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![]() "Zwischen den Fronten": Elliott-Darstellerin Delia Mayer
"Lady in the Dark": Die Frau, die sich nicht entscheiden kannAlle Kräfte des Theaters Basel sind für das Musical von Kurt Weill im Einsatz Von Sigfried Schibli Müssen wir Adolf Hitler am Ende noch dankbar sein? Dafür, dass er den in Dessau geborenen jüdischen Komponisten Kurt Weill, Mitstreiter von Bert Brecht bei der Entwicklung eines zeitgemässen sozialkritischen Musiktheaters jenseits von Oper und Operette, ins Exil nach Amerika vertrieb? Dort begann Weill ein zweites musikalisches Leben, komponierte fleissig Musicals für die Broadway-Bühnen, setzte damit neue qualitative Massstäbe und verhalf dem kommerziellen "Musical Play" zu einem Substanzzuwachs. "Lady in the Dark", uraufgeführt 1941 am Broadway, ist eines dieser gefeierten Stücke, halb Oper und halb Schauspiel, basierend auf einem Text von Moss Hart, der auch als Regisseur der ersten Aufführungen von "My Fair Lady" in die Geschichte eingegangen ist. Das Musical "Lady in the Dark" erzählt die Geschichte der Chefredaktorin einer Modezeitschrift mit dem Titel "Allure". Diese Liza Elliott – erfolgreich und etabliert, aber nicht mehr jung – gerät zwischen die Fronten der Geschlechter und der Generationen. Sie droht vom Schönheitskult erdrückt zu werden, den sie selbst mit ihrer Zeitschrift vorangetrieben hat. Den Begriff "Midlife Crisis" gibt es erst seit 1957, die Sache aber schon viel länger. Liza schiebt die Entscheidung über das Hauptthema des Osterhefts ihrer Zeitschrift immer weiter hinaus und lässt auch ihre Eheschliessung in der Schwebe. Bis zuletzt weiss sie nicht recht, ob sie ihren Liebhaber Kendall heiraten soll oder nicht. Sie sucht Rat bei der Psychoanalyse – auch dies eine von Hitler verbotene Praxis –, geht ihren Träumen nach und taucht tief ins Dunkel ihrer Kindheit ein. Bis ihre Mitarbeiter ihr die publizistische Entscheidung aus der Hand nehmen. Am Ende teilt sie die Entscheidungskompetenz mit ihrem begabten Chefdesigner, einem "Femen-Aktivisten" und "Sohn von Alice Schwarzer", wie es in der aktualisierenden deutschen Fassung von Roman Hinze heisst. Die Basler Inszenierung stammt von Martin G. Berger, der vor drei Jahren am selben Haus "La Cage aux Folles" zu grossem Publikumserfolg geführt hat, schon damals mit der Bühnenbildnerin Sarah Katharina Karl und der Kostümbildnerin Esther Bialas. Da ist alles kitschig und bunt, virtuos und voller herzhaft auf die Bühne geknallter Klischees. Es wird nicht gespart mit Glitzerkleidern, Kunstblumenschmuck, bunten Luftballons und Schwulen-Parodien. Es fehlen auch nicht ikonische Karl-Lagerfeld-Perücken und androgyne Tanzeinlagen. Im Zentrum aber steht die alternde und am Altern sowie an ihrer chronischen Ambivalenz verzweifelnde Fashion-Journalistin Elliott. Sie lässt ihren Körper schönheitschirurgisch verunstalten und gibt sich auch mal einem jungen "Gott" und Influencer hin, um ihren natürlichen Zerfallsprozess zu verdrängen. Das wird von Delia Mayer hinreissend gespielt und ungekünstelt gesungen. Und der Gesang ist hier nicht blosses Accessoire, denn Lizas Biografie ist auch der Versuch, das Lied ihrer Kindheit wiederzufinden. "My Ship" wird zuerst nur angedeutet, weil Liza es wie eine verschüttete archäologische Seelenschicht freischaufeln muss; erst im Schlussbild wird es integral erklingen. Der Song, einer der Greatest Hits von Kurt Weill (Text: Ira Gershwin), war einst ein Favorit von Julie Andrews und anderen singenden Schauspielerinnen.
Von den beiden Teilen des Abends hängt der erste wegen der langen Dialoge ein wenig durch, während der zweite, kürzere Akt zügig zur Sache kommt und zielstrebig auf das Happy End zusteuert. 30. Oktober 2022
![]() "Auch für Kurt Weill geklatscht" Wir dürfen Kurt Weill sicher dankbar sein, dass er 1933 über Paris in die USA emigrierte und so nicht unter die Räder von Adolf Hitlers Terrorregie kam. Ich besuchte gestern die Vorstellung von "Lady in the Dark". Das Haus war bis auf den letzten Platz gefüllt und das Publikum hat sicher auch für Kurt Weill geklatscht. Nicht nur mir, sondern ich glaube fast allen hat die Inszenierung im Theater Basel gefallen. Darum auch einen Dank an das Theater Basel. Martin Josef Steiner, Basel "Mit Opfer-Begriff behutsamer umgehen" Hier meine Replik auf den Leserbrief von Daniel Wiener. Das Exil von Künstlerinnen und Künstlern ist ein grosses und gut beackertes Forschungsgebiet. Nachdem jahrzehntelang Daten und Fakten zu Biographien und Schicksalen gesammelt worden sind, zeigt sich als Erkenntnis genau das, was Sigfried (nicht Peter!) Schibli artikuliert hat (im übrigen ein sehr kluger, sorgfältiger und eigenständig denkender Musikjournalist): Das Resultat des Exils liegt oft zwischen zwei Extremen – der absoluten Tragödie und der Chance für neue Möglichkeiten.
Heidy Zimmermann, Basel "Der Rezensent verhöhnt die Opfer" Darf man/Peter Schibli das? Nein, darf er nicht! Es ist nicht nur geschmacklos, sondern antisemitisch, wie Peter Schibli in dieser Rezension zwei Mal seine Dankbarkeit gegenüber Adolf Hitler anklingen lässt, Kurt Weill ins amerikanische Exil vertrieben zu haben (geht auch nicht mit ironischem Unterton, über Millionen Ermordete macht man keine Witze). Der Rezensent verhöhnt damit die Opfer des Nationalsozialismus als "Kollateralschaden" einer Kulturleistung, die nur "dank" einer erzwungenen Migration in die USA entstanden sein soll. Dort komponierte Weill "Lady in the Dark". Ich hoffe, OnlineReports korrigiert diese verletzende Volte umgehend und entschuldigt sich dafür. Daniel Wiener, Basel |
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