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"Für die BaZ enorm stark engagiert": Entlassener Journalist Abrecht
Die BaZ-Lokalredaktion wehrt sich für einen entlassenen Kollegen
Chefredaktor Marcel Rohr stellt seinen Lokalredaktor Serkan Abrecht mitten in der Corona-Krise auf die Strasse
Von Peter Knechtli
Unruhe in der Lokalredaktion der "Basler Zeitung" (BaZ): Mitten in der Corona-Krise wird der Lokalredaktor Serkan Abrecht entlassen. Seine Redaktionskollegen, von Kurzarbeit betroffen, wehren sich in einer Resolution gegen den Personalentscheid. Doch das Problem der Redaktion ist an der Spitze zu suchen.
Es war am 19. März, als Marcel Rohr seinem Lokalredaktor Serkan Abrecht die Kündigung per Ende Juni eröffnete. Rohr und Abrecht konnten es miteinander nie richtig gut – weder persönlich noch politisch.
Das Fass zum Überlaufen brachte am 12. März eine Abrecht-BaZ-Kolumne unter dem Titel "Deutschland eskaliert unnötig und hält sich nicht an bestehende Regeln". Die Kolumne trägt den Titel "Carte blanche".
Darin liess sich Abrecht freien Lauf und attestierte der Bundesrepublik Deutschland einen "ziemlich miesen Charakter", weil Wirtschaftsminister Peter Altmaier an der deutschen Grenze für die Schweiz bestimmte "und vermutlich schon bezahlte" 240'000 Schutzmasken habe blockieren lassen.
Wenn dieser Fall keine Konsequenzen habe, so Abrecht stramm, müsse sich die Schweiz überlegen, "ob man mit der EU weitere Verträge eingehen soll, die jederzeit wieder gebrochen werden können. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr".
Lokalredaktion "befremdet und bestürzt"
Die Lokalredaktion, personell derart ausgeblutet, dass sie kaum noch aufwändige Recherchen zustande bringt, nahm die Kündigung trotz Corona-Krise nicht tatenlos hin. 16 von 21 Journalisten des Regionalressorts zeigten sich in einer Resolution an Rohr und Tamedia-Chefredaktor Arthur Rutishauser "befremdet und bestürzt" über die Entlassung. Abrecht sei ein Journalist, "der sich enorm stark für die BaZ engagiert und auch vor Einsätzen in der Freizeit oder spätabends nicht zurückschreckt".
Der Entlassene sei ein "gewandter und meinungsstarker Autor", der zur "internen Meinungsvielfalt" beitrage und "oft überraschende Akzente" setze. "Bitte überlegt euch, ob ihr auf eure Entscheidung zurückkommen könnt. Es wäre nicht zum Schaden der BaZ, sondern zu ihrem Nutzen", heisst es zum Schluss in der moderat gehaltenen Petition.
Abrecht, Hauptmann der Schweizer Armee, hat es im zarten Alter von 26 Jahren mit seinen Thesen geschafft, Feindbild-Status unter der sprachregionalen Linken zu erlangen. Erregung bewirkte unter anderem seine Militär-Kolumne "Kasernenhof und Schützengraben", in der er (so jedoch die Redaktionskollegen in der Bittschrift) "auf erfrischende Art ethnologische Einblicke die für viele Leser fremde Welt der Armee" geboten habe.
Durch und durch Somm-sozialisiert
Der junge Lokaljournalist hielt sich zum Erstaunen einiger für fähig, leitartiklerisch Auslandpolitik zu verarbeiten und nach London zu jetten, um der BaZ-Welt die Brexit-Abstimmung näher zu bringen. Er tat dies nicht gegen seinen Willen, sondern mit Billigung und ausgestattet mit Reise-Budget durch Chef Rohr.
Mit gerade mal 20 Jahren in die BaZ-Redaktion eingestiegen hat Serkan Abrecht die journalistische Sozialisierung durch die Doktrin seines langjährigen Chefs und Förderers Markus Somm erfahren: Die Politik "aus den Angeln zu heben", "die Behörden zum Zittern bringen". Der mittlerweile promovierte Historiker suchte die Kontroverse. Niemandem gewährte er in seinem Blatt so viel Raum wie jenen, die BaZ-Artikeln konterten.
Abrecht gehörte zu den gelehrigen Somm-Schülern, die solche Vorgaben des Chefs ebenso anstandslos wie lustvoll umsetzten. Der in Zürich verankerte Chefredaktor kritisierte interne Fehlleistungen, deckte aber seine Basler Blattmacher nach aussen konsequent, wenn die jungen Wilden wieder mal über die Schnur hauten.
Eingeständnis von Führungsversagen
Wohl "ungestüm" sei Abrecht gewesen, aber "kritikfähig auf jeden Fall", ist aus der Redaktion zu erfahren. So sei er "in der Vergangenheit auch stets bereit" gewesen, "einen Text anzupassen, wenn wir ihm beim Gegenlesen rieten, eine Formulierung zu überdenken und zu ändern", verteidigt ihn die Lokalredaktion in der Petition.
Seine Kündigung habe er "nicht verdient", steht da weiter. Und dann folgt ein Satz, der Chef Rohr zu denken geben müsste, weil er ihn direkt betrifft: Abrecht brauche aber "möglicherweise mehr Führung und mehr kritische Gegeninstanzen als bisher". Ob die ausgedünnten Ressourcen in der Texterei am Aeschenplatz dazu in der Lage wären und insbesondere wie weit Marcel Rohr selbst dazu in der Lage ist, bleibt die grosse Frage.
Die Kündigung Abrechts ist in der Tat das Eingeständnis von Führungsversagen: Wer einen so jungen, willigen und produktiven Journalisten nicht vor heiklen Thesen und wohl auch einer gewissen jugendlichen Selbstüberschätzung durch Betreuung schützt, hat ein ernstes Filterproblem.
Kenntnis- und Erfahrungsdefizite
Als anerkannter Sport-Chef der "Basler Zeitung" führte Rohr eine pfeilspitze Feder, die in der Tat Fussball-Trainer aus den Angeln hob und ungenügende Feldakteure zum Zittern brachte. Als Leiter des besten Sport-Ressorts der Region verfügte er über eine unangefochtene Alleinstellungsmacht, als Chef des Basler Kopfblatts des "Tages-Anzeigers" scheitert er an seinem erklärten Ziel, aus dem Somm-Erbe die "beste Zeitung der Welt" zu machen. Daraus sei jedoch ein "irrlichternder Selbstläufer" geworden, bilanzierte die "Medienwoche" neulich.
Vor einem Tag auf den andern vom Fussballfeld in die Domäne von Politik und Gesellschaft katapultiert, wurden seine diesbezüglichen Kenntnis- und Erfahrungsdefizite offensichtlich. Es unterliefen ihm böse Fehler – etwa als er eine Hymne auf das geplante Ozeanium anstimmte und dieses der Leserschaft als "Botox für Basel" anpries. In einem Text zu Greta Thunberg liess er seine Leserschaft an einem intimen Geständnis teilhaben: "Ich bin ein bekennender Audi-Fahrer, in dieser Sparte ist mein Herz dem Q5 vergeben."
Rohrs "Teil des Problems"
Als er sich zu Jahresbeginn im Stil des FCB-Spieler-Ratings die sieben Basler Regierungsräte zur Bewertung vorknöpfte, schlug er – was nie ein Thema war und auch nicht ist – vor, die Liberalen LDP sollten mit den "Halbgrünen" (er meinte die Grünliberalen) zusammenspannen. In seinem Urteil über Lukas Engelberger (CVP) zeigte sein Daumen nach unten: "Ihre Abteilung", sprach er den Gesundheitsdirektor schriftlich an, "wird als Teil eines Problems wahrgenommen und nicht als Teil einer Lösung."
Auf Kritik an ihm selbst reagiert er mimosenhaft. Einer kürzlichen Podiumsdebatte der Christoph Merian Stiftung über Onlinemedien verweigerte er sich, "wenn Knechtli teilnimmt". Die Stiftung ging auf das Ultimatum nicht ein. Die Indizien mehren sich, dass Marcel Rohr als BaZ-Chef Teil des Problems ist und nicht Teil der Lösung.
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29. März 2020
Weiterführende Links:
"Scheinheilig und äusserst billig"
Wenn ein Chefredaktor oder Blattmacher nicht alle Kommentare seiner Zeitung gegenliest, so handelt er fahrlässig. Und nach seinem Fehler noch eine Kündigung auszusprechen, ist scheinheilig und äusserst billig.
Stephan Sutter, Ex-Mitglied der BaZ-Chefredaktion, Lupsingen
"Lassen Sie sich überraschen"
Lieber Herr Speiser, ich finde es rührend, wie Sie sich um meine Beschäftigung als BaZ-Kolumnist sorgen. Lassen Sie sich doch einfach überraschen. Auch habe ich mit Interesse gelesen, dass Sie auch meine "Stadt-staatsnahe" Berufskarriere aufmerksam verfolgt haben. Leider sind dabei meine elf Jahre im Dienste des Kantons Basel-Landschaft und die St. Galler Jahre vergessen gegangen. Das kann im Eifer des Gefechts natürlich passieren. Jedenfalls haben die 42 Jahre Schuldienst tatsächlich dazu geführt, dass ich nun im Alter eine Pension – und eine AHV-Rente – erhalte. Finden Sie das falsch?
Roland Stark, Basel
"Ich danke Serkan Abrecht für seinen Mut"
Dass in der Schweiz heutzutage ein Journalist überhaupt je Militärdienst geleistet hat, ist ja doch eine Ausnahme, geschweige denn, wenn einer Offizier ist. Sich grossmundig drücken war und ist in. Aber gerade die Corona-Krise zeigt deutlich, wie sehr eben gerade die Armee jetzt so wichtig ist, mit all den Hilfeleistungen (auch der Zivilschutz!) und den dem wohlstandsverwöhnten "Alltagsbürger" bisher unbekannten Spitalbatallionen.
Man kann sehr wohl das Sprichwort abändern und sagen: "Jede Gesellschaft hat den Journalismus, den sie verdient", und da steht Basel-Stadt halt krass einseitig da. Auch bei den Kolumnisten der BaZ, bisher mit recht positiv breitem Meinungsspektrum, ist Remedur angesagt. Und da bin ich gespannt, ob der doch eher stadtstaat-abhängige (Berufkarriere und üppige Pension) eingeschworene Links-konservative Roland Stark über die Klinge springen muss, man wird sehen.
Serkan Abrecht danke ich für seinen Mut, die eigene Meinung kundzutun und bin sicher, dass er bald wieder eine Stelle findet.
Jakob Speiser, Gelterkinden
"Eine ganz traurige Entwicklung"
Jetzt erstaunt es mich nicht mehr, dass mein BaZ-Leserbrief vom 27.3. keine Berücksichtigung fand. Ich habe mich mit dem Aderlass der BaZ-Kolumnisten beschäftigt und mit dem Satz geschlossen: "Ich mache mir grosse Sorgen um das von mir geschätzte regionale Redaktoren-Team. Ich hoffe nicht, dass auch dort eine Ausdünnung droht." Als hätte ich es geahnt. Dies ist eine ganz traurige Entwicklung!
Claudio Bachmann, Basel
"Das Tüpfelchen auf dem i"
Seit längerer Zeit waren meine Frau und ich nicht mehr sehr zufrieden mit der BaZ. Ihr Artikel ist jetzt noch das Tüpfelchen auf dem i. Soeben habe ich der BaZ das Abo gekündigt.
Hanspeter Berger, Basel
"Grosse Diskrepanz zwischen Tagi- und BaZ-Teil"
Endlich eine gute Nachricht aus dem Hause der BaZ. Was die Redaktionskollegen und Kolleginnen an seinen Artikeln so toll fanden, ist nicht nachvollziehbar. Er hat es nie über das Niveau eines biederen Oberbaselbieter-Schützenvereinshefts geschafft. Gerade seine Kolumne "Kasernenhof und Schützengraben" gehört einfach nicht in eine seriöse Tageszeitung, vor allem nicht so prominent platziert. Auf der Kommentar-Seiten erwarte ich Texte, die einem zum Denken anregen, einem herausfordern, aber keine Erlebnisse, die man sich in Männerrunden beim Bier erzählt. Die Basler beklagen sich immer über den Einfluss von Zürich. Ja, dann sollen sie halt endlich auch mal etwas liefern, das man lesen kann. Da besteht eine grosse Diskrepanz, zwischen den Tagi- und BaZ-Teilen. Gut, der Tagi bezieht seine guten Artikel von der "Süddeutschen". Da wird die Klimajugend mit der Hitlerjugend gleichgesetzt, da kann jemand noch vor einer Woche hinschreiben, das bisschen Corona sei doch alles nicht so schlimm. Nur gut, dass der politische Einfluss der BaZ und auch der BZ hier in der Stadt so verschwindend klein ist. Das müsste den Chefredaktoren zu denken geben.
André Töngi, Basel
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