© Fotos by Peter Knechtli, OnlineReports.ch / Stiftung Habitat
"Lebenswertes Stadtumfeld": Energie-Pioniere Nussbaumer, Appenzeller
Erlenmatt Ost: Ein Musterbeispiel für dezentrale Energieversorgung
ADEV und Habitat machen mit der neuen Instrument der Eigenverbrauchs-Gemeinschaft von der Liberalisierung Gebrauch
Von Peter Knechtli
Die Mieter in der Basler Habitat-Siedlung "Erlenmatt Ost" erhalten ihre Stromrechnungen nicht mehr vom staatlichen Versorger IWB, sondern von der privaten Liestaler Firma ADEV: Sie zeigt im grossen Stil, wie dezentrale, nachhaltige Energie-Versorgung als Folge der Energiestrategie 2050 aussieht.
"Der Umbau der Energieversorgung in Richtung Dezentralisierung geht so weiter. Man kann das nicht mehr stoppen", ist der Baselbieter SP-Nationalrat Eric Nussbaumer überzeugt. Als Verwaltungsrats-Präsident der genossenschaftlich organisierten ADEV, die im einstigen Liestaler Offiziers-Casino an der Kasernenstrasse domiziliert ist, hat er nicht nur für die Energiewende gekämpft, sondern auch mit dazu beigetragen, dass im neuen Energiegesetz eine grundlegende Systemerweiterung vorgesehen ist: die Bildung von Eigenverbrauchs-Gemeinschaften.
500 Bewohnende in 200 Wohnungen
Künftig darf ein privater Stromproduzent selbst produzierten Strom an Nutzer-Gemeinschaften an Dritte verkaufen. Das können Nachbarshäuser sein oder – bevorzugt – grössere Wohn- und Gewerbeüberbauungen, wie sie das auf dem ehemaligen Deutsche Bahn-Areal in Basel gelegene und im Bau befindliche "Erlenmatt Ost" darstellt. Landeigentümerin ist die Stiftung Habitat, die das Land im Baurecht an Wohngenossenschaften abgibt und selbst als Bauherrin von vier der insgesamt 13 Gebäuden auftritt.
Nachdem im Frühling 2017 die ersten Mieter eingezogen waren, werden bis Mitte dieses Jahres 500 Personen 200 Wohnungen besetzen. Ziel der Habitat war es, eine gut durchmischte, sozial wirksame Wohnumgebung zu schaffen, in der verschiedenste Mieter-Bedürfnisse und Betätigungsanliegen erfüllt werden können.
Passend zur DNA von Habitat
Zu den zentralen baulichen Hauptansprüchen zählte neben der Schaffung von hoher Lebensqualität und der Verstärkung des Trends zur Nähe von Wohnen und Arbeiten die Einrichtung einer nachhaltigen Energieversorgung, kombiniert mit vorbildlicher Wärmedämmung – kurz: ein ökologisches und gesellschaftliches Vorzeigebeispiel.
Laut Urs Buomberger, Leiter "Projektbüro Erlenmatt Ost", gehören ökologische Fragen und die Schaffung eines "lebenswerten Stadtumfelds" statutarisch "zur DNA unserer Stiftung". Mehrere Start-up-Genossenschaften, die als Baugemeinschaften an "Erlenmatt Ost" beteiligt sind, sind an das Nachhaltigkeitskonzept der Stiftung gebunden.
130 Stromzähler ausgewechselt
Hätte die Bautätigkeit ihren üblichen Verlauf genommen, wären die Industriellen Werke Basel (IWB) für die Strom- und Wärmeversorgung zuständig gewesen. 130 IWB-Stromzähler waren schon installiert, als sich Habitat für die ADEV als Energielieferantin entschied. Die innovative Liestaler Firma, 1985 als "Arbeitsgemeinschaft für dezentrale Energieversorgung" aus der Anti-AKW-Bewegung entstanden, ist nun für das Energiegeschäft im "Erlenmatt Ost" zuständig.
IWB-Sprecher Erik Rummer bestätigte gegenüber OnlineReports, dass die ADEV im Fall Erlenmatt Ost "natürlich ein Konkurrent" sei. "Das hindert uns aber nicht daran, Firmen wie ADEV grundsätzlich als mitbewerbenden Partner zu betrachten, wenn sie – wie IWB – innovative Energielösungen auf Basis erneuerbarer Energien für die Kunden suchen und anbieten. Die Kunden sollen hierbei die Wahl haben."
Auf Grundeigentümerin zugegangen
Laut Rummer begrüssen die IWB diese Entwicklung. Sie entspreche "genau unseren Vorstellungen einer zukunftsfähigen, dezentralen Energieversorgung auf Basis der erneuerbaren Energien". Er sehe darin "grosse Chancen für IWB": So werden seine Kunden mit speziellen Angeboten unterstützt, "wenn sie selbst Strom produzieren und lokal verbrauchen wollen".
Das tut auch die ADEV. Sowohl Eric Nussbaumer, der selbst während 21 Jahren als Geschäftsführer tätig war, wie seinem Nachfolger Andreas Appenzeller, der das wachsende Unternehmen seit zehn Jahren als Vorsitzender der Geschäftsleitung führt, ist der Stolz anzumerken, wenn sie eine der grössten Eigenverbrauchs-Gemeinschaften der Schweiz erklären.
"Ich bin auf die Stiftung Habitat zugegangen und traf auf einen Partner, der jemanden suchte, der innovativ mitdenkt", sagt Appenzeller. "Wir garantieren einen Strompreis, der höchstens bei jenem der IWB liegt, oder günstiger ist."
Grundwasser als Energielieferant
Konventionelle Stromversorgung war kein Thema. 70 Prozent des Energieverbrauchs an Strom und Wärme wird selbst erzeugt: Riesige Photovoltaik-Anlagen mit 580 Kilowatt Leistung auf den Dächern und zwei zentrale, durch die Wärme des Grundwassers gespeiste und durch die eigenen Solarpanels
betriebenen Wärmepumpen mit insgesamt 600 Kilowatt Leistung werden im Endausbau 200 Wohnungen mit 500 Bewohnenden versorgen.
Der Clou: Das um fünf Grad abgekühlte Grundwasser wird vom nahegelegenen Pharmakonzern Roche als Kühlwasser verwendet und somit wieder auf Normaltemperatur erwärmt. Fünf je 14 Kubikmeter fassende Speicher enthalten 40-grädiges Wasser, das jeweils über kleinere dezentrale Wärmepumpen auf wohnungsgerechte 60 Grad erhitzt wird. Was die Eigenproduktion an Elektrizität nicht zu leisten vermag, wird von den IWB eingekauft, die für das Projekt ebenfalls offerierten. Eine wichtige Rolle in diesem komplexen Energieversorgungs-System spielt die Mess- und Regelungstechnik, die in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte erzielt hat.
Auto-Batterien als Stromlieferanten
Nicht nur die Produktion und Verteilung, sondern auch das Management wie die Abrechnung über eigene Stromzähler wird durch die ADEV besorgt. In der Garage werden zwei Elektro-Mietfahrzeuge stehen, deren Batterien zur Senkung der Verbrauchsspitzen zum Einsatz kommen. Über eine App lassen sich die Fahrzeuge reservieren, aber auch ihre Verfügbarkeit kontrollieren.
Für den 56-jährigen Elektroingenieur Andreas Appenzeller scheint der Einsatz der Autobatterie als Spitzenreserve "etwas Gescheites" zu sein: Er könne das Netz entlasten, erfordere dünnere Kabel und "geringe Leistungsbereitstellung", was "volkswirtschaftlich sinnvoll ist". Ob sich die Form des Energiespeichers Autobatterie jedoch bewährt, steht noch nicht fest. Ein Forschungsprojekt untersucht die Tauglichkeit.
"Nur marginale Probleme"
"Die Energieversorgung hat sehr gut funktioniert", attestiert Habitat-Projektchef Buomberger und fügt dann an, es habe "nur marginale Probleme" gegeben.
Ohne Frage ist, dass "Erlenmatt Ost" für die ADEV zum Flaggschiff geworden ist, das auch von der Bundesberner Energieverwaltung nicht unbemerkt geblieben ist. Heute Donnerstagabend darf die Liestaler Energiegenossenschaft im Berner Kursaal im Beisein der gesamten Schweizer Energiewirtschaft den renommierten Schweizer Energiepreis "Watt d'Or" in der Kategorie "Gebäude und Raum" entgegennehmen.
10. Januar 2019