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"Riss-Erscheinungen in der Allianz": Kandidaten Oberer, Dürr, Stückelberger
In der Baselbieter Politik beginnt das Sortieren und die "Manöverkritik"
Bedeutung der Zentrumsparteien wächst, die SVP wird an Bündnis-Parteien Bedingungen stellen
Von Peter Knechtli
Die Baselbieter SVP hat ihren Sitz, verschuldet durch eine spekulativ falsche Personalpolitik, in der Regierung verloren. Dass sie gleichzeitig stärkste Landratsfraktion wurde, ist für sie nur ein kleiner Trost. Denn ein altbekannter Groll wird bleiben: ein Groll gegen die Allianzpartner "Mitte" und FDP, die Sandra Sollberger in grosser Zahl nicht gewählt und so die Schlappe der SVP-Nationalrätin herbeigeführt hätten.
Dies ist nicht einmal eine Schutzbehauptung, sondern eine in der Tat realistische Einschätzung. Denn interessanterweise fuhr die "Mitte" eine Doppel-Strategie: Als Teil des bürgerlichen Bündnisses unterstützte sie (zumindest formell) die SVP-Kandidatin Sandra Sollberger – aber gleichzeitig auch GLP-Kandidat Manuel Ballmer als einen ihrer Konkurrenten.
Aber die Hauptverantwortung für die Fehleinschätzung der Personal- und Strategiebestimmung trägt Sollbergers Partei SVP. Sie will denn auch selbstkritisch in einer "offenen, schonungslosen Analyse und Manöverkritik" die Ursachen für das Scheitern der Kandidatur ermitteln und "die nötigen Konsequenzen daraus ziehen".
In ihrer künftigen Rolle als Oppositionspartei könnte sich die SVP nun darauf kaprizieren, zu blockieren, was blockiert werden kann, und den Mitte-Links-Regierungsparteien das Leben schwer zu machen.
Nun gibt es in der SVP besonnene Köpfe. Sie haben bereits die Richtung in moderatem Ton vorgegeben: "Unreflektierte Opposition wird von der SVP nicht zu erwarten sein." Vielmehr werde sie "unserer Verantwortung als wählerstärkste Kraft im Kanton auch während der hoffentlich kurzen Zeit ohne bürgerliche Mehrheit in besonnener, aber kritischer Weise nachkommen".
Das Ziel müsse es sein, die bürgerliche Mehrheit "möglichst rasch wiederherzustellen", heisst es in der Verlautbarung weiter. Unscheinbar fährt sie fort: "Unsere Partei wird sich in strategischer Hinsicht mit den bürgerlichen Partnern noch absprechen.
"Es wird keine gemütliche Absprache
im Anwiler 'Jägerstübli' werden."
Ich stelle mir nicht vor, dass diese "Absprache" begleitet vom Trachtenverein "Harmonie" im Anwiler "Jägerstübli" abgehalten wird. Eher wahrscheinlich ist, dass die SVP wie vor einigen Monaten bei der Durchsetzung Sollbergers als Regierungs-Kandidatin ihren schwächeren Bündnispartnern den Tarif erklären wird. Das Modell der "Bürgerlichen Allianz" zeigte in den letzten Jahren Riss-Erscheinungen.
Der Fokus wird in den nächsten Monaten auf die Nationalratswahlen vom kommenden Herbst gerichtet sein. Dort könnte die SVP damit drohen, die traditionelle Listenverbindung mit der FDP platzen zu lassen, um ihr auf diese Weise Zugeständnisse abzuringen, die eine baldige Rückkehr der Volkspartei in die Regierung absichern. Doch auch die SVP ist vom Freisinn abhängig, wenn sie ihre beiden von Sandra Sollberger und Thomas de Courten gehaltenen Sitze in der Grossen Kammer verteidigen will.
Die "Mitte" ist hier kaum anfechtbar, weil sie sich in diese Listenverbindung nicht einbinden lässt, sondern den Schulterschluss bei den andern Zentrumsparteien sucht. Hingegen könnte die SVP eine Regierungs-Rückkehr bei der nächsten Vakanz ins Auge fassen, wenn sich Finanzdirektor Anton Lauber, das Stimmenwunder der "Mitte", oder FDP-Bildungsdirektorin Monica Gschwind zu einem Rücktritt im Verlaufe der Amtsperiode entscheiden sollten.
Mit falscher Bescheidenheit seitens der SVP ist dabei nicht zu rechnen. Gleichwohl wird die führende Rechts-Partei einen tieferen Bruch des bürgerlichen Dreierbündnisses nicht riskieren wollen. Freisinn und Volkspartei sind auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Auf sich allein gestellt, sind sie verloren.
"Die Schlappe war nicht gegen die SVP gerichtet,
sondern gegen ihr Profil-Angebot."
Aber die SVP hat ein chronisches Problem: ihre dünne Personaldecke. Die grosse Unbekannte ist die Frage, wann valable Kandidierende wie der Arboldswiler Gemeindepräsident Johannes Sutter oder Landrat Florian Spiegel – beide fest in Familienunternehmen eingebunden – oder ungebundene Unternehmer mit SVP-Flair für eine Regierungskandidatur bereit wären.
Denn eines steht fest: Die Nicht-Wahl Sollbergers war nicht gegen die SVP als Institution gerichtet, sondern gegen ihr Profil-Angebot. Dass die stärkste bürgerliche Kraft in eine Konkordanz-Regierung gehört, ist unter den Bündnis-Parteien unbestritten.
Vorerst sortieren sich die Parteien im Landrat, wo (wie in der Regierung) die Zentrumskräfte zugelegt haben. Fast scheint es, als dürften ökologische und soziale Anliegen in den kommenden vier Jahren leicht bessere Chancen haben. Denn kurioserweise ist nun eine numerische Mitte-Links-Mehrheit entstanden, wie sie der nicht gewählte SP-Regierungsrats-Kandidat Thomas Noack zu Beginn seiner Bewerbung ohne positive Resonanz vorgeschlagen hatte.
Es ist auch zu erwarten, dass der neugewählte Thomi Jourdan – so mindestens seine ersten Signale – neue Impulse und Handlungsansätze in die Regierung tragen und das eine oder andere Brainstorming auslösen wird.
Aber eine Abstimmungs-Mehrheit ist damit noch nicht gesichert. Der "Mitte"-Fraktion gehört ein rechter Flügel um Landräte wie Marc Scherrer und Simon Oberbeck an, der das Pendel in finanz- und wirtschaftspolitischen Fragen zugunsten der rechten Ratshälfte ausschlagen lassen kann.
Nach heutigem Stand wird die "Mitte" die nächsten vier Jahre ohne Fraktionspartner bestreiten, nachdem die Grünliberalen mit der Verdoppelung ihrer Sitzzahl auf sechs eine eigene Fraktion bilden.
"Die EVP dürfte die Fraktions-Gemeinschaft
mit den Grünen fortsetzen."
Die EVP – beflügelt durch ihren geschichtsträchtigen Regierungs-Erfolg von Thomi Jourdan, aber mit vier Sitzen ohne Fraktionsstärke – war schon Partner der früheren CVP, ist aber seit vier Jahren in einer Fraktionsgemeinschaft mit den Grünen. Eine Rückkehr in den Schoss der "Mitte" ist zwar denkbar, aber angesichts der gegenseitig als "sehr gut" bezeichneten Zusammenarbeit mit der Öko-Partei recht unwahrscheinlich.
Zu vermerken bleibt, dass der direkte Einfluss der Parteipräsidenten im Landrat erstaunlich gering bleibt. Neben SP-Präsidentin Miriam Locher, die schon lange im Landrat sitzt, schaffte am Wochenende nur "Mitte"-Chef Silvio Fareri die Wahl. Bei der FDP trat Präsident Ferdinand Pulver schon gar nicht zur Wahl an. Martin Geiser (EVP), Thomas Tribelhorn (GLP) und Michael Durrer (Grüne) schafften den Sprung ebenso wenig wie Dominik Straumann (SVP), der bei einer Wahl Sollbergers in den Nationalrat nach gerückt wäre.
Nach dem für seine Partei schwarzen Sonntag dürfte Straumanns präsidiale Stellung in der Partei noch stärker unter Druck kommen als bisher.
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13. Februar 2023
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