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"Dann spielt die Musik": Pressekonferenz-Beobachter Andi Trüssel, Peter Riebli (SVP).
Im Baselbiet schlägt die Stunde der Klimakosten-Wahrheit
Die Verunsicherung über das revidierte Energiegesetz mit seinen für Hauseigentümer und Mieter weitreichenden Konsequenzen war noch nie so gross wie wenige Wochen von der Volksabstimmung. Der Kommentar.
Von Peter Knechtli
Kaum jemand wird mit ernsthafter Begründung den rasanten Klimawandel bestreiten wollen. Zu offensichtlich offenbaren sich die globalen Veränderungen in Form der Erderwärmung, massiven grossflächigen Naturkatastrophen und extremen Kälte- und Hitzephänomenen.
Die Forderung, dass die Schweiz – so klein ihr Anteil im weltweiten Vergleich sein mag – die CO2-Emissionen bis 2050 auf Netto Null reduzieren und die Energiegewinnung langfristig nachhaltig erfolgen muss, ist gesellschaftlicher Konsens.
Es ist daher nur konsequent, dass sich die Gesetzgebung bis hinunter auf die Stufe der Kantone und Gemeinden diesem Ziel unterordnet. Das Baselbiet stimmt am 9. Juni über das revidierte Energiegesetz ab, das die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verringern und somit die Versorgungs-Sicherheit weiter erhöhen will. Der Landrat stimmte der Vorlage vergangenen Oktober gegen konsequenten Widerstand der SVP mit 50 Ja gegen 31 Nein bei 2 Enthaltungen zu. Ein bemerkenswerter lagerübergreifender Willens-Entscheid. Und ein grosser Erfolg für den grünen Umweltdirektor Isaac Reber.
Ob das Volk diesem Mehrheitsverhältnis folgen will, wird sich also schon bald zeigen. Die Stimmungstemperatur ist derzeit volatil. Es gibt – je nach Interessenlage – Gründe, das Gesetz anzunehmen oder abzulehnen. Dass die Menschheit handeln muss, steht dabei ausser Frage.
Dieser staatliche Vollzugsakt
geht weit über das Übliche hinaus.
Das Erstaunliche an diesem Urnengang aber ist, dass sich statt eines erwartbaren öffentlichen Diskurses während acht Monaten beunruhigende Stille ausbreiten konnte. Immerhin steht ein staatlicher Vollzugsakt zur Debatte, der weit über das Übliche hinaus in die private Investitions- und Verfügungsgewalt der Bürgerinnen und Bürger eingreift. Es geht, wenn auch auf tieferem Niveau, um eine fundamentale Richtungskorrektur wie etwa bei den damaligen Plebisziten über einen AKW-Verzicht in der Region.
Erst wenige Wochen vor der Abstimmung erhebt sich aber ein kleiner Polit-Tornado über dem Baselbiet: Kreise um die Wirtschaftskammer, den Hauseigentümerverband und die SVP machen mit einer Nein-Kampagne mächtig Dampf gegen die Gesetzesrevision. Ihnen geht es weniger um einschränkende neue Paragraphen als vielmehr um das, was sie als "Buebetrickli" brandmarken.
Gemeint ist, dass die Regierung – ohne Mitsprache des Volkes – ein Dekret zum Gesetz per 1. Oktober in Kraft setzen will, das die politisch brisantesten Forderungen enthält. Dies sei, wie die Gegner meinen, der "politisch fragwürdige Versuch", die umstrittensten Bestimmungen "durch die Hintertür einzuführen". Doch so hatte es eine Landrats-Mehrheit beschlossen, ohne dass es danach zu namhaften Protesten gekommen wäre.
Danach sollen die Photovoltaik-Pflicht bei Neubauten vorgeschrieben und ab 2026 neue fossile Heizungen verboten werden. Davon betroffen sind nicht nur Einzelfälle: Der Anteil an Öl- und Gasheizungen in Baselbieter Wohnbauten lag 2020 bei 67 Prozent. Es gebe laut den Veränderungs-Kritikern "keinen Grund, eine Vorschriften- und Verbotskultur in der Energiepolitik zu beschliessen".
Das Dekret war dem Landrat in Kombination mit dem Gesetz vorgelegt worden. Anfang Februar setzte es die Regierung per 1. Oktober dieses Jahres in Kraft. Es kann somit niemand behaupten, dessen Inhalt nicht gekannt zu haben. Hingegen scheint tatsächlich oder vermeintlich Unklarheit darüber zu herrschen, dass dieses Dekret selbst dann in Kraft tritt, wenn das Gesetz an der Urne verworfen wird.
Das Vorspiel ist jetzt vorbei.
Das ist der Preis des Klima-Kampfs.
Es ist in der Tat stossend, dass der Souverän über eine weitreichende strom- und heizungstechnische Transformation, die viele Bürgerinnen und Bürger ganz direkt betrifft, nichts zu sagen hat. Eigentümer älterer Liegenschaften sehen sich potenziell zu einem Wechsel auf neue Systeme wie Wärmepumpen gezwungen, deren Investition in Verbindung mit Wärmedämmung schnell einmal die 100'000-Franken-Grenze überschreitet. Das kann für wenig vermögende ältere Hauseigentümer sozialpolitisch problematisch werden.
Als Reber im Dezember 2022 seine Klimaschutz-Strategie vorstellte, liess er sich von qualifiziertem wissenschaftlichem Rösslispiel assistieren. Die detailliert kommunizierten Absichtserklärungen gaben den Takt vor, aber sie taten nicht weh, wie OnlineReports damals festhielt.
Doch jetzt ist das Vorspiel vorbei. Es wird justiziabel, dass Klimaschutz nicht zum Nulltarif zu haben ist. Die Investitionen, die insbesondere Private in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufbringen müssen, sind enorm. Das ist der Preis des Klima-Kampfs.
Nicht nur Hauseigentümer schauen sorgenvoll in ihre Budgetpläne, auch Mieterinnen und Mieter müssen sich jetzt darauf gefasst machen, dass Immobilieneigner ihre Investitionen an die Wohnungsnutzenden weiter verrechnen. Die Mieten werden auch unter diesem Aspekt steigen.
Reber kann attestiert werden, dass er im Klimaschutz als Programm-Nukleus seiner Partei entschlossen vorwärts macht. Doch ein Vergleich, was öffentliches Hinstehen, Klartext und Transparenz angeht, drängt sich auf. Der deutsche Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck musste sich im Streit um das schliesslich gescheiterte Heizungsgesetz unter heftigsten Vorwürfen seitens der Opposition über Monate hinweg täglich öffentlich erklären.
Demgegenüber verwendete Reber geringe Energie darauf, der Baselbieter Bevölkerung die Folgen des unabwendbaren folgenreichen Paradigmenwechsels so umfassend und schonungslos darzulegen, dass es der hinterste Talbewohner begriffen hatte: dass im Klimaschutz jetzt die Stunde der Kosten-Wahrheit schlägt. Blosse Auftritte in der geschlossenen Blase des Landrats werden der Bedeutung der historischen Gesetzesrevision nicht gerecht. Klimaschutz tut jetzt weh.
Die Lust auf Begründung versank
im gegenseitigen Konsens des Schweigens.
Was jetzt herrscht, ist eine wachsende Verunsicherung. Wenige Wochen vor dem Urnengang, so konstatierte die "Basler Zeitung", befinde sich das Baselbiet "in einer Art Schwebezustand" – ein alarmierender Befund.
Bemerkenswert ist, dass auch Parlament und befürwortende Parteien wenig oder gar nichts zu einer breiten Debatte über eine Jahrzehnt-Abstimmung beigetragen haben. Kampagne- und Podiumsaktivitäten der Gesetzessupporter hatten Seltenheitswert, während die Gegner für ihre Position mobilisierten.
Die politischen Lager wollten sich zwar einer aktiven Klimapolitik nicht verschliessen, aber sie folgten, SVP ausgenommen, einer profanen Logik: Die bürgerlichen Befürworter wollten nicht die Hauseigentümer mit düsteren Kosten-Perspektiven aufscheuchen, die Links-Grünen nicht die Mieterschaft vergraulen. Die Lust auf Debatte und Transparenz versank im gegenseitigen Konsens des Schweigens.
Es ist zu lange ruhig geblieben im Kanton, bis nun die Gegner zum Finale kräftig auf die Pauke hauten. Sozusagen in letzter Minute kündigten sie eine Volksinitiative ("Mitbestimmungsinitiative") an, die zum Ziel hat, das Dekret durch eine Volksabstimmung zum Verschwinden zu bringen und seine wichtigsten Bestimmungen in einem erneut teilrevidierten – und referendumsfähigen – Energiegesetz unterzubringen.
Noch ist nichts in Stein gemeisselt. Aber es braucht wenig Fantasie, um zu erkennen, dass dieses neue Szenario den 1. Januar 2026 als Beginn der neuen energiepolitischen Zeitrechnung im Baselbiet in Gefahr bringen könnte.
Bei besagter Vorstellung der Klimaschutz-Strategie vor anderthalb Jahren sassen, was unüblich ist, mit dem damaligen Fraktionschef und heutigen Kantonalpräsidenten Peter Riebli und Andi Trüssel auch zwei SVP-Landräte aufmerksam beobachtend in der Medienkonferenz (siehe Aufmacherbild). Riebli, heute führender Gesetzesgegner, wusste schon damals: "In der Umsetzung spielt dann die Musik."
Jetzt spielt sie. Fortissimo. Und vorläufig auch ad infinitum.
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31. Mai 2024
Weiterführende Links:
"Null Rappen Mieterhöhung"
Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich gewisse "randständige" Politiker mit "Buebetrickli" Stimmen ergattern wollen. Dass sich die Wirtschaftskammer und der Hauseigentümerverband dazu hinreissen lassen, sich vor den Karren der SVP spannen zu lassen, erstaunt immer wieder.
Was ich sicher bestätigen kann, ist: Dass wir als baselstädtische Wohngenossenschaft unsere alte Ölheizung durch eine neue klimaneutrale ersetzen mussten, plus die Fassade isolieren – führte zu null Rappen Mieterhöhung. Man kann Investitionen eben auch planen und clever amortisieren, oder eben gewinnoptimiert von den Mietenden "kassieren", wie das einzelne Vermietende bevorzugen.
Wer sitzt, neben den "Klimaleugnern", wohl im Nein-Komitee?
Daniel Kobell-Zürrer, Basel