© Foto by OnlineReports.ch
"Geschäft beschleunigen": Seltisberger Gemeindeverwaltung
Seltisberger Eigenheim-Affäre: Behördenfilz ist jetzt offiziell
Geschäftsprüfungs-Kommission spricht von Interessenskonflikten und Versäumnissen von Gemeinderat und Baukommission
Von Peter Knechtli
Der Bericht der Seltisberger Geschäftsprüfungs-Kommission zur Eigenheim-Affäre bringt neue Ungereimtheiten ans Tageslicht. Unter anderem hatte Vanessa Duss Jacobi als Seltisberger Gemeinderätin Korrespondenzen in einer Angelegenheit geführt, die den Bau ihres privaten Eigenheims betraf.
Die Geschäftsprüfungs-Kommission (GPK) der Gemeinde Seltisberg stellt in ihrer Untersuchung des Behörden-Umgangs mit der sogenannten Eigenheim-Affäre um Oliver Jacobi und seine Ehefrau Vanessa Duss Jacobi unter anderem "mögliche Interessenkonflikte" fest. Der GPK-Bericht, auf Antrag von Duss Jacobi im Auftrag des Gemeinderates verfasst, wurde auf Anordnung der Geschäftsprüfer diese Woche im neusten Gemeinde-Anzeiger veröffentlicht.
Im Gemeinderat betrifft dies die für Tiefbau zuständige Vanessa Duss Jacobi, deren Stellvertreter Stephan Hersberger ist. In der kommunalen Baukommission sind laut GPK drei von fünf Mitgliedern – also eine Kommissionsmehrheit – Interessenskonflikten ausgesetzt: Präsident Ruben Rosa (Bauleiter des Jacobi-Eigenheims), Oliver Jacobi (Co-Bauherr) und Reto Kestenholz (der am Jacobi-Bau einen Auftrag ausführte). Die von "starken Eigeninteressen" betroffenen Jacobi und Rosa seien – "soweit dies GPK/RPK die feststellen konnte" – bei den "protokollierten relevanten Sitzungen" jeweils in den Ausstand getreten.
"... um Verzögerungen zu verhindern"
Der Ausstand, wenn es um den Jacobi-Bau ging, beschränkte sich laut den Protokollen aber teilweise darauf, dass die Betroffenen sich zum Geschäft nicht äusserten, aber dennoch an der Sitzung anwesend waren und offenbar den Diskussionsverlauf verfolgten. Die Kommission empfiehlt deshalb, "dass bei Eigeninteressen die betroffenen Mitglieder jeweils den Sitzungsraum verlassen und erst nach der Behandlung und Entscheidfindung wieder den Sitzungsraum betreten sollten".
Die Kommission notiert aber "eine festgestellte Ausnahme": Ein nicht namentlich genanntes "Mitglied des Gemeinderates" führte bei der Verlegung von Kabeln in die Zufahrtsstrasse zum Haus Jacobi "selbst Korrespondenzen", um "dieses Geschäft zu beschleunigen, um somit Verzögerungen in den Bauarbeiten zu verhindern". Welches Gemeinderats-Mitglied in eigener Privat-Sache Korrespondenzen führte, geht aus dem Kommissionsbericht nicht hervor. OnlineReports-Recherchen zeigen: Es war Vanessa Duss Jacobi.
Gemeindebehörden wussten von Plan-Abweichungen
Die Kommission wirft dem Gemeinderat und der Baukommission auch "Versäumnisse" vor, auch wenn dabei "keine absichtlichen Unterlassungen" festgestellt worden seien. Am 2. Oktober letzten Jahres monierte das kantonale Bauinspektorat in einem eingeschriebenen Brief beim Gemeinderat, dass das Haus der Jacobis bezüglich Swimming Pool, Schöpfli und Veranda nicht nach den genehmigten Plänen gebaut wurde. Trotzdem erhob der Gemeinderat keine Einsprache gegen die bereinigten Pläne und genehmigte "nachträglich" den Ausnahme-Antrag, auf dem Schöpfli ein Flachdach statt ein geneigtes Dach zu erstellen.
Die GPK hält denn auch fest, dass Co-Bauherrin Vanessa Duss Jacobi als Gemeinderätin wie auch Baukommissions-Präsident Ruben Rosa sowie ihr Ehemann Oliver Jacobi als Mitglieder der Baukommission informiert waren, dass nicht nach genehmigten Plänen gebaut worden sei. Dennoch habe weder der Gemeinderat noch die Baukommission gehandelt, nachdem der Gemeinderat das Schreiben des Bauinspektorats erhalten hatte. "Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte der Gemeinderat diese Sache einer genaueren Prüfung unterziehen müssen."
Drohung mit juristischen Schritten
Der jüngste Gemeinde-Anzeiger geht über den GPK-Bericht hinaus ausführlich auf die Eigenheim-Affäre ein – unter anderem mit einer ebenso ausführlichen Stellungnahme von Gemeinderätin Duss Jacobi, die von "medialen Verzerrungen" schreibt, ohne sie zu konkretisieren. Darin nimmt sie auf die Kritik der GPK keinen Bezug, beruft sich auf ein laufendes Verfahren und droht Kritikern ihres Vorgehens beim Bau des Eigenheims mit Strafanzeige und Zivilklage.
Der Gemeinde-Anzeiger enthält auch einen Auszug aus einem Newsletter des kantonalen Bauinspektorats aus dem Jahre 2010. Kern der Aussage: Bewilligungsbehörde sei in jedem Fall das Bauinspektorat. Damit soll offenbar die Rolle der Gemeinde im Bewilligungsverfahren herabgemindert werden.
Was der Gemeinderat verschwieg
Eine Überprüfung durch OnlineReports ergab, dass der Gemeinderat in seinem Newsletter-"Auszug" eine entscheidende Passage aus dem Original des Bauinspektorats gestrichen hat. Darin heisst es: "In der Auslegung einzelner Reglements-Bestimmungen kommt der Gemeinde zwar ein erheblicher Spielraum zu, massive Abweichungen oder zonenwidrige Bauvorhaben müssen aber auch von den Gemeinden ablehnend beurteilt werden."
Diese – entscheidende – Passage, die den Gemeinderat klar in die Verantwortung nimmt, fehlt im Seltisberger Gemeinde-Anzeiger. Seiner Bevölkerung gegenüber verschwieg der Gemeinderat aber noch mehr. Im Brief vom 12. November 2015 an die Seltisberger Bauverwaltung erinnerte das Bauinspektorat den Gemeinderat an seine im Raumplanungs- und Baugesetz verankerte Pflicht (Wortlaut siehe Box unten), "Einsprache zu erheben, wenn Bau- und Planungsvorschriften verletzt sind".
Im Kurzbericht des Gemeinderates vom 23. November 2015 – unterschrieben von Gemeindepräsident Bernhard Zollinger und Gemeindeverwalterin Stephanie Berger – wurde die Frage "Entspricht das Baugesuch den Zonenvorschriften?" mit "Ja" beantwortet. Dies, obschon Mitglieder des Gemeinderates und der Baukommission am Bau des Eigenheims direkt beteiligt waren und von den Abweichungen beste Kenntnisse hatten.
Kommentar vom 9. Februar 2016: "Ein Staats-Kadermann wird zur Belastung"
Kommentar vom 25. Februar 2016: "Fall Jacobi: Die Trennung war unumgänglich"
Kommentar vom 28. März 2016: "Seltisberg: Apropos juristisches Fachwissen"
Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
25. März 2016
Weiterführende Links:
Die Pflicht des Gemeinderates
Der Gemeinerat hat im Baubewilligungs-Verfahren auch Pflichten. Absatz 3 von Paragraf 127 des kantonalen Raumplanungs- und Baugesetzes verlangt:
"Der Gemeinderat ist verpflichtet, Einsprache zu erheben, wenn Bau- und Planungsvorschriften verletzt sind."