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"Bis zur komplexen Chromatik": Parsifal-Darsteller Rolf Romei
Ein keuscher Parsifal und eine sündige Kundry
Nach 34 Jahren wird Richard Wagners "Parsifal" vom jungen Kölner Regisseur Benedikt von Peter in Basel neu inszeniert
Von Jürg Erni
Der Schaffhauser Tenor Rolf Romei verkörpert und singt den Parsifal in der Neuinszenierung von Richard Wagners gleichnamigem Bühnenweih-Festspiel mit Premiere am 3. April. Ein "welthellsichtiger" Vorausblick auf das über fünfstündige Mammut-Werk.
"1. Akt ab Schwan, dazu Taube". Der tierische Titel steht am schwarzen Brett des Bühneneingangs und sagt den Mitwirkenden der letzten Bühnenproben zum "Parsifal", wo's lang geht. Wagners Opus summum zieht sich in die Länge einer über fünfstündigen Dauer, so dass die Bühnenproben unterteilt werden mussten. Zu seiner "himmlischen Länge" sei's angesagt: Der erste Aufzug dauert fast zwei Stunden, der zweite und dritte Aufzug je über eine Stunde, je nachdem, welche Tempi der Gastdirigent Axel Kober, Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf, anschlägt.
Es gibt zwei Möglichkeiten, das epische Musikdrama unbeschadet zu überstehen: Man schläft ein, oder man wird desto hellwacher, je länger der Abend dauert und lässt sich von der Wagner'schen Muse küssen wie der Novize Parsifal, der nach Kundrys langem Kuss "Welthellsichtigkeit" erfährt. Die Frau als Erlöserin, die als bekehrte Büsserin Maria Magdalena dem Erleuchteten die Füsse salbt und sich von ihm taufen lässt.
Mehrfach hat Wagner die erlösende und schöpferische Kraft der Liebe am eigenen Leib erfahren, besonders intensiv, als er während der Entstehung seines letzten Musikdramas in Zürich mit der Gattin seines Gastgebers in der Villa Wesendonck ein inniges Verhältnis einging.
"Durch Mitleid wissend, der reine Tor"
Seinen ersten Parsifal verkörpert der gebürtige Schaffhauser Tenor Rolf Romei. In Basel ist er kein Unbekannter, hat er doch auf der Grossen Bühne schon den Mozartschen Belmonte, den Gounodschen Faust, den Maler in Bergs "Lulu", zuletzt den Chevalier in Poulencs "Les Dialogues des Carmélites" gesungen.
Zur Parsifal-Partie ist es für den Sänger mit dem langen Haarschopf, der auf dem Trottinett zur Probe ins Theater rollt, ein Quantensprung. Keusch ist der Held wie sein Rollenträger. Romei debütiert nicht nur als Parsifal, er hat das Bühnenweih-Festspiel selber weder gehört noch gesehen. Nachdem er sich in die Welt der vertrackten Intervalle und der verzweigten Harmonien in zweimonatiger Probenzeit eingelebt hat, ist er gewappnet für die Partie im Zwischenfach von Lyrik und Dramatik, die ihm, wie er sagt, "stimmlich gut" liege.
Ewig während ist schon die Erzählung des alten Gralsritters Gurnemanz zur Entstehung der Wunde des Gralskönigs Amfortas, die der Zauberer Klingsor mit dem königlichen Speer geschlagen hat, nachdem sich Amfortas von Kundry verführen liess. Der namenlose Held soll erst die Erlösung bringen. Amfortas' Verheissung lautet verschlüsselt: "Durch Mitleid wissend, der reine Tor, harre sein', den ich erkor." Der ungestüme Wildschütz im Knabenalter macht sich mit dem Erlegen eines heiligen Schwans schon mal ganz unbeliebt und wird deswegen von Gurnemanz gescholten. Auf die Frage nach seiner Herkunft weiss er dreifach nichts zu antworten. Der Vater hiess Gamuret, die Mutter Herzeleide. Des Namenrätsels Lösung verkündet Kundry.
Der zentrale Kundry-Kuss
Ob Parsifal dem heidnischen Zauberweib widersteht, was für sie erst die sehnliche Erlösung brächte, erweist sich im zweiten Aufzug, da Kundry erstmals seinen Namen ausspricht: "Fal parsi - tör'ger Reiner" oder vom literarischen Vorwurf, Wolfram von Eschenbachs Rittersage "Parzival" abgeleitet, "Per-Se-Val" (Durchdringender). Nach den Verführungen der Blumenmädchen lädt auch Kundry "in leicht verhüllender Kleidung, annähernd arabischen Stiles" (Szenenanweisung) Parsifal erotisch auf. Es kommt zum zentralen Kundry-Kuss. In dem Moment, so sieht es wenigstens Rolf Romei, trifft Parsifal eine eigene Entscheidung. Er erinnert sich jählings der unheilbaren Wunde des Amfortas und stösst die Verführerin von sich.
Im dritten Aufzug vollzieht sich die Bekehrung zum christlichen Glauben. Gurnemanz verkündet den "Karfreitagszauber". Der wiedergewonnene Speer heilt Amfortas' Wunde; der Gral wird enthüllt. "Aus der Kuppel schwebt eine weisse Taube herab. Kundry sinkt langsam vor Parsifal entseelt zu Boden" (letzte Szenenanweisung).
Eine neue Figur am Bühnenrand
Das von der Langsamkeit der Feierlichkeit getragene Gesamtkunstwerk verlangt von den Mitwirkenden bis zum Chor der Ritter und Knappen ein Höchstmass an Konzentration und Ausdauer.
Der junge Kölner Regisseur Benedikt von Peter steuert einiges zur eigenen Ausdeutung bei, indem er die kürzeste Partie des alten Gralskönigs Titurel zur längsten macht. Dieser verfolgt als "Autor" und Double die weiteren Protagonistenrollen von Anfang bis Ende. Besonders nahe steht der Komponisten-Autor dem verwundeten Amfortas.
Die beiden Partien sind mit schwarzen Sängern besetzt: mit dem gerade 70 Jahre alt gewordenen Allan Evans und mit Alfred Walker, den man in Basel als Fliegenden Holländer in bester Erinnerung hat. Benedikt von Peter spiegelt dazu seine eigene Zwillingsbruderschaft, wie sie auf dem "Parsifal"-Plakat optisch stark dokumentiert ist. Er lässt die symbiotische Beziehung im Glaubenssatz "Ich bin bei mir" auflösen.
Die verrückteste Partie ist diejenige der Kundry, die sängerisch wie darstellerisch alles abverlangt. Die Bernerin Ursula Füri-Bernhard steht nicht nur mit festen Füssen auf dem Bühnenboden ihres schweren Fachs, sondern wird die Partie mit dem Schrei der Verzweiflung wohl auch stimmlich verkraften. Die längste Partie, den Gurnemanz, übernimmt der chinesische Bass Liang Li.
Unendliche Melodien und Leitmotive
Wagners glühende Musik schwelgt in der unendlichen Melodie, die nie abbricht. Ganze zehn Minuten dauert allein das Vorspiel, das die für Wagner typischen Leitmotive vorwegnimmt, diese Signale, die eine Person, ein Gefühl begleiten und die einzeln und eng ineinander verwoben omnipräsent sind. Orchestral aufgeladen ist die Musik besonders bei den "Verwandlungen", als Höhepunkt im "Karfreitagszauber". Die Harmonien changieren von der erhabenen Einfachheit eines Dreiklangs bis zur komplexen Chromatik im Reich der Kundry und ihres Chefs Klingsor.
Ein toter, weisser Schwan begleitet Parsifals ersten Auftritt. Am Schluss schwebt ein weisser Täuberich leibhaftig von der Bühnenkuppel herab. Schwan und Taube überspannen den Bogen einer fünfstündigen Verzauberung. Wer Längen liebt, muss hingehen; wer Kurzweil sucht, lässt es lieber bleiben.
30. März 2011
"Handlung jetzt einigermassen klar"
Als Vertreter der Knabenkantorei Basel, welche für die Aufführungen rund vierzig Knaben zur Verfügung stellt, war ich bisher in zahlreichen Proben dabei und der mir bisher eher fremde "Wagner" wurde mir musikalisch immer vertrauter und drang bis dato tief
in meine Seele ein, wie ich es bei Bach und Mozart noch nicht erlebt habe. Dank dem Artikel von Herrn Erni ist mir nun auch die nicht ganz einfache
Handlung einigermassen klar. Vielen Dank - ich freue mich auf die Premiere.
Stephan Schöttli, Knabenkantorei Basel, Basel