftigt ist - oder damit rechnet, zur "schlagenden Pointe" der
diesjährigen Schnitzelbänggler zu werden. "D'Striggedde" wird sich schon die Hände reiben ob soviel Naivität.
Es grüsst ein ehemaliger "nicht akademischer" Fechter:
Claude Mutz, Arisdorf
"Der Gesetzgeber und das Böse"
Genau: Wichtig ist vor allem, dass der Gesetzgeber endlich durchgreift. Schliesslich bekommen wir das Böse nur mit konsequenten Verboten in den Griff!
Baschi Dürr, (noch nicht verboten), Basel
"Wer zahlt, wenn es den plastischen Chirurgen braucht?"
Abgesehen davon, dass ich solches Tun als absolut sinnlos und vor allem vorsintflutlich erlebe, plädiere ich dafür, dass die Teilnehmer vollumfänglich für allfällige gesundheitlichen Folgen aufkommen müssten. Es kann ja nicht sein, dass wir BürgerInnen, welche sich um eine einigermassen vernünftige und damit gesunde Lebeshaltung bemühen, auch noch via Kranken- resp. Unfallkassen für die Folgekosten solcher "Spiele" aufkommen müssen.
Als Arztgehilfin weiss ich, dass das schnell ins Geld gehen kann. Falls nämlich später einem dieser "Herren" die Eitelkeit in die Quere kommt, wird garantiert nach dem plastischen Chirurgen gerufen und dann landen wir schnell mit Gesamtkosten im vierstelligen Bereich. Aber eben: auf wessen Buckel?
Brigitte Wenger Sahin, Basel
"Es gibt wichtigere Rituale"
Offensichtlich gehört es immer noch zum "heterosexuellen" Imponiergehabe, dass sich Männer untereinander schlagen, während Küsse als "widernatürlich" gelten. Selbstverständlich ist es auch strafbar, wenn Männer und Frauen sich gegenseitig solche "ehrenhaften" Wunden zufügen. Ich denke, es gibt wichtigere Rituale - gerade für Studierende -, um eine Rangordnung zu etablieren.
Peter Thommen, Schwulenaktivist, Basel
"Diese alten Zöpfe gehören abgeschnitten"
Dass Dummheit nicht vor Intelligenz halt macht, beweisen die "schlagenden Studentenverbindungen". Mir persönlich kann es egal sein, wenn sich Spätpubertierende in Mensuren Mutproben hingeben - das gehört bei vielen Jugendlichen zum Erwachsenwerden dazu. "Jack Ass" lässt grüssen.
Was mehr stört, ist die patriarchale Gewaltverherrlichung und der gestrige Ehre-Ritus dieser Burschenschaft, der dem Geist des letzten Jahrtausends entspricht. Mit der Devise "Vaterland, Freundschaft, Fortschritt" und der nationalistischen Tradition wird in organisierten Biergelagen einem längst vergangenen Standesdünkel nachgehangen.
Wenn wir Gewalt und Ehrenhändel bei Ausländern ablehnen, sollten wir gefälligst auch vor der eigenen Haustür den Besen in die Hand nehmen und diese alten Zöpfe endlich abschneiden. Darum haben solche peinlichen und unwürdigen Zurschaustellungen an offiziellen Anlässen nicht stattzufinden. Oder beehrt die Regierung etwa auch Hooligan-Treffs?
Daniel Kobell, Basel
"Hauptsache man kommt in der Presse"
Gratuliere! Zum Glück für Euch habt Ihr offensichtlich keine anderen Sorgen. Was kommt als nächstes? Kaugummiflecken am Boden (Touristen bleiben aus!) in der Innenstadt oder zu viele Velo mit rostigen Ketten auf der Strasse (Verunreinigungs-Gefahr des Grundwassers). Es gibt noch viele Themen. Man muss nur zu viel Zeit haben, dann kommen Ideen, dass es "chlöpft"! Hauptsache man kommt in der Presse. Gibt es wirklich keine anderen Probleme?
Werner Wagner, Muttenz