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Front gegen "Kahlschlag im Heimatschutz"
Wenn die Initiative des Zürcher Freisinns zur Abschaffung des Verbandsbeschwerde-Rechts angenommen wird, wird die Identität der Schweiz nicht mehr sein, was sie war und ist. Umweltschutz-Organisationen der Region Basel kämpfen vehement für ein Nein am 30. November.
Basel, 14. Oktober 2008
Nicht weniger als acht regionale Organisationen (Bild) traten heute Dienstagmorgen in Basel vor die Medien, um für ein Nein zur Zürcher FDP-Volksinitiative zu werben. Insgesamt ist die Nein-Front aber noch viel grösser: 20 Verbände - so gut wie jede Umweltschutzorganisation - die gesamthaft 30'000 bis 50'000 Mitglieder vertreten, bilden in beiden Basel eine breite Allianz gegen "Kahlschlag im Natur- und Heimatschutz" (so der Slogan).
"Eine der wichtigsten Volksabstimmungen"
Es geht um eine eidgenössische Volksinitiative der Zürcher Freisinnigen, die nach dem Hickhack um den Zürcher "Hardturm"-Neubau das Beschwerderecht der Verbände in Fragen des Heimat-, Natur- und Umweltschutzes abschaffen möche. Am 30. November stimmt das Volk über diese Forderung ab. Für die Umwelt- und Heimatschützer handelt es sich um "eine der wichtigsten Volksabstimmungen" in jüngerer Zeit, wie Urs Chrétien, Geschäftsführer von "Pro Natura Baselland" bekräftigte: "Das Verbandsbeschwerderecht ist existenziell." Würde es abgeschafft, wäre dies schon bald am Gesicht der Schweiz sichtbar: "Die Qualität der Planung würde sinken, politische wäre es ein ganz falsches Signal", erklärten die Initiativen-Gegner.
"Aus Wut", so Chrétien, sei das Volksbegehren entstanden, "aber Wut macht blind". Das Verbandsbeschwerde-Recht sei ein "urliberales Recht", dem auch Freisinnige zu Gevatter gestanden hätten. "Nie" habe belegt werden können, das Verbände dieses Recht missbraucht hätten. Thomas Schwarze von "Pro Natura Basel-Stadt" bezeichnete dieses Beschwerderecht als eine 40-jährige "Erfolgsgeschichte". Laut Jost Müller Vernier, Geschäftsführer des WWF Region Basel, kann die Verbandsbeschwerde kein Vorhaben verhindern, sondern "nur eine Überprüfung veranlassen".
Hohe Erfolgsquote
Dies ist nach Meinung der Umwelt- und Heimatschützer dort nötig, wo staatliche Bewilligungsbehörden ein Auge zudrücken und ökologische Bausünden zulassen, die vor dem Recht nicht standhalten. Laut Schwarze zeige die "hohe Erfolgsquote", dass die beschwerdeberechtigten Organisationen ihr "sehr zurückhaltend wahrgenommenes" Recht "wohl überlegt" anwenden: Zwischen 1996 und 2003 seien 63 Prozent der Einsprachen vom Bundesgericht ganz oder teilweise gutgeheissen worden. Als Beispiele erfolgreicher Interventionen auf nationaler Ebene nannte er das Aletschgebiet und die Lavaux, die das Prädikat als Unesco-Weltnatur- und Weltkulturerbe zugesprochen hielten, oder den Schutz der Ticino-Mündung in der Magadino-Ebene.
Susanne Brêchet Schönthal, die Geschäftsführerin des Basellandschaftlichen Natur- und Vogelschutzverbandes, lieferte regionale Belege für konstruktive Einsprachen: Den Zonenplan Landschaft in Biel-Benken (Verbreiterung der Uferschutzzone am Birsig von drei auf sechs Meter), Schutz des Dübachtals in Rothenfluh (Verzicht auf Waldstrasse im Naturschutzgebiet), Auenschutz in Brislach beim Bau der Transitgasleitung (Ersatzmassnahmen und Ausgleichszahlungen), Ziegelei Oberwil (Schutz von Amphibien und Brutvögeln), ehemaliger Rangierbahnhof der Deutschen Bahn in Basel (Erhaltung der Ruderalflächen). Die grüne Nationalrätin Anita Lachenmeier verwies als Präsidentin ds VCS beider Basel auf den Erfolg vor Verwaltungsgericht im Fall der unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Planung des Prattler Gewerbeareals "Grüssen".
In Basel-Stadt sei es dem gut ausgebauten Beschwerderecht des Heimatschutzes zu verdanken, dass das Bundesgericht im den Fällen Badischer Bahnhof, Küchlin-Theater und Füglistaller-Haus an der Freien Strasse in seinem Sinn entschieden habe, betonte Geschäftsführer Paul Dilitz. Bei einem Ja zur Initiative bestünde "die Gefahr, dass es Kreise im Kanton geben wird, die an den kantonalen Beschwerdelegitimationen rütteln möchten".
"Beschwerderecht wird nicht abgeschafft!"
Die Gegner der Verbandsbeschwerderechts-Initiative operieren mit unsachlichen und unlauteren Methoden. In grossflächigen Inseraten schreiben sie von der Abschaffung dieses Beschwerde-Rechts. Die Initiative, über die wir am kommenden Sonntag abstimmen, will einzig und allein die bisherigen Missbrauchsmöglichkeiten eindämmen. Von einer Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts kann überhaupt keine Rede sein. Natur- und Umweltschutzverbände werden auch in Zukunft ein Rekursrecht gegen Bauvorhaben haben. Doch künftig müssen sie davon frühzeitig Gebrauch machen und nicht erst dann, wenn über ein solches Bauprojekt demokratisch entschieden worden ist. Es geht darum, dass VCS oder Greenpeace in Zukunft demokratisch gefällte Bewilligungen nicht mehr missbräuchlich unterlaufen können. Deshalb sage ich Ja zur Initiative zum Verbandsbeschwerderecht.
Urs Berger, Landrat, Aesch
Heutiges Recht bietet einen Freipass"
Wir alle kennen die über 40-jährige Leidensgeschichte der Umfahrungsstrasse H2. Wiederholt wurden demokratisch gefällte Volksentscheide nachträglich wieder durch Einsprachen und Beschwerden in Frage gestellt, ja praktisch zunichte gemacht. Es war ein langer, mühsamer und vor allem sehr kostspieliger Prozess, bis mit dem Bau dieses für unseren Kanton wichtigen Verkehrsprojektes endlich begonnen werden konnte. Das heutige Verbandsbeschwerderecht respektive die darin enthaltenen Missbrauchsmöglichkeiten gehören just in dieses traurige Kapitel. Das heutige Recht bietet quasi einen Freipass für private Organisationen und Verbände, unliebsame Projekte unter Missachtung aller demokratischen Spielregeln zu verzögern, zu blockieren, ja letztlich zu verhindern. Nicht nur aus wirtschaftspolitischer Sicht, sondern vor allem auch aus Respekt vor demokratisch zustande gekommenen Entscheiden muss dieser unhaltbare Zustand endlich korrigiert werden. Damit demokratische Entscheide nicht mehr ausgehebelt werden können, müssen wir am 30. November der Volksinitiative zum Verbandsbeschwerderecht ohne Wenn und Aber zustimmen.
Christoph Buser, Füllinsdorf
"Nicht die Partei reichte die Initiaitve ein"
Die Initiative zur Einschränkung des Verbandsbeschwerderechtes wurde nicht von der Zürcher FDP eingereicht, sondern von einem freisinnigen Initiativekomitee unter der Führung des damaligen Geschäftsführers der FDP des Kantons sowie deren damaliger Präsidentin. Ein demokratischer Beschluss über Wortlaut und Lancierung wurde weder vom damaligen Vorstand der FDP des Kantons Zürich noch von der Delegiertenversammlung beschlossen. Richtig ist nur, dass aus Gründen der Parteiräson die 50 Prozent anwesenden Delegierten eine Ja-Parole mit einer Mehrheit von zwei Fünfteln beschlossen haben. Ob alle, die so gestimmt haben, auch ein Ja in die Urne legen, muss sich erst noch weisen.
Gabriela Winkler, Oberglatt ZH
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