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"Drüben" einkaufen? Das meinen Kandidierende
Liestal/Basel, 15. September 2011
Der Baselbieter Finanzdirektor Adrian Ballmer hat die dringend nötige Debatte über die Frage des Einkaufens im günstigeren Euro-Land ins Rollen gebracht. Kann man von Dreiländereck und Regio-Gedanken sprechen und es beim Einkaufen meiden? Anderseits: Wie sollen einheimische Gewerbebetriebe Lehrlinge ausbilden können – und letztlich überleben –, wenn ihre Kundschaft vom günstigen Euro profitiert und "drüben" einkauft. OnlineReports holt Stimmen von Nationalratskandidatinnen und -kandidaten aus beiden Basel ein zur Frage: "Welche Einkaufs-Praxis jenseits der Grenze im Euro-Land halten Sie für richtig und vertretbar?"
Weitere Meinungen aus dem Kreis der Kandidierenden sind sehr willkommen – ebenso Leserreaktionen. Die Übersicht wird laufend ergänzt.
| Dagmar Jenny CVP BS | "Bei uns hier in Basel umfasst der regionale Gedanke auch die Gebiete jenseits der Landesgrenze. Insofern ist "drüben" einkaufen etwas Naheliegendes. Ich persönlich kaufe gerne Bekleidung in Deutschland, weil mir als grossgewachsener Frau die deutschen Kleidergrössen besser sitzen."
| | Gerhard Schafroth GLP BL | "Die Grünliberalen stehen für einen offenen Markt – auch über die Grenzen. Ökologisch ist der Einkaufs-Grenztourismus jedoch unsinnig. Die Initiative 'Energie- statt Mehrwertsteuer der Grünliberalen' verteuert den Verkehr und senkt die inländische Konsumsteuer, ist also ein sinnvolles Instrument um den Einkaufs-Grenztourismus zum Nutzen von Gewerbe und Arbeitnehmern zu reduzieren."
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| Franz Saladin FDP BL | "Ich kaufe nie 'drüben' ein. Als liberal denkender Mensch finde ich aber, dass jeder diese Entscheidung für sich fällen und die Verantwortung für sein Tun selbst tragen muss."
| | Beatrice Isler CVP BS | "Wie viele Vor-Schreibende kann auch ich die Einkaufenden mit schmalem Portemonnaie verstehen. Ich kaufe aber aus Prinzip schon seit Jahren nur in meiner engsten Umgebung ein und meide die grossen Einkaufszentren, welche nur mit dem Auto erreichbar sind. Denn irgendwann bin ich alt, kann nicht mehr Auto fahren, habe Mühe mit einkaufen und bin froh, wenn die Läden in erreichbarer Distanz von meinem Wohnort aus all diese Krisen überlebt haben."
| | Dieter Spiess SVP BL | "Einkaufstourismus war schon immer ein Thema. Bei der Betrachtung einer längeren Zeitachse können wir von einer ausgeglichener Bilanz sprechen. Die aktuelle Situation ist allerdings dramatisch und unvergleichbar. Immerhin haben zwischenzeitlich verschiedene Fabrikanten / Importeure / Agenturen die Einkaufspreise auch in der Schweiz nach unten angepasst. Der inländische Detailhandel kann demzufolge auch die Verkaufspreise senken. Die Situation hat sich somit wesentlich entschärft. Aus meiner Sicht sollten Einkäufe im nahen Ausland die Ausnahme bleiben."
| | Markus Lehmann CVP BS | "Persönlich gehe ich auch heute nicht im Euroland zum Einkaufen. Ohne 'Heimatschutz' zu betreiben sollten wir, sofern es finanziell einigermassen vertretbar ist, in der Schweiz einkaufen, aber der Entscheid ist letztendlich den Konsumenten überlassen. Die Preise müssen bei uns sinken, Währungsgewinne sollten weitergegeben werden, denn, über kurz oder lang bringt die aktuelle Situation Konkurse und Arbeitslose. Ich hoffe, die Interventionen der Nationalbank bringen eine Beruhigung und einen steigenden Euro."
| | Daniel Münger SP BL | "Da Einkaufen oft eine Frage des Portemonnaies ist, müssen alle KonsumentInnen für sich selbst beantworten wo sie einkaufen. Allerdings muss die Politik sich fragen, ob die Rahmenbedingungen in der Schweiz noch stimmen und wo Handlungsbedarf besteht. Persönlich scheue ich den Aufwand, im Ausland einzukaufen."
| | Beat Jans Nationalrat SP BS | "Es ist nicht Aufgabe von Politikern den Leuten ins Gewissen zu reden. Ihre Aufgabe ist es die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass sich richtiges Verhalten lohnt. Mit Kartellgesetzrevision, mehr Kompetenzen für Preisüberwacher und Wettbewerbskommission muss die Politik künftig sicher stellen, dass Währungsgewinne an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben werden. Persönlich habe ich noch fast nie jenseits der Grenze eingekauft. Seit der Währungskrise nie."
| | Patricia von Falkenstein LDP BS | "Üblicherweise kaufe ich alles bei uns in Basel ein. Wenn die Preisunterschiede bis zu, oder sogar über 50 Prozent liegen, überlege auch ich mir im Ausland einzukaufen, trotz aller Liebe zu Basel und zur Schweiz. Bei allem Verständnis für den Detailhandel finde ich es legitim – nicht nur für Familien und Menschen mit schmalem Geldbeutel – gewisse Produkte im Ausland einzukaufen."
| | Daniel Stolz FDP BS | "Ich verstehe die Sorgen des Gewerbes sehr gut. Sie sind durch den starken Franken unverschuldet in Bedrängnis geraten. Ich verstehe aber auch die Konsumentinnen und Konsumenten gut, wenn sie sich marktwirtschaftlich verhalten und die günstigeren Preise nutzen. Das muss jeder selber verantworten. Mit Appellen ist aber beiden nicht geholfen. Wichtiger ist, dass die politische Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank verteidigt wird damit sie ihren Job machen kann. Eine erste Schlacht im Währungskrieg ist gewonnen – aber noch nicht der Krieg."
| | Christoph Eymann LDP BS | "Ich verstehe die Sorge des Gewerbes, es ist nicht einfach, zweistellige Prozentzahlen an Umsatzrückgang zu verkraften. Ein Verband ist deshalb veranlasst, dies zu thematisieren. Wenn aber die Konsequenz sein soll, dass Schweizerinnen und Schweizer ausschliesslich ihr Geld in der Schweiz ausgeben sollen und dieser Inlandschutz auch von anderen Ländern befolgt würde, wären Basel und die Schweiz Verlierer, wegen der starken Exporte von Basel und der Schweiz nach Deutschland, wegen des Ausbleibens der deutschen Feriengäste in der Schweiz etc. Partnerschaft über die Landesgrenzen hinweg besteht aus einem Geben und Nehmen und dies ist auf einer längeren Zeitachse zu betrachten."
| | Tanja Soland SP BS | "Grundsätzlich ist es dem Gewissen jedes Einzelnen überlassen, wo sie oder er einkauft. Ich finde die Beachtung von ökologischen oder fair trade-Bedingungen wichtiger als die Staatsgrenze. In der Umgebung - was in Basel auch Ausland heissen kann - einkaufen, ist auf jedenfall vertretbar."
| | Elisabeth Augstburger EVP BL | "Ich kaufe praktisch nie jenseits der Grenze ein. Für mich als Politikerin ist es sehr wichtig, das Gewerbe in der Region zu stärken, damit diese Läden 'überleben' können. Ich setze mich für die Region und ihre Anliegen ein. Das betrifft aber auch den Einkauf vor Ort."
| | Sebastian Frehner Nationalrat SVP BS | "Es ist klar, dass günstigere Preise im Ausland Schweizer Konsumenten anziehen. Es ist unverständlich, wenn Produkte über 70 Prozent teurer sind in der Schweiz. Oft lassen sich die höheren Preise aber bspw. durch höhere Lohnkosten und die Euroschwäche begründen. Deshalb muss es jeder Konsument mit seinem eigenen Gewissen vereinbaren, ob er im Ausland einkauft oder nicht. Ich jedenfalls gehe für Einkäufe nicht nach Deutschland und hoffe so, unseren Detailhandel in dieser schwierigen Situation zu unterstützen. Ich erwarte aber auch, dass Währungsgewinne durch Beschaffungen im Ausland an die Konsumenten weiter gegeben werden."
| | André Auderset LDP BS | "Auch in Basel gibt es viele Familien, die jeden Rappen dreimal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben. Diesen ist es nicht zu verdenken, wenn sie die Sparmöglichkeiten jenseits der Grenze ausnützen. Wer es sich aber leisten kann, sollte sich bei jedem Einkauf überlegen, ob er nicht besser das hiesige Gewerbe stützen will, welches für einen guten Service und ein umfassendes Angebot in unmittelbarer Nähe sorgt und seine Steuern zu unserem Gemeinwesen beiträgt."
| | Georg Gremmelspacher CVP BL | "Ich selber kaufe fast nur in der Schweiz ein. Zumindest bei Lebensmitteln finde ich den Aufwand (Autokosten, Zeit) zu hoch. Bei anderen Produkten wie Möbeln etc. mag dies anders sein. Ich denke aber, jeder soll einkaufen wo er will. Uns wurde lange genug das Lied von der 'freien Marktwirtschaft' gesungen und erklärt, 'der Markt soll‘s richten'. Und jetzt wo die Konsumenten einmal Vorteile haben, soll dies plötzlich nicht mehr gelten?"
| | Elisabeth Schneider-Schneiter Nationalrätin CVP BL | "Meine Einkäufe tätige ich in der Region, weil ich regionale Produkte und auch den lokalen Detailhandel schätze und fördere. Konsumenten, welche es sich leisten können, sollen in der Region einkaufen. Auf der anderen Seite kann Kostenbewusstsein den Menschen nicht übel genommen werden, vor allem, wenn es um existenzielle Fragen geht."
| | Regina Rahmen SP BS | "Den zunehmend vielen Haushalten mit schmalsten Budgets kann man keinen Vorwurf machen, dass sie für das wenige Geld möglichst viel bekommen möchten. Würden die Währungsgewinne weitergegeben, sähe es wohl etwas besser aus. Und hat sich vor der Euro-Schwäche jemals jemand darüber aufgeregt, dass so viele deutsche Autofahrer ihr Benzin 'ökosteuerfrei' und billig in der Schweiz einkauften?"
| | Peter H. Müller BDP BL | "Die wirtschaftlich unberechtigte Differenz zum Euro lässt viele Schweizer-Milliarden in die Taschen von bockigen Grosskonzernen fliessen. Die Konsumenten erreichen mit diesem Einkaufstourismus mehr als mit schönen Worten. Solange für die Schweiz obligatorisch höhere Preise fixiert werden, wird es Einkaufstourismus geben. Ich werde mich im Nationalrat für eine Verschärfung des Wettbewerbsgesetzes und eine völlige Einkaufsfreiheit der Schweizer Firmen von Produkten aus dem EU Raum einsetzen."
| | Helmut Hersberger FDP BS | "Wenn wir die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ernst nehmen, dann dürfen wir nicht protektionistische Massnahmen verlangen, wenn wir in einem Bereich nicht oder zuwenig konkurrenzfähig sind. Dies gleicht sich hoffentlich in einem anderen Bereich wieder aus. Unsere badischen und elsässischen Freunde werden hoffentlich die gewonnene Kaufkraft zum Konsum in der Innenstadt nutzen."
| | Anita Lachenmeier Nationalrätin Grüne BS | "Ich kaufe ausschliesslich in meinem Wohnquartier ein. Das Angebot ist vielfältig und das Velo als Transportmittel ideal. Das Problem des Einkaufstourismus, jedoch auch der Besuch der Schoppingzenter in der Schweiz, sehe ich vor allem beim produzierten Verkehr. Ob es billiger ist im Ausland oder in Grosszentren einzukaufen, bezweifle ich, da auch 'Unnötiges' leicht im Kofferraum landet."
| | Balz Stückelberger FDP BL | "Wir leben in einer freien und globalisierten Welt, da soll jeder dort einkaufen, wo es auch ihm passt. Aber man muss sich der Konsequenzen bewusst sein, die es haben kann, wenn man im Ausland einkauft. Ich selber erledige meine Einkäufe wenn immer möglich in Arlesheim, schon allein wegen der Zeitersparnis und aus ökologischen Gründen. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich es mir auch leisten kann, beim Detaillisten in Arlesheim einzukaufen. Ich verstehe aber jede Familie mit knappem Budget, die den Eurovorteil nutzt, das ist doch legitim."
| | Maya Graf Nationalrätin Grüne BL | "Jenseits der Grenze einzukaufen wäre mir und meiner Familie noch nie in den Sinn gekommen. Wir haben auch für Sanierung und Umbau unserer Wohnung ausschliesslich lokales Gewerbe beschäftigt und sind mit der Qualität und dem Preis sehr zufrieden. Wer im Ausland im grossen Stil einkauft, gefährdet die Existenz von Bauernfamilien und Gewerbe in der Region und somit auch Arbeitsplätze und Qualität!" |
Weiterführende Links:
- Auch Finanzdirektor Adrian Ballmer kauft "drüben" ein
"Warum die hiesigen Verkaufsläden berücksichtigen"
Wieso soll ich die hiesigen Verkaufsläden berücksichtigen, wenn ein Grossteil des Personals aus dem Elsass oder vom grossen Kanton kommt? Auch im Dorfladen reden vielleicht nicht alle Schweizerdeutsch. In der Industrie ist der Ausländeranteil noch höher und somit werden jährlich Milliarden an Lohnsummen ins Ausland transferiert und dort ausgegeben. Was soll man denn dazu sagen? Entwicklungshilfe vielleicht?
Heinz Mattmüller, Pratteln
"Protest gegen überteuerte Schweizer Preise"
Von der Politik erwarte ich, dass sie dem Wirtschaftsraum des Drei-Länder-Ecks Rechnung trägt und sich in Bern für die Belange der Grenzregion aktiv einsetzt. Die seit Jahren überteuerten Preise in der Schweiz, jetzt dem tiefen Euro in die Schuhe schieben zu wollen, sind reine Nebenpetarden, die weder den Konsumenten, noch dem Gewerbe und dem Detailhandel etwas nützen. So ist zum Beispiel der Käse seit Jahrzehnten ennet der Grenze, dank Exportsubventionen erstens wesentlich billiger und auch von wesentlich besserer Qualität. Da wird von Bern und dem Bauernverband aus das "Lädeli" in der Landschaft "beschissen" und die Gewinne sacken derweil die Funktionäre ein.
Ich wünsche mir, dass alle unsere Nationalrats-Kandidierenden ihren normalen Einkauf in Frankreich und Deutschland machen und anschliessend die Preise und die Qualität vergleichen. Mit höheren Lebenskosten, Ladenmieten und Löhnen oder gar dem Eurokurs sind die oft markanten Unterschiede kaum zu erklären.
Unsere Politiker sollten sich für das lokale Gewerbe und den Handel einsetzen, ohne neue Zölle, Gesetze und Auflagen für die KMU zu beschliessen, sondern endlich an die Wurzeln des Übels gehen, nämlich die zum Teil "realsozialisitschen" und "oligarchen" Preisabsprachen und Handelseinschränkungen aktiv bekämpfen. Darum ein Lob all den kleinen Unternehmen, die Kartelle mit Büchsenbier, Direktimporten und fairem Handel unterwandern.
Die Konsumenten und KMU stimmen beim Einkauf aktiv mit den Füssen ab. Der Einkauf im Ausland wird immer mehr zu einem Protest gegen die überteuerten Schweizer Preise und eine gescheiterte EU-Politik.
Daniel Kobell, Basel
"Und die Euros an unserer Herbstmesse?"
Ich frage mich echt, was diese Diskussion überhaupt soll. Selbstverständlich kauft man (auch ich) dort ein, wo es attraktiv ist; dabei spielen die Preise eine grosse Rolle, aber nicht nur. Wir leben nun mal in einer von Grenzen durchzogenen "Regio"; mit all ihren Vor- und Nachteilen. Wenn dann in Bälde die Elsässer und Badenser ihre Euros an unserer Herbstmesse "verbraten", haben wir schliesslich auch nichts dagegen. Und ich erinnere mich auch, dass an den Basler Weihnachtsmärkten und den anderen vorweihnachtlichen Einkaufsorgien nicht nur Baseldytsch gesprochen wird.
Peter Waldner, Basel
"Ich gehe halt auch ..."
Ich gehe halt auch zum Zahnarzt nach Lörrach; erstens weil er top ist, zweitens weil der Empfang badensisch heimelig ist und drittens, weil der Arzt Positionen-Rechnungen erstellt und keine überrundeten Pauschalen macht, was heisst, dass eine professionelle Zahnreinigung mit 80 Euro 87 Cents verrechnet wird. Bei der Gelegenheit mit der bequemen S6 ab Bahnhof SBB alle halbe Stunde gehe ich nach den Zahnbohrungen erlöst in die Eisdiele, auf den schönen Markt, wo der Schnaps beifuss am Kartoffelsack steht, in die Metzgerei, wo die arg freundliche Bedienung nach weiteren Wünschen mit der für unsereiner ungewöhnlichen Floskel "Und ausserdem?" fragt; schliesslich in den Buchladen, wo ein Reiseführer etwas mehr als die Hälfte wie im Hochpreisland Schweiz kostet. Zuhause kann man ja noch täglich genug im unpersönlichen Supermarkt bei kaum ansprechbaren Verkäuferinnen seine Tagesration posten oder beim Begg um die Eck das Brot eines Basler Pfünderlis wie in Paris noch warm unter den Arm klemmen!
Jürg Erni, Basel
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