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Den Bürgerlichen kommt die sozialpolitische Kompetenz abhandenDas Nein zur BVG-Reform und das Ja zur 13. AHV-Rente zeigen: Vor allem die Freisinnigen haben sich von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern entfernt. Die Analyse. Von Thomas Gubler Der Einfluss der Bürgerlichen in der Sozialpolitik schwindet fast so rasant wie das Gletschereis. Nicht nur auf Bundes-, sondern mitunter auch auf kantonaler Ebene, wie die chancenlose Opposition von FDP und SVP gegen die Revision des Baselbieter Gesundheitsgesetzes am 22. September gezeigt hat. Diese sieht einen Zulassungsstopp für bestimmte Ärzte als Massnahme gegen explodierende Krankenkassenprämien vor.
Länger andauernde Krise
Es sind dies nur die jüngsten Beispiele. Die Krise in der schweizerischen Sozialpolitik dauert schon länger. Im Jahr 2010 scheiterte die 11. AHV-Revision schon in der Schlussabstimmung der eidgenössischen Räte. Durch die Anhebung des Frauen-Rentenalters auf 65 konnten 800 Millionen Franken gespart werden. Der Bundesrat wollte damit den Vorruhestand zur Hälfte finanzieren. Die Linke beanspruchte dafür die ganze Summe, während die SVP den gesamten Betrag zur Sicherung der AHV einsetzen wollte. Durch das Nein von SP und SVP fiel die Vorlage durch. Der FDP-nahe Arbeitgeberverband wäre eigentlich für die Lösung des Bundesrats gewesen.
Frühere bürgerliche Kapazitäten
Blicken wir zurück in die 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Da konnten die Freisinnigen im Parlament noch auf wahre sozialpolitische Kapazitäten zählen, die nicht nur bürgerliche Sozialpolitik betrieben, sondern auch dafür sorgen konnten, dass durch sorgfältiges Austarieren Vorlagen "gezimmert" wurden, die vor dem Volk bestanden.
Linker Machtzuwachs
Demgegenüber hat die Linke, und innerhalb dieser insbesondere die Gewerkschaften, ihren Einfluss in der schweizerischen Sozialpolitik nicht nur erhalten, sondern sogar ausbauen können. Dabei beruht ihre Stärke allerdings, wie die letzten Abstimmungen gezeigt haben, zu einem schönen Teil auf der Schwäche der Bürgerlichen – insbesondere der Freisinnigen. Der 13. AHV-Rente haben nämlich auch zahlreiche bürgerlich gesinnte Stimmbürgerinnen und -bürger zugestimmt. Und ebenso haben viele die BVG-Reform abgelehnt.
Gespür verloren
Die Folge davon ist, dass die einstige staatstragende Partei, quasi die Gründerpartei des schweizerischen Bundesstaates, zu einer Interessenorganisation der Wohlsituierten, um nicht zu sagen der Reichen, geworden ist. Eine Klientel mit Gehältern und Boni in teilweise astronomischer Höhe hat jedoch möglicherweise nicht das nötige Verständnis oder Gespür für die Sorgen derjeniger, die unter steigenden Mieten und explodierenden Krankenkassenprämien leiden. Und sie versteht vermutlich auch nicht, dass man Ja sagt zu einem Zulassungsstopp für Fachärzte und dadurch zu einer Beschränkung des liberalen Grundprinzips der Handels- und Gewerbefreiheit, nur um vielleicht ein paar Franken Prämien zu sparen.
Bürgerliches Vakuum
Das alles sind schlechte Voraussetzungen, um die schweizer Sozialpolitik deblockieren zu können. Soll jedoch auf der einen Seite der Sozialstaat nicht ausufern, sondern massvoll und bezahlbar sein, andererseits aber auch ein gerechter sozialer Lastenausgleich gewährleistet bleiben, dann braucht es das bewährte Kräftespiel zwischen den Sozialpartnern. Nur so können austarierte und mehrheitsfähige Vorlagen entstehen, die letztlich die soziale Gerechtigkeit gewährleisten.
Dieser Beitrag wurde ermöglicht dank des OnlineReports-Recherchierfonds.
11. Oktober 2024
"Dem Almosen- und Nachtwächterstaat zugewandt" Stimmt, der Einfluss der bürgerlichen Parteien FDP und SVP auf die Sozialpolitik schwindet. Das ist zum einen nicht schlimm und zum anderen nur logisch. Die beiden Parteien haben zu gesellschaftlichen und sozialpolitischen Fragen schon lange keine befriedigenden, zielführenden Antworten mehr. Die FDP war schon immer eher dem Almosen- und Nachtwächterstaat zugewandt als einem Sozialstaat, der diesen Namen verdient. Aktuell fällt dieser Partei nichts anderes ein, als Stimmung gegen beeinträchtigte Kinder zu machen. Thomas Zysset, Bolligen "Wess Brot ich ess – dess Lied ich sing" Warum den bürgerlichen Parteien respektive deren politischen Exponenten das "Fingerspitzengefühl" in Sachen Sozialpolitik abhandengekommen ist, dürfte klar sein, wenn man weiss, dass zum Beispiel etwa 90 Prozent der Mandatsträger beim Bund und in den Kantonen Lobbyisten sind, die natürlich bei ihren Sponsoren "liefern" müssen, wenn es wichtig wird. Bruno Heuberger, Oberwil |
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