Das Neujahrs-Gedicht von Hansjörg Reinau-KrayerBinningen, 29. Dezember 2022Wir freuen uns, unseren Leserinnen und Lesern erneut einen poetischen Leckerbissen präsentieren zu dürfen. Autor des Gedichts ist der Binninger Hansjörg Reinau–Krayer. Er war Spezialist für alte Sprachen und ehemals Latein- und Griechischlehrer am Basler Kohlenberg-Gymnasium. Viel Spass!
Anmerkung für Nicht-Eidgenossen: Beim Ueli handelt es sich um Ueli Maurer (SVP), unseren Finanzminister, der zusammen mit Simonetta Sommaruga (SP) aus dem Bundesrat zurück trat; Maurers Nachfolger wurde Albert Rösti; auf Sommaruga folgte überraschend die Jurassierin Elisabeth Baume-Schneider, die die Favoritin aus Basel, Eva Herzog, bei der Wahl knapp schlug; sie hält in ihrem Heimatdorf einige Schwarznasenschafe; das Marzili ist das unterhalb des Bundeshauses an der Aare gelegene Freibad.
Wer dachte, 's würde dieses Jahr viel besser, als das letzte war, hat leider früh schon registriert, dass er sich gründlich hat trompiert. Zwar schwächte sich des Virus Kraft allmählich ab, es schien geschafft der Turnaround, die Masken schwanden, man konnte wieder Küsse landen und fühlte endlich weit und breit von einem Albtraum sich befreit. Doch währte leider nicht sehr lang die Freude, weil bald zu uns drang die Botschaft, dass des Neo-Zaren Legionen auf dem Wege waren nach Kiew, überzeugt, der Krieg werd' bringen einen leichten Sieg.
zum Glück geirrt, doch sorgenfrei, man würde gern davon berichten, ist man am Dnipro noch mitnichten, und auch der Westen schielt voll Sorgen auf morgen und auch übermorgen. Dass nur noch spärlich zu uns fliesst aus Russland Gas, hat uns vermiest die Stimmung: kommt jetzt bald die Zeit, in der man warm duscht nur zu zweit, wenn überhaupt, und kaum mehr heizt die Wohnung, weil Herr Putin geizt? Es scheint, als ob die freie Welt sich hätte selbst ein Bein gestellt; zerknirscht muss sie sich eingestehen, dass Wunder selten nur geschehen: durch Handel wandeln lässt sich kaum ein Potentat, das bleibt ein Traum. Wir steh'n vor einer Zeitenwende, manche Gewissheit ist zu Ende. Zu Ende ist auch, was man gern nicht überall vernimmt, für Bern das altbewährte Abseitsstehen, Sich-Winden, Wursteln und Sich-Drehen: was früher oft von Vorteil war, erweist sich heute sternenklar in höchstem Masse als blamabel und auch nicht mehr als praktikabel. Auch wenn man's nur ganz schwer verdaut: Rosinenpickerei ist out. Statt zu verharren, würd' sich's lohnen, Valet zu sagen Illusionen. Es haben im Verlauf des Jahres auch festgestellt bei sich "Das war es" einige VIPs, wobei die meisten aus freien Stücken nicht verreisten. In London hat die Nummer Zehn der Downing Street nicht lang geseh'n von innen Boris Wuschelkopf; man warf ihn raus, den blonden Zopf, zu früh, wie er ganz ernsthaft fand, für ihn – und vorab für sein Land. Es solle alles besser werden, im Kingdom erst und dann auf Erden, versprach, auf sie, da sei Verlass, vollmundig bald darauf Liz Truss. Kaum waren ausgepackt die Koffer, wurden die Töne immer schroffer: die Steuern, vorab oben, sollten erheblich sinken, doch es wollten, weil sie die Börse sah'n rotieren, nicht viele dies Rezept probieren. Schon kurz darauf gab es ein "Peng" und schon war weg Kwasi Kwarteng, und Liz liess hör'n "I shall resign, ich pack' die Koffer wieder ein". Selbst Larry irritiert das Treiben: "Will keiner mehr hier länger bleiben", miaut der Kater, tief betroffen; die Antwort bleibt vorerst noch offen. Frau Truss liess hör'n zutiefst frustriert, dies wäre Xi niemals passiert; kein Ruf erschallt auf Hinterbänken von Leuten dort, die anders denken; dem Steuermann wird applaudiert, entfernt wird, wer nicht gleich pariert. Weit länger hielt in ihrer Hand die Zügel fest in Engeland eine ganz and're Liz, die Queen, die siebzig Jahr' mit Disziplin die Krone trug ganz bis zuletzt, bevor sie ging; innig hofft jetzt die ganze Regenbogenpress', und steht gewaltig unter Stress, dass es die Briten niemals wagen, ihre Monarchen zu verjagen. Gegangen ist, darob ist froh in Brüssel keiner, Mario: dort fragt, nachdem die Lazzaroni sich an den Busen von Meloni geworfen haben, man sich bang, ob es die EU gibt noch lang.
Nicht minder aber fragt sich auch, ob nicht, es ist ja dort so Brauch, auch Georgias Tage sind gezählt und ob man nicht bald wieder wählt. Am Wahltag ging er früh zu Bett, er fand es überhaupt nicht nett, dass man als Boss ihn nicht mehr wollte, weshalb der Bolsonaro grollte; vielleicht erholt dank Lula bald sich der geschund'ne Regenwald, und Covid, falls es rekurriert, wird nicht mehr "Grippchen" tituliert. Weil man in Evdoxias Wohnung viel Bargeld fand, gab's keine Schonung: nie mehr wird singen die Sirene aus Hellas auf Europas Szene.
Leine gezogen hat auch einer, der provoziert hat wie sonst keiner, in Bern: Weil er "kä Luscht" mehr hatte an der politischen Debatte, verschwand der Schweizer Kassenwart, der Ueli, der so gerne spart. Gar mancher fragt sich, sieht man ihn vermehrt nun mit den Trychlern zieh'n? Dass ihn ersetzt ein Albert Rösti, bezeichnen manche hier als "s'Gröschti". Wird Rösti einst gleich aestimiert wie Röschti, hat er reüssiert. Das Handtuch warf auch Simonetta; sie fuhr auf ihrer Bicicletta unlängst zum allerletzten Mal beschwingt zum Palais fédéral; statt dass die SVP sich heut' darüber ausgelassen freut, ist sie im Innersten frustriert, weil sie ihr Lieblingsziel verliert. Am Rheinknie war man guter Dinge, dass es der Eva nun gelinge, die Simonetta zu beerben, doch es misslang trotz allem Werben: auf's nächste BR-Reisli geht statt Eva jetzt Elisabeth und im Marzili werden grasen wohl Schafe bald mit schwarzen Nasen. Besonders schwer ist zu verdauen sowohl für Männer wie für Frauen Helvetiens eine Mutation: des Alpenlandes grösster Sohn gab jüngst, es ist noch kaum zu fassen, bekannt, er werd' es künftig lassen, zu dreschen über's Netz den Ball: ein echter Katastrophenfall für unser Land, wir fühl'n uns leer, weil künftighin kein Roger mehr als Sieger uns zu Siegern macht, heroisch kämpfend in der Schlacht, geachtet in der ganzen Welt. Nun sind wir, ganz auf uns gestellt ohne den King, es ist zum Weinen, für alle wiederum die Kleinen. Es herrscht in und um Teheran seit Jahren schon ein schlimmer Wahn: es könnte die Moral zerfallen, säh' man der Frauen Haare wallen; wer den Hidschab nur leicht verschiebt, ist beim Regime höchst unbeliebt, mehr noch: sein Leben ist bedroht. Es wären angesichts der Not, die viele dort schon lange leiden, selbst wenn sie, wie verlangt, sich kleiden, nicht nur die meisten Perser froh, verschwänden Khamenei und Co., und, es entspräch' so mancher Bitt', sie nähmen alle jene mit, die anderswo terrorisieren ihr Volk und sich um's Recht foutieren.
Mehr Zeitenwende ginge nicht, es gäb' den schönsten Jahresb'richt. Ist diese Hoffnung zu verwegen? Noch spricht wohl allzu viel dagegen. Zieht man Bilanz in diesen Tagen, gibt's leider Grund genug zum Klagen. Nichtsdestotrotz: wir bleiben heiter und machen unverdrossen weiter. Noch steht, auch wenn ihr droht Gefahr, die Welt zum Glück: Prosit Neujahr! |
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