Es geht um Macht
In Basel-Stadt stimmen wir diesen Sonntag zusätzlich zu den vier nationalen auch noch über drei kantonale Vorlagen ab und wählen eine Regierungsrätin. Dass ich ausgerechnet heute, kurz vor diesem entscheidenden Abstimmungstag, meine erste Kolumne schreibe, ist sowohl Fluch als auch Segen.
Fluch, weil ich eigentlich gerne mit einer persönlichen Kolumne gestartet wäre. Gerne hätte ich mich Ihnen vorgestellt und darüber nachgedacht, was diese Rolle als Kolumnistin für mich bedeutet. Das hätte mir wahrscheinlich geholfen, Sie, liebe Leserinnen und Leser, zu motivieren, meine Kolumnen auch in Zukunft zu lesen.
Meine starke politische Hälfte sagt mir aber: Auf diese wichtigen politischen Themen musst Du eingehen, das ist Privileg – und Segen! Und ja, Privilegien teilen, ist die Tugend der Stunde. Schliesslich geht es um wichtige Abstimmungen für die Zukunft.
Nun denn, meine erste Kolumne ist also politisch. Natürlich werde ich aber nicht einfach Parteiparolen niederschreiben.
Ich will über Macht sprechen.
Angesichts der zunehmenden autokratischen Strömungen auf der Welt müssen wir dringend die Demokratie stärken.
Denn Politik ist immer auch eine Frage der Machtverteilung – sei es bei Wahlen oder bei der Entscheidung über politische Inhalte. Wer entscheidet worüber, und wie weit geht die Macht? Wie wird Macht begrenzt? Eine zu starke Machtkonzentration bei einer Gruppe ist gefährlich. Genau deshalb sind unsere demokratischen Institutionen und die Gewaltenteilung (checks and balances) so wichtig. Für mich ist die Machtfrage deshalb ein wichtiger Kompass, um zu meinen politischen Entscheidungen zu kommen.
Drei Beispiele:
Bei den beiden Mietvorlagen steht eine relativ banale Frage im Mittelpunkt: Wie weit soll die Macht der Vermieter:innen gehen? Mieter:innen hängen bereits jetzt von den Entscheidungen ihrer Vermieter:innen ab. Doch diese Vorlage verstärkt dieses Machtungleichgewicht zusätzlich – um noch mehr Rendite zu erzielen. Für mich ist klar: Das darf nicht passieren, denn es geht um ein existenzielles Gut, um das Dach über dem Kopf.
In Basel-Stadt stimmt das Stimmvolk beim Stimmrecht für Einwohnende darüber ab, wer in Zukunft die Macht hat, politisch mitzubestimmen. Auf der Meta-Ebene heisst das: Wer hat die Macht, über Machtverteilung zu urteilen?
Das erinnert an die historische Frauenstimmrechts-Abstimmung, als Männer – im Sinne der Demokratie – beschlossen haben, Macht zu teilen. Das sollte auch jetzt im Mittelpunkt stehen. Angesichts der zunehmenden autokratischen Strömungen auf der Welt müssen wir dringend die Demokratie stärken. Das machen wir, wenn wir der Bevölkerung, die hier sesshaft ist, in die Entscheidungen und Machtverteilung einbeziehen.
Wenn man sich zusammentut, kann Einfluss genommen werden und Macht entstehen.
Auf einer subtilen Ebene geht es auch bei der Musikvielfalts-Initiative um eine Machtfrage. Es ist historisch gewachsen, dass vor allem klassische Musik von der staatlichen, von Steuergeldern finanzierten Kulturförderung profitiert. Die professionellen Institutionen und Orchester sind in Basel-Stadt stark verankert. Im Vergleich zu einzelnen freischaffenden Musiker:innen haben sie dementsprechend auch mehr Einfluss und damit mehr Macht.
Was die Initiant:innen auf die Beine gestellt haben, ist bemerkenswert. Sie haben innerhalb kürzester Zeit eine Kampagne aufgezogen, die in der Zivilbevölkerung sehr breit abgestützt ist. Ja, sie haben es geschafft, viele unterschiedliche Menschen zusammenzubringen, um sich gemeinsam für ein Ziel einzusetzen: mehr Unterstützung von freischaffenden Musiker:innen und damit eine vielfältigere Musikförderung. Egal, wie das Abstimmungsergebnis am Sonntag ausfällt – die Initiant:innen haben gezeigt, dass eine Einflussnahme möglich ist und Macht entstehen kann, wenn man sich zusammentut.
Vor dem Hintergrund der beängstigenden Wahlen in den USA und autokratischen Strömungen weltweit geben mir zivilgesellschaftliche Bewegungen wie diese Hoffnung. Wenn wir uns für grössere und kleinere Anliegen zusammenschliessen, dann entsteht Macht dort, wo sie als Gegengewicht unverzichtbar ist.
18. November 2024
"Das Gegenteil findet statt"
Mein ältester Enkel (29) hat Psychologie studiert mit Abschluss. Ab und zu erlaubt er sich mal vorbeizuschauen, unter anderem interessiert ihn auch, was der Grossvater so liest. Er hat bemerkt, dass ich die Kolumne von Melanie Nussbaumer am Lesen bin. Die Reaktion von ihm kam postwendend und ein bisschen in einer höheren Tonlage.
Zum Kommentar von Herrn und Frau Brand aus Kapstadt meinte er: "So sieht eine Einschätzung aus, wie es sein sollte oder könnte. Nur findet in der Gegenwart schon länger das Gegenteil statt: Die Bürger passen sich den Regierungen oder jenen an, die das Geld und dadurch die Macht und das Sagen haben. Das Volk merkt schnell einmal, dass da einiges nicht stimmen kann und schief läuft. Und dann regt man sich auf über die Staatsverdrossenheit der Bürger mit zum Teil 50 Prozent Stimmenabstinenz. Frau und Herr Brand sind Träumer und blauäugig und dazu geeignet, dass die Finanzmacht und Regierungen weiter an der Bevölkerung vorbei wursteln können, da diese Bevölkerungsgruppe das Selberdenken eingestellt hat, die nicht so schönen 'Begleiterscheinungen' sind das Ergebnis. Offensichtlich sind die beiden schon länger nicht in Europa gewesen, aber in Afrika sieht es auch nicht besser aus, im Gegenteil."
Da habe ich einfach gestaunt über so viel Empfinden eines jungen Bürgers. Dabei musste ich ihm Recht geben. Es hat was.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Sehr gelungen"
OnelineReports hat eine neue Kolumnistin. Frau Vergeat hört auf – schade, ich habe ihre Kolumnen immer gerne gelesen. Zum Bedauern über das Ausscheiden von Frau Vergeat mischt sich aber auch Freude über die neue Kolumnistin. Frau Nussbaumer steht mir als SP-Mitglied vermutlich politisch sehr nahe. Ein Grund mehr, OnlineReports auch in Zukunft zu lesen.
Ihr erstes "Werk" ist sehr gelungen. Es müsste Pflicht von Politikerinnen und Politikern sein, über Macht nachzudenken. Dies gilt ganz besonders in der heutigen Zeit. In immer mehr Ländern erhalten Politikerinnen und Politiker Macht. Sie gehen damit nicht sorgfältig und verantwortungsbewusst um, sondern missbrauchen diese schamlos zu eigenen Zwecken und Interessen. Die Wahlen in den USA sind das letzte, angsteinflössende Beispiel dafür, wie es Populisten mit unsäglichen politischen Inhalten und Plänen schaffen, Wahlen zu gewinnen.
Zum Glück gibt es noch Politikerinnen und Politiker wie Frau Nussbaumer, die Macht kritisch reflektieren. Ich freue mich auf die nächste Kolumne.
Thomas Zysset, Bolligen
"Nicht Macht, sondern ein Recht"
Sehr geehrte Frau Nussbaumer, Sie wollen über Macht sprechen und gleichzeitig die Demokratie stärken. Das befremdet, weil es sich widerspricht. In jeder Demokratie liegt die Macht allein beim Volk. Es ist der Souverän, der die Parlamente und damit die Regierung wählt. Diese, Legislative und Exekutive, sind neben der Justiz zwei der drei Gewalten, die sich gegenüber dem wählenden Bürger, dem Souverän, der Macht, zu verantworten haben. Sie haben keine Macht über das Volk oder über die Minderheiten. Der Souverän/Bürger ist der Chef und hat die Macht. Politik ist deshalb nicht eine Frage der Machtverteilung, denn die Macht des Bürgers/Souveräns kann gar nicht geteilt werden.
In der Demokratie entstehen politische Parteien, die der Meinungsvielfalt des Volkes entsprechen. Daraus wiederum entstehen Mehrheiten und Minderheiten, die sich gegenseitig zu respektieren haben. Die Mehrheit hat aber keine absolute Macht über die Minderheit. Bei allen Entscheiden ist es fundamental wichtig, die Meinung der Minderheiten zu berücksichtigen. Das ist Demokratie im Staatszusammenhang, sollte aber im täglichen Geschäfts- und Familienleben gleichermassen funktionieren.
Politisch mitzubestimmen, ist nicht Macht, sondern ein Recht, das der Stimmbürger Parteien oder Personen per Wahlurne erteilt. Dieses kann bei der nächsten Wahl vom Machthaber, dem Souverän, wieder entzogen beziehungsweise neu erteilt werden.
Wenn sich Interessengruppen zusammenfinden, können sie ihren Einfluss auf eine Sachfrage stärken, eine Mehrheit für einen Entscheid finden. Das Wort Macht ist in diesem Zusammenhang obsolet und erinnert an düstere Zeiten.
Was ist an den Wahlen in den USA beängstigend? Das Volk, der Souverän, hat entschieden, das ist zu respektieren und zu akzeptieren, auch das ist Demokratie.
Im übrigen, bitte nehmen Sie es mir nicht übel, ist Ihre Kolumne wegen der genderisierten Schreibweise mühsam zu lesen.
Alles Gute, viel GLück und beste Grüsse aus Cape Town von Heimweh-Baslern.
Erika und Walter Brand, Kapstadt
"Die Eingebürgerten wären gefragt!"
Liebe Melanie, ich freue mich, dass du Kolumnistin bist. Aber ich muss bereits auf deine erste Kolumne reagieren. Du machst Beispiele zu den Abstimmungen. Dazu zwei Bemerkungen:
Mietvorlage: Spricht eigentlich irgendjemand einmal darüber, wie Mieterinnen und Mieter mit den ihnen zur Verfügung gestellten Wohnungen umgehen? Wie sie diese hinterlassen, wenn sie ausziehen? Was für Ansprüche sie haben (Was, nur 1 WC? Oh, der Holzboden knarrt! Es muss eine Terrasse nach Süden sein. Velos in den Keller stellen – geht gar nicht!)?
Man muss unbedingt damit aufhören, alle Vermietenden in einen Topf zu schmeissen. Als Vermieterin weiss ich, wovon ich rede. Und ich muss sagen, die Herausforderungen als Hausbesitzende nehmen ständig zu. Alleine die Verpflichtung, eine neue Heizung einzubauen, vielleicht nach Wärme zu bohren (Kostenvoranschlag 110'000 Franken ohne Nebenarbeiten) oder einen Wärmetauscher einzurichten (Kostenvoranschlag 78'000 Franken ohne Nebenarbeiten) ist eine Herausforderung. Ja, wir haben Mieteinnahmen, aber wir sind laufend daran, alte Geräte zu ersetzen. Immer wieder gibt es Ausgaben (zum Beispiel für Malerarbeiten), die zu stemmen sind – abgesehen von den viele Abgaben an den Kanton. Die Dachwassergebühr ist nur ein Beispiel. Ja, Vermietende zahlen den Regen, der auf das Dach prasselt und in die Kanalisation geleitet wird.
Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer: Was ist eigentlich mit der grossen, schweigenden Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer, die nie abstimmen gehen? Darunter hat es eine erkleckliche Anzahl eingebürgerter Menschen! Darüber redet niemand. Darum "verhebt" bei mir das Argument nicht, dass wenige Schweizerinnen und Schweizer über viele Ausländerinnen und Ausländer bestimmen. Die Eingebürgerten wären gefragt!
In diesem Sinne freue ich mich auf weitere Diskussionen mit dir und wünsche dir viel Erfolg mit deiner neuen Kolumne.
Beatrice Isler, Basel