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© Fotos by Jan Amsler, OnlineReports.ch
Esther Keller wollte es im ersten Wahlgang schaffen, nun muss sie zittern.

Zweiter Wahlgang in Basel-Stadt: Eine Frage der Risikobereitschaft

Noch ist offen, ob die Grünen und die Bürgerlichen einen Angriff auf die Grünliberale Esther Keller wagen. Denn ein solcher birgt das Risiko, dass das Mehrheitsverhältnis auf die andere Seite kippt. Die Analyse.


Von Alessandra Paone und Jan Amsler


Kaum steht das Zwischenresultat der Basler Regierungswahlen fest, beginnt im Wahlforum die grosse Rechnerei. Die Strateginnen und Strategen von GLP, Grünen und SP stecken die Köpfe zusammen; die freisinnige Kandidatin Eva Biland spricht in Interviews von arithmetischen Überlegungen.

In der Tat ist die Ausgangslage für den zweiten Wahlgang vertrackt. Baudirektorin Esther Keller hat ein gutes Ergebnis erzielt, obwohl sie als einzige Kandidatin ohne Bündnis angetreten ist. Die Grünliberale hat jedoch das absolute Mehr verpasst und muss in den zweiten Wahlgang. Stefan Suter von der SVP und Basta-Kandidat Oliver Bolliger haben ihre Kandidaturen bereits zurückgezogen.

Es bleiben noch die Grüne Anina Ineichen und die Freisinnige Eva Biland. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob die zwei Frauen gegen die amtierende Esther Keller antreten, eine der beiden verzichtet oder gar beide Forfait geben. Oder ob die Bürgerlichen vielleicht mit einem neuen Kandidaten in den zweiten Wahlgang ziehen.

Strateginnen rechts wie links erwägen, ob es nicht das kleinere Übel wäre, an Esther Keller festzuhalten.

Die Linke wie die Rechte muss jetzt abwägen, ob sie das Risiko eingehen will, dass sich am Ende die Mehrheitsverhältnisse zugunsten des einen oder anderen Lagers verschieben. Dass also Esther Keller nicht mehr gewählt wird, aber stattdessen die Kandidatin aus dem anderen Spektrum.

Die Gefahr besteht auf beiden Seiten. Strateginnen rechts wie links erwägen deshalb, ob es aus ihrer Optik nicht das kleinere Übel wäre, an Esther Keller festzuhalten. Das sagen Entscheidungsträger in Gesprächen mit OnlineReports.

 

Jetzt wird gerechnet: Eva Biland und FDP-Präsident Johannes Barth.

Aus bürgerlicher Sicht könnten folgende Überlegungen eine Rolle spielen: Biland hat von allen drei Kandidatinnen das schlechteste Ergebnis erzielt. Sie liegt deutlich hinter Keller und wird diesen Abstand kaum aufholen können. Dass die drei bisherigen SP-Regierungsmitglieder Tanja Soland, Kaspar Sutter und Mustafa Atici auf Anhieb wiedergewählt wurden, Ineichen mit einem guten Resultat überrascht hat und Basta im Grossen Rat gar einen Sitz gewinnen konnte, spricht für eine starke Mobilisierung von Rot-Grün. 

Ausserdem stehen am 24. November neben dem zweiten Wahlgang für die Regierung auch wichtige Abstimmungsvorlagen auf dem Programm: Auf nationaler Ebene wird über den Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen abgestimmt, der in Basel-Stadt vor allem wegen des Rheintunnels interessant ist. Die Schweiz stimmt an diesem Tag auch über das Mietrecht und die einheitliche Finanzierung der Leistungen bei der Krankenversicherung ab.

Kantonal stehen die Musikvielfalt-Initiative, das Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer und die Ausgabenbewilligung für die Durchführung des Eurovision Song Contest zur Abstimmung. Erfahrungsgemäss sind linke Stimmberechtigte diszipliniertere Urnengänger als bürgerliche. 

Eine Möglichkeit wäre, im zweiten Wahlgang Eva Biland durch einen anderen Kandidaten zu ersetzen – etwa durch Christian Egeler. Der Chef der Baselbieter Verkehrspolizei und frühere Grossratspräsident hat in der internen Ausmarchung gegen Biland verloren, was viele Polit-Beobachter nicht verstehen konnten. Egeler ginge fast schon als Grünliberaler durch und wäre vermutlich für Esther Keller die grössere Konkurrenz gewesen.

FDP-Präsident Johannes Barth macht aber gegenüber Bajour deutlich, dass Egeler kein Thema ist. Andere Namen kommen nicht infrage; Luca Urgese sagt als aussichtsreichster bürgerlicher Kandidat klar Nein.

Wie sich Anina Ineichen in der Regierung verhalten würde, ist ungewiss.

Rot-Grün wird sich hingegen überlegen müssen, wie stark Anina Ineichen noch zulegen kann, zumal sie im zweiten Wahlgang nicht mehr für das Regierungspräsidium kandidiert – Conradin Cramer wurde deutlich im Amt bestätigt. Und wie sehr sie sich inhaltlich von Esther Keller abgrenzen kann. Die Grünliberale steht der grünen Kandidatin näher als Eva Biland, die eher am rechten Rand der FDP politisiert und mit Grün wenig am Hut hat.

 

Wie stark kann Anina Ineichen (rechts) zulegen?

Ausserdem wissen die Wählerinnen und Wähler, was sie an Keller haben. Sie konnten ihre politische Arbeit während der vergangenen vier Jahre verfolgen. Wie sich Anina Ineichen in der Regierung verhalten würde, ist hingegen ungewiss. 

Die jetzige Konstellation mit Esther Keller widerspiegelt die Kräfteverhältnisse am besten.

Es stellt sich zudem die Frage, wie stark die SP-Basis die Grüne unterstützen wird. Immerhin wurde Keller vor vier Jahren auch dank linker Stimmen gewählt. Ein überparteiliches Komitee mit namhaften Politikern wie dem früheren SP-Präsidenten Roland Stark, dem ehemaligen SP-Grossrat Otto Schmid oder dem ersten grünen Grossratspräsidenten Markus Ritter haben sich für die Grünliberale stark gemacht. Ihr Argument: Mit Keller etabliere sich eine Mitte in den ideologischen Grabenkämpfen. 

Macht eine linke oder rechte Regierungsmehrheit zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt Sinn? Auch in der kommenden Legislatur entscheidet die politische Mitte im Parlament über die Mehrheiten. Die jetzige Konstellation mit Esther Keller widerspiegelt die Kräfteverhältnisse im Grossen Rat am besten. Sie sorgt dafür, dass die Regierung die Vorlagen besser austariert und im Rat weniger Korrekturen nötig sind. 

Gerade bei den grossen anstehenden Geschäften – Klimaneutralität, Steuerpolitik, Gesundheit – wäre der Konsens schneller gefunden.

20. Oktober 2024

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