© Fotos by Christof Wamister
Zwischen Neubau und Hammerschmitte: die Situation am St. Alban-Teich.
Wakkerpreis: Münchenstein und das Megaprojekt am Dychrain
Zehn Ortschaften im unteren Birstal werden vom Schweizer Heimatschutz ausgezeichnet. Zeit für eine kritische Betrachtung der baufreudigen Gemeinde Münchenstein und ihrer Vorhaben entlang des St. Alban-Teichs.
Von Christof Wamister
Die Gemeinde Münchenstein schiebt sich wie ein Riegel durch das unterste Birstal, den Wirkungsbereich des Vereins Birsstadt, der für seine Planungsleistung mit dem Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes ausgezeichnet wird (siehe Info-Box unten). Ausser Grellingen ist Münchenstein die einzige der zehn Gemeinden, die markant auf beiden Seiten der Birs, des namengebenden Flusses, präsent ist.
Das hat aber den Nachteil, dass Münchenstein in verschiedene Ortsteile zerfällt, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben: Da ist einerseits der historische Ortskern in erhöhter Lage. Andererseits findet sich Neumünchenstein, mit der teilweise noch vor dem Ersten Weltkrieg angelegten "Gartenstadt", am Rande beeinträchtigt durch ein architektonisch liebloses Gewerbehochhaus, sodann die Hälfte des Lagerareals Dreispitz (mit der Kunsthochschule, dem Kunsthaus und anderen Architekturperlen).
Es folgen weitere Mikroquartiere wie das Ruchfeld und dann die Brüglingerebene, auf der sich das Erholungsareal Seegarten und die Stadtbasler Sportanlagen befinden, und die "Neue Welt", ein zwischen Birs, Autobahnzubringer, Hauptstrasse und Eisenbahnlinie etwas eingezwängtes Dreieck. Südlich der Neuen Welt, bei der Hofmatt, überquert die Autobahn schräg (!) die Birs, um entlang der Rütihard der Einmündung in den Schänzlitunnel zuzustreben.
Pluspunkt für die Birsstadt
Das Quartier bei der Neuen Welt ist wohl auch ein Grund dafür, wieso die A18 nicht links der Birs geführt wurde. Denn hier entstand mit den Wasserhäusern bereits 1920 eine Reihe von Einfamilienhäusern mit Gärten, die unter kantonalem Denkmalschutz stehen und sogar im nationalen Inventar der schützenswerten Ortsbilder verzeichnet sind. Als Ausgleich für die Schutzmassnahmen wurden sie 1995 bis 1998 architektonisch qualitätvoll um vier Hausreihen erweitert. Ein Pluspunkt für die Birsstadt.
Idyllisches Münchenstein: die Allee bei den Wasserhäusern.
Birsseitig kann die Neue Welt mit einer weiteren Besonderheit aufwarten: dem Birswuhr oder Stauwehr, das im 17. Jahrhundert erstmals errichtet wurde, um den Gewerbekanal St. Alban-Teich (im Dialekt Dalbedych) abzuleiten. Dieser versorgte vor allem das städtische Gewerbe mit Betriebsenergie. Hier wird auch der Zusammenhang mit dem benachbarten Kanton Basel-Stadt deutlich.
Bei der Ausscheidung zwischen Einwohnergemeinde und Bürgergemeinde 1875 ging das Eigentum an den Wasserbauwerken an Letztere. Sie werden aber baulich vom Basler Tiefbauamt und den Industriellen Werken (IWB) betreut, die bis 2025 mit der Gesamterneuerung des Wuhrs und dem Bau einer neuen Fischtreppe beschäftigt sind.
Der St. Alban-Teich fliesst nach der Abzweigung aus der Birs vertieft und unzugänglich in ein Waldstück und tritt bei der ebenfalls im 17. Jahrhundert erstellten Hammerschmiede wieder in Erscheinung. Hier, unterhalb einer natürlichen Geländekante der ursprünglichen Birslandschaft, ist baulich einiges in Bewegung – und für die Zukunft ist noch mehr zu erwarten.
Widerspricht eigentlich gesetzlichen Vorschriften
Direkt an den alten Gewerbekanal gebaut, erheben sich die Rohbauten der Wohnüberbauung "Am Dych" mit zukünftig 173 Wohnungen. Ein langgestreckter, sechsstöckiger Block ist direkt an den Autobahnzubringer Bruderholzstrasse gesetzt, und die drei Bauten gruppieren sich um einen grünen Innenhof. Dass zwei Blöcke so direkt am Dalbedych gebaut werden, widerspricht eigentlich den gesetzlichen Vorschriften für eine beidseitige Freihaltung von Gewässerraum. Man habe darauf verzichtet, heisst es im Planungsbericht, weil es sich um einen künstlich angelegten Flussraum handle.
Die enge Bebauung entspricht aber auch der historischen Situation mit der Hammerschmiede zur Linken. Wo jetzt die Wohnüberbauung entsteht, befand sich früher die Läckerli- und Süsswarenfabrik Klein (heute in Frenkendorf), die auch direkt an den Gewerbekanal gebaut war. Bau und Planung ging ein langer Streit um die Mehrwertabgabe voraus, die die Gemeinde Münchenstein von den Investoren verlangen wollte, weil diese auf der Parzelle mehr Nutzung realisieren konnten. In Basel-Stadt ist dies schon lange üblich, aber in diesem Fall wurde die Gemeinde zuerst durch den bürgerlich dominierten Kanton gebremst.
Das Birswuhr wurde erstmals im 17. Jahrhundert errichtet.
173 neue Wohnungen bringen zweifellos mehr Autoverkehr, auch wenn die Investorin, die Swisscanto-Anlagestiftung, betont, dass die Tramstation in der Nähe liegt. Um 2016 plante die Gemeinde Münchenstein eine Erschliessungsstrasse, die allerdings durch den Park der denkmalgeschützten Villa Ehinger geführt hätte. Die Leitung des unmittelbar benachbarten Gymnasiums Münchenstein vernahm es aus den Medien. Die Folge waren Proteste, ein Referendum und die Ablehnung bei der Volksabstimmung. Die Erschliessung erfolgt nun durch nicht sehr breite Zufahrtsstrassen und das benachbarte Wohnquartier, das man mit der Park-Durchschneidung hätte schonen wollen.
Wohnheim soll ins Zollweidenquartier verlegt werden
Auch wenn ein Wohnquartier nicht so viele Fahrten erzeugt wie ein Einkaufszentrum, wird sich das Problem noch akzentuieren, denn auf dem Areal links des St. Alban-Teichs sind gemäss dem noch nicht abgeschlossenen Quartierplan Dychrain weitere 210 Wohnungen in Aussicht. Das Land bei der Hammerschmiede inklusive eine bis jetzt als Obstplantage oder Schafweide genutzte grüne Fläche gehört der Christoph Merian Stiftung (CMS), die ihre Absichten bestätigte: "Die CMS möchte das Gebiet in den nächsten Jahren entwickeln und neuen Wohnraum schaffen," sagt Sprecher Carlo Clivio.
Ein grosser Teil der Fläche wird vom Beschäftigungs- und Wohnheim "Dychrain" belegt, mit dessen Wegzug aber in der Planung bereits gerechnet wird. Der für eine Auskunft zuständige Stiftungspräsident Urs T. Fischer will sich auf Anfrage von OnlineReports dazu konkret nicht äussern. Man pflege aber ein gutes Verhältnis zur Baurechtsnehmerin CMS. Der "Dychrain" wurde 1985 als Heim für Cerebral-Gelähmte und Schwerbehinderte eröffnet und 1994 erweitert.
Die Bauverwaltung Münchenstein gibt keine weiteren Auskünfte und verweist auf die Planungsdokumente. Bekannt ist aber, dass das Wohnheim an einen neuen Standort im Münchensteiner Zollweidenquartier verlegt werden soll, in einen mehrstöckigen Bau, "direkt an der Autobahn", wie ein kritischer Quartierbewohner anmerkt.
Mit dem Projekt geht es aber offenbar nicht vorwärts, denn die Aufgabe ist auch für die Verkehrsplanung anspruchsvoll. In den Ankündigungen ist von "autoarm" und "verkehrsreduziert" die Rede. Aber immerhin werden mittelfristig fast 400 neue Wohnungen – die seit den 60er-Jahren bestehende Wohnsiedlung Teichweg nicht eingerechnet – bei bestehendem und nicht ausbaufähigen Strassennetz im Areal am alten Gewerbekanal platziert.
Folgen wir zum Abschluss dem Lauf des St. Alban-Teichs noch einige Schritte weiter. Lückenlos lässt sich dies nicht tun, denn die Unterführung des Kanals unter der Bruderholzstrasse ist dem Fussgänger verwehrt. Und wegen der Baustelle muss er für den Weg in das Parkareal Seegarten/Grün 80 einen Umweg in Kauf nehmen, der sich aber lohnt. Denn jenseits, immer noch auf Münchensteiner Boden, wird der St. Alban-Teich wirklich zum Teich, aufgestaut zur populären Seenlandschaft.
Und Richtung Rhein lässt sich der Weg entlang des Gewerbekanals praktisch lückenlos begehen, mit Ausnahme der Verkehrswüste der St. Jakobs-Kreuzung – aber da sind wir schon in Basel-Stadt.
5. Juni 2024
Weiterführende Links:
Wakkerpreis für Reparatur 40-jähriger Sünden
Der Schweizer Heimatschutz (SHS) hat dem Verein Birsstadt den Wakkerpreis 2024 verliehen. Die Preisübergabe findet am Samstag, 22. Juni 2024, auf dem Arlesheimer Domplatz statt. Die Birsstadt ist eine gemeinsame Aktion der Gemeinden Aesch, Arlesheim, Birsfelden, Dornach, Duggingen, Grellingen, Muttenz, Münchenstein, Pfeffingen und Reinach.
Der Begriff Birsstadt kam 2007 auf, als der damalige Baselbieter Kantonsplaner den Gemeinden im Birstal nahelegte, zusammenzuarbeiten und nicht einfach nur zusammenzuwachsen. Dies wurde dann auch von der Architekturzeitschrift "Hochparterre" propagiert.
Was die Birsstadt leistet, ist eigentlich nichts anderes als die Reparatur der Sünden früherer Jahre. Noch Ende der 70er-Jahre wurde zwischen Münchenstein und Reinach ein grosses Stück Wald gerodet, um die Autobahn A18 auf dem westlichen Birsufer führen zu können. Das 1982 abgeschlossene Vorhaben war bis in bürgerliche Kreise umstritten, denn es hätte sich eine Alternative auf der anderen Birsseite angeboten.
Dies wäre möglicherweise mit einer riesigen Untertunnelung von Dornachbrugg verbunden gewesen – oder einer zweiten hässlichen Birsüberquerung. Ein Tunnel war aber auch bei der heute bestehenden Variante notwendig, um das bedeutende Naturschutzgebiet Reinacher Heide und das Reinacher Gartenbad zu schonen. (wa.)