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Wichtige grüne Köpfe: Raffaela Hanauer, Jérôme Thiriet, Anina Ineichen (v.l.)
Und nun geben sie den Takt vor: die Basler Grünen
Sie trennen sich von Basta, emanzipieren sich von der SP und zwingen die Bürgerlichen in die Knie – eine Chronologie des Aufstiegs.
Von Alessandra Paone
Mit einem neuen Selbstverständnis stehen die Basler Grünen am Wahlsonntag im Basler Congress Center. Ihre Regierungskandidatin Anina Ineichen ist von den Herausforderinnen und Herausforderern die erfolgreichste Kandidatin. Sie liegt rund 3500 Stimmen hinter der bisherigen Baudirektorin Esther Keller von den Grünliberalen.
Und auch das Resultat bei den Grossratswahlen lässt sich sehen: Die Partei kann ihren Wähleranteil mit 11 Prozent in etwa halten, obwohl sie erstmals seit 20 Jahren ohne Basels starke Alternative (Basta) angetreten ist und die Grünen schweizweit verlieren.
Am späten Sonntagabend teilen die Grünen denn auch mit, dass sie mit Anina Ineichen gegen Esther Keller in den zweiten Wahlgang ziehen. Mit dieser frühen Ankündigung signalisieren sie, dass sie alles daran setzen werden, das 2020 verlorene Regierungsmandat von Elisabeth Ackermann zurückzugewinnen. Mehr noch: dass sie einen Sitzgewinn für realistisch halten.
Den Grünen kann die bürgerliche Dissonanz nur recht sein.
Damit setzen die Grünen die Freisinnigen gehörig unter Druck und sorgen indirekt dafür, dass die bürgerliche Allianz schon kurze Zeit nach ihrem Comeback bröckelt. Jedenfalls zieht die FDP unter anderem aus Angst vor einer rot-grünen Mehrheit in der Regierung am Montagabend ihre Regierungskandidatin Eva Biland zurück. Dies hat zur Folge, dass die Mitte mangels bürgerlicher Alternativen eine Wahlempfehlung für die Grünliberale Esther Keller abgibt, was wiederum die SVP und die LDP verärgert.
Den Grünen kann die bürgerliche Dissonanz nur recht sein: Je kleiner der Zusammenhalt im rechten Lager, desto grösser ihre Chancen auf Erfolg. Der Verzicht der freisinnigen Kandidatin Eva Biland macht nur Sinn, wenn sich FDP, SVP, LDP und Mitte im zweiten Wahlgang hinter Esther Keller stellen würden, um das aus ihrer Sicht grössere Übel zu verhindern. Den Parteien fällt es aber offensichtlich schwer, den eigenen Stolz beiseite zu legen. Nun riskieren sie, dass ihre Wählerinnen und Wähler am 24. November nicht an die Urne gehen und damit Esther Keller die nötigen Stimmen fehlen werden.
Doch selbst wenn die Grünliberale, die als bisheriges Regierungsmitglied im Vorteil ist, wiedergewählt werden sollte, gehen die Grünen am Ende als Siegerinnen aus diesen Wahlen hervor. Weil die Strategie, sich als eigenständige Partei zu positionieren, aufgegangen ist. Dahinter steckt in erster Linie die Arbeit des Co-Präsidiums mit Raffaela Hanauer und Benjamin van Vulpen.
Die beiden übernehmen im März 2021 von Harald Friedl den Lead. Der Schock der Niederlage bei den Regierungswahlen sitzt zu diesem Zeitpunkt immer noch tief; die Grünen wirken verloren und planlos. Hanauer und van Vulpen beginnen mit der Aufbauarbeit, verpassen der Partei Strukturen und organisieren sie neu. Einigen gehen diese Schritte zu weit, wie OnlineReports aus Gesprächen weiss. Sie stören sich an den strikten Vorgaben und fühlen sich kontrolliert.
2022 gibt das Duo bekannt, künftig bei Wahlen ohne Basta antreten zu wollen, und fällt hiermit den ersten wegweisenden Entscheid.
Der zweite folgt im vergangenen Frühling bei der Ersatzwahl für den früheren SP-Regierungspräsidenten und aktuellen Bundesrat Beat Jans. Die Grünen beschliessen, mit einer eigenen Kandidatur anzutreten, und stellen die SP, die den alleinigen Anspruch auf den frei gewordenen Sitz erhebt, vor vollendete Tatsachen.
Die Prophezeiungen der Grünen werden erfüllt.
Beides kommt im linken Lager nicht gut an. Basta reagiert brüskiert auf die Trennung der Grünen bei Parlamentswahlen, sie fühlt sich im Stich gelassen. Noch empörter fällt die Reaktion der Sozialdemokraten auf den Sololauf der bisherigen Juniorpartnerin bei der Regierungsersatzwahl aus. Jérôme Thirets Kandidatur sei "ein klarer Angriff auf den SP-Sitz", sagt etwa Parteipräsidentin Lisa Mathys.
Für das Argument der Grünen, ihr Alleingang stärke letztlich die gesamte Linke, weil er die Parteien zwinge, ihre Profile zu schärfen und stärker zu mobilisieren, hat niemand Gehör. Die Grünen gelten als Opportunisten; schlimmer noch: als Verräter.
Doch ihre Prophezeiungen werden erfüllt. Grüne und Basta legen bei den Bürgergemeinderatswahlen im Juni 2023 zu. Jérôme Thiriets Regierungskandidatur bewegt die Sympathisantinnen und Sympathisanten und trägt dazu bei, dass die SP beim zweiten Wahlgang im Frühling mit Mustafa Atici den Sitz von Beat Jans halten kann. Zudem verschafft sie den Grünen mehr Präsenz. Dass die Biodiversitäts-Initiative nur in Basel-Stadt und in Genf angenommen wird, dürfte kein Zufall sein – und ebnet der Partei den Weg für die kantonalen Gesamterneuerungswahlen 2024.
Auch bewirkt die Trennung von Basta, dass beide Parteien ihre Positionen ungezwungener vertreten und dadurch ihre Wählerinnen und Wähler besser abholen können. Die guten Ergebnisse vom vergangenen Sonntag sind der Beweis dafür. Ihr Wähleranteil ist zusammen grösser als noch vor vier Jahren.
Die Grünen sind als viertstärkste Kraft im Kanton definitiv aus ihrer Rolle als Juniorpartnerin herausgewachsen – und geben immer mehr den Takt an.
23. Oktober 2024
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"Denkfehler der Bürgerlichen"
Man hört, dass es bei den Basler Freisinnigen, bei den Liberaldemokraten und bei der städtischen SVP Irritationen gibt, weil die Mitte für den zweiten Wahlgang der Regierungsratswahlen die Grünliberale Esther Keller unterstützt. Diese Irritationen irritieren ihrerseits.
Warum hat die Freisinnige Eva Biland ihre Kandidatur für die zweite Runde zurückgezogen? Weil sie zum Schluss kam, dass sie letztlich Steigbügelhalterin für eine linke Mehrheit in der Regierung wäre. Da die Linke in Basel-Stadt stärker ist als das bürgerliche Lager und da die Mitte entweder Zuzug von der Linken oder von den Bürgerlichen braucht, um Chancen zu haben, hätte die Dreierkonstellation mit der Bisherigen Esther Keller, der Grünen Anina Ineichen und der Freisinnigen Eva Biland zur Folge haben können, dass die grüne Kandidatin triumphiert.
Wenn es also das Ziel der Bürgerlichen ist, eine linke Mehrheit in der Regierung zu verhindern, dann müssen sie in den für sie vielleicht sauren Apfel beissen und Esther Keller unterstützen. Alle anderen Varianten entspringen Denkfehlern.
Was wären die anderen Varianten? Die Bürgerlichen könnten zu Hause bleiben, leer einlegen, andere Namen schreiben oder ungültig wählen. Alle Varianten haben den gleichen Effekt wie die Aufrechterhaltung der Kandidatur Biland: Die Chancen für eine linke Mehrheit in der Regierung steigen.
Zu Hause bleiben? Dies wäre am 24. November schon deshalb wenig ratsam, weil gleichzeitig über wichtige eidgenössische Themen entschieden wird. Und für die Besetzung des siebten Sitzes in der Regierung würden die Bürgerlichen das Feld voll der Linken überlassen.
Leer einlegen? Ins Gewicht fielen nur die Stimmen der Linken und der noch verbleibenden Mitte – mit Siegeschancen vor allem für die Linke.
Andere Namen schreiben? Wenn die Bürgerlichen auf die leere Linie jemanden schreiben, der oder die zwar wählbar ist, aber nicht offiziell kandidiert, dann vergeuden sie ihre Stimme und nützen vor allem der Linken.
Ungültig wählen? Sollten die Bürgerlichen gar auf die Idee kommen, ehrverletzende Bemerkungen auf den Wahlzettel zu schreiben oder Namen von Personen zu notieren, die in Basel-Stadt gar nicht wählbar sind (wie Donald Trump, Christian Lindner oder Michel Barnier), dann nehmen sie sich erst recht aus dem Spiel und helfen der Linken.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Mitte hat es aus bürgerlicher Sicht mit der Unterstützung von Esther Keller genau richtig gemacht.
Roger Blum, Köln