Muslimische Schwimm-Verweigerer zu Recht gebüsst
Basel, 12. August 2011
Das Basler Erziehungsdepartement büsste muslimische Eltern zu Recht, die sich weigerten, ihre beiden Töchter im Alter ab sieben und neun Jahren in den obligatorischen Schwimmunterricht der Primarschule zu schicken: Das Basler Verwaltungsgericht wies den Rekurs ab, den ein Elternpaar muslimischen Glaubens gegen die vom Erziehungsdepartement im Juli letzten Jahres verhängten Bussen von jeweils 350 Franken pro Elternteil und Kind erhoben hatte.
Beim Elternpaar handelt es sich um den Scharia-Befürworter Aziz Osmaloglu, der durch radikal-islamische Aussagen in einem Dok-Film des Schweizer Fernsehens Aufsehen erregt hatte, und dessen Ehefrau.
Vor allem gestützt auf die neueste Rechtsprechung des Bundesgerichts erkannte das Basler Gericht in Bezug auf die Verpflichtung der Eltern, ihre Töchter vor der Pubertät in den schulischen Schwimmunterricht zu schicken, keinen Verstoss gegen die verfassungsmässig garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Die nach Verfassung und Gesetz bestehende obligatorische Schulpflicht bedeute einerseits, dass Eltern verpflichtet sind, ihre Kinder zur Schule zu schicken, und andererseits, dass alle Kinder das Recht auf angemessene Schulbildung haben, schreibt das Verwaltungsgericht in einer Medienmitteilung. Dazu gehöre auch der Turnunterricht, einschliesslich des Schwimmunterrichts, der in Basel bis zum Ende der Primarschule, also bei Kindern vor der Pubertät, grundsätzlich gemischtgeschlechtlich stattfindet.
Wortlaut der Medienmitteilung
Die weitere Begründung des Gerichts im Wortlaut:
"Es besteht ein grosses öffentliches Interesse daran, dass alle Kinder, also auch kleine Mädchen muslimischen Glaubens, den schulischen Schwimmunterricht besuchen. Dabei geht es nicht bloss um die sportliche Betätigung und die Möglichkeit, schwimmen zu können, sondern vor allem auch darum, dass durch den Sportunterricht an den Schulen generell die Sozialisierung und Integration der Kinder gefördert wird. Auch kann eine Chancengleichheit von Kindern, deren Eltern aus dem Ausland stammen, und speziell solchen Mädchen, nur dann erreicht werden, wenn diese an allen Teilen des Unterrichts teilnehmen. Aus diesem Grund war es für das Verwaltungsgericht auch nicht wesentlich, dass die betroffenen Kinder in der Zwischenzeit einen privat organisierten, durch die Sozialhilfe finanzierten Schwimmunterricht besucht haben.
Die Pflicht der Eltern, auch solchen muslimischen Glaubens, ihre Töchter im Primarschulalter in den gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht zu schicken, wurde auch deshalb bejaht, weil im Hinblick auf das geltend gemachte Schamgefühl geeignete Massnahmen getroffen werden können. So können die betroffenen Mädchen z.B. Ganzkörperbadeanzüge tragen. Auch hat die Schule dafür zu sorgen, dass Mädchen und Knaben getrennte Umkleideräume und Duschen benutzen können.
An dieser Beurteilung hat das Gericht auch unter Berücksichtigung des Rechts der Eltern auf religiöse Erziehung ihrer Kinder festgehalten. Dazu hat es ausgeführt, dass Eltern, die ihre Kinder auf eine öffentliche Schule schicken, den dort geltenden Lehrplan akzeptieren müssen und nicht unter Hinweis auf ihr Erziehungsrecht gewisse Veranstaltungen oder Fächer für ihre Kinder als unzumutbar erklären können. Zudem haben die staatlichen Schulen den Auftrag, eine egalitäre Gesellschaft zu fördern und Mädchen und Knaben vor der Geschlechtsreife nicht vorzeitig in ihre Geschlechtsrollen zu drängen. Auch können die Eltern nicht verlangen, dass ihre Kinder vollständig von fremden Glaubensbekundungen, kulturellen Ansichten oder aufgeklärten gesellschaftlichen Lebensweisen ferngehalten werden. Diesbezüglich weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass bei Emigration in einen anderen Staat zwar keine Preisgabe der Religionsfreiheit verlangt werden kann, jedoch generell gewisse Einschränkungen und Änderungen der Lebensgewohnheiten in Kauf genommen werden müssen.
Letztlich offen gelassen hat das Verwaltungsgericht, wie weit die Ablehnung der Rekurrenten, ihre Töchter am gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht teilnehmen zu lassen, überhaupt religiös begründet war. Immerhin hatten die Eltern im Verfahren keine Koranstelle nennen können, welche explizit die zwingende Trennung von Mädchen und Knaben vor der Geschlechtsreife vorschreibt, und sich unspezifisch auf ihre "Gewissenssensibilität" berufen. Dazu hat das Gericht unter Hinweis auf einschlägige Literatur bemerkt, dass Vorstellungen, wonach weibliche Ehre nur durch absolute sexuelle Keuschheit und Reinheit zu bewahren sei, für einen Grossteil der mediterranen – auch nicht muslimischen – Gesellschaften (sogenannte "honour and shame societies") charakteristisch seien und die zugrunde liegenden patriarchalischen Grundmuster selbst in westeuropäischen Gesellschaften noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts vorherrschend gewesen seien."
Vom Gericht freigesprochen
Osmanoglu, Sekretär der "Muslimischen Gemeinde Basel", war letzten September durch das Basler Strafgericht vom Vorwurf der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen und zur Gewalttätigkeit freigesprochen worden. Die Appellation der Staatsanwältin ist noch hängig.
Weiterführende Links:
- Basler Scharia-Befürworter Aziz Osmanoglu freigesprochen
- Tier-Vergleich: Klage gegen radikale Islamisten
- Kein Strafverfahren gegen Imam, aber gegen Sekretär
- Anklage gegen Moslem-Sekretär Aziz Osmanoglu
- Protest und Appellation gegen Osmanoglu-Freispruch
"Tatsächlich durch die Sozialhilfe finanziert?"
Ich kann mir fast nicht vorstellen, das ich der Einzige bin, der sich an folgendem Satz aus dem Gerichtsurteil stösst: "Aus diesem Grund war es für das Verwaltungsgericht auch nicht wesentlich, dass die betroffenen Kinder in der Zwischenzeit einen privat organisierten, durch die Sozialhilfe finanzierten Schwimmunterricht besucht haben." Oder verstehe ich etwas falsch?
Heinrich Heusser, Basel