© Foto by Peter Knechtli, OnlineReports.ch
Wir Schweizer – Ihr Deutsche: ein interkultureller Knigge
St. Blasien, 28. Dezember 2022
Entlang des Rheins, vom Bodensee bis Strassburg, existieren zahlreiche grenzüberschreitende Gremien wie beispielsweise die Regio Basiliensis, die Oberrheinkonferenz, der Oberrheinrat oder die Hochrheinkommision. Alles löbliche Institutionen, nur sind sie im Bewusstsein ihrer Bevölkerung so gut wie nicht verankert.
Das spricht nicht a priori gegen sie (auch wenn sie sich gelegentlich wirkungsvoll zum Volk begeben sollten), und auch nicht gegen ihre Arbeit. Seit Monaten liegt ein Hochrhein-"Issue" (Ueli Maurer) in unserer Pendenzenliste, dem wir uns in den politisch passiven Festtagen unbedingt annehmen möchten. Denn es geht alle an. Deutsche und Schweizer: Die "Achtung Fettnäpfchen"-Kolumne im Jahresbericht der Hochrheinkommission.
Fokus auf der Schweiz
Wir Nordschweizer kultivieren ja unser eigenes Bild von "den Deutschen", auch den Schwaben (obschon wir ja Alemannen sind) – und umgekehrt. Wir sind auf eine Art gleich und auf eine andere Art anders. Das wird in grenzüberschreitenden Kontakten sogleich spürbar (auch wenn wir uns mögen).
Besagter Jahresbericht der Hochrheinkommission hat sich der "kleinen und grossen Stolpersteine im Umgang miteinander" angenommen und auf etwas zugespitzte Art auf "interkulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz" hingewiesen.
Ganz interessant, was die in St. Blasien domizilierte Kommission in ihrem "Teil 1: Fokus Schweiz" an Unterschieden herausgearbeitet hat.
Beispiel 1: Der "Ton" am Telefon
Telefonat in der Schweiz | Telefonat in Deutschland |
Tunnelbau Fricktal AG, Thöni am Apparat. Wie darf ich Ihnen helfen? | Brückenbau Hochrhein AG, Müller am Telefon. Wie kann ich Ihnen helfen? |
Guten Tag Frau Thöni, hier spricht Inglin von der Rheinfall AG in Neuhausen. | Guten Tag, hier Meier von der Firma Schwab. Ist die Frau Warmbrunn zu sprechen? |
Guten Tag Herr Inglin. | Ja, einen Moment bitte, ich verbinde. |
Guten Tag Frau Thöni. Frau Thöni, dürfte ich Herrn Frei einmal sprechen? | Besten Dank und einen schönen Tag. |
Gern, Herr Inglin. Wenn Sie bitte einen Moment warten könnten, verbinde ich Sie gerne. | Danke, Ihnen auch, tschüss. |
Besten Dank, Frau Thöni. | |
Gerne, Herr Inglin. Aufwiederhören und einen schönen Tag. | |
Vielen Dank, Frau Thöni. Ade und ebenfalls einen schönen Tag. | |
Empfehlung zu Beispiel 1: Der gute Ton am Telefon
Möchte man etwas von seinem Gegenüber, ist das ein Wunsch, der erfüllt werden kann – oder auch nicht. "Wie darf ich Ihnen helfen oder dürfte ich Herrn Inglin sprechen." Mit dieser indirekten Formulierung drückt der Fragende Respekt und Höflichkeit aus.
PAUSE NACH DEM ERSTEN SATZ:
Wenn sich der Anrufer in der Schweiz vorgestellt hat, folgt immer eine Pause. Diese nutzt der Angerufene, um den Anrufer persönlich zu begrüssen "Guten Tag, Herr Inglin".
NAMEN NUTZEN
In der Schweiz benutzt man den Namen viel häufiger als in Deutschland. Dadurch kann das Gespräch persönlicher und verbundener wirken.
BITTE UND DANKE
Die Höflichkeitsformen gehören natürlich auch in Deutschland zum guten Ton. In der Schweiz werden sie im Zweifel aber lieber einmal zu viel als zu wenig verwendet.
AUFWIEDERHÖREN – UND NICHT TSCHÜSS
Auch telefonisch gilt, dass die Grussformel zum Abschied "Ade", "Aufwiederhören" oder dergleichen lautet; "Tschüss" verwenden Schweizer nur, wenn man per Du ist bzw. eine engere Freundschaft pflegt.
Beispiel 2: Vorsicht bei Kritik!
Deutsche drücken sich im Vergleich zu Schweizern häufiger direkt, punktgenau und oft auch hart aus. Dies kann von einem Schweizer als persönliche Beleidigung empfunden werden und wäre für die weitere Zusammenarbeit eher hinderlich.
Beispiel:
Ein deutsch-schweizerisches Team plant eine grenzüberschreitende Veranstaltung. Ein Teammitglied reagiert wenig auf Anrufe und liefert die erwarteten Planungen nicht zum vereinbarten Termin, obwohl es mehrfach daran erinnert wird. Wie sehen mögliche Reaktionen einer Projektleitung aus Deutschland oder aus der Schweiz aus?
Kritik einer Schweizer Projektleitung | Kritik einer deutschen Projektleitung |
Frau Müller, besten Dank für die Ausführungen zum Projektstand am letzten Treffen. Wir freuen uns über unsere gemeinsame Veranstaltung und würden nun gerne den nächsten Schritt gehen. Dürfte ich mich erkundigen, bis wann die entsprechenden Unterlagen bei uns eingehen könnten? | Frau Müller, wir haben Sie bereits mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass wir die Unterlagen bis Mitte des Monats brauchen. Wir warten immer noch darauf, wo liegt das Problem? |
Beispiel 3: "Tschüss!"
Weshalb sagt man in der Schweiz nicht jedem "Tschüss"?, fragen sich die Fettnäpfchen-Forscher, die wissen, dass das in Deutschland anders ist. Die Antwort:
Tschüss ist als Verabschiedungsformel in der Schweiz zwar gebräuchlich, aber vor allem im privaten und freundschaftlichen Umgang. Benutzt man es im beruflichen Kontext, kann es in der Schweiz anecken, frei nach dem Motto: "Wieso sagt der jetzt Tschüss zu mir, so gut kennen wir uns doch noch nicht." Im professionellen Umgang werden Sie in der Schweiz daher vor allem mit "Ade", "Auf Wiedersehen" oder Französisch inspiriert mit "Adjöö!" verabschiedet werden.
Beispiel 4: Der Freund als Kollege
Und noch etwas Weiteres ist im Verhaltens-Vergleich aufgefallen: "Freunde" betiteln die Schweizer übrigens gerne auch als "Kollegen", was in Deutschland wiederum für Verwunderung sorgen kann. Denn dort benutzt man das Wort "Kollegen" üblicherweise nur im Sinne des "Arbeitskollegen".
Beispiel 5: Das Ausrufezeichen
Dieses Beispiel richtet sich offensichtlich an unsere deutschen Nachbarn, falls sie nicht begreifen, dass sich die Schweizer ungern herumkommandieren lassen: Seien Sie sparsam mit "!" Ausrufezeichen. Diese könnten auf Schweizer aufdringlich und befehlend wirken. Verwenden Sie "!" am besten nur, wenn man sich gut kennt.
Hier würden wir gern präzisieren, dass das "!" auch unter Freunden für schlechte Stimmung sorgen kann – ausser, es sei wirklich als Ausruf oder zur Ironie-Unterstreichung gedacht für den Fall, dass die Ironie nicht als solche verstanden werden könnte.
So oder so: Wir freuen uns auf "Teil 2: Fokus Deutschland".
Weiterführende Links:
- Sie schreiben Communiqués – ohne zu kommunizieren