Die Angst vor den "Senf-Kindern"
Statt in den letzten Wochen ins neue Semester zu starten, leiste ich gerade meinen langen, halbjährigen Zivildienst-Einsatz.
Dort begleite ich die Besucher*innen eines offenen Kinder- und Jugendtreffs – wenn ich nicht gerade das Jugendhaus putze, Brombeersträucher zurückschneide oder Brennesseln ausrupfe.
Weil auf dem Areal auch Esel, Zwergziegen und Hühner gehalten werden, machte ich zu Beginn des Einsatzes zwei neue Erfahrungen: täglich von Tieren umgeben zu sein – und am Abend entsprechend zu riechen. Und die grössere Herausforderung: täglich mit Kindern im Primarschulalter umzugehen.
Anekdoten aus meinem Alltag, die ich Freund*innen von der Uni nach Feierabend erzähle, klingen dann teilweise spektakulär. Von "Heute habe ich ein verstorbenes Huhn auf die Kadaver-Sammelstelle gebracht" bis "Im Streit darum, wer jetzt König sein darf, sind zwei Jungs beim Theäterle mit Holzschwertern aufeinander losgegangen" ist alles mit dabei.
Der Tenor in meinem Umfeld ist:
Kinder sind nervig.
Klingt unterhaltsam und abwechslungsreich. Ist es auch. Dabei wusste ich vor dem Einsatz gar nicht, ob ich mit Menschen in diesem Alter überhaupt etwas anfangen kann.
Abgesehen vom spontanen Baby-Fever, das ab und zu bei den einen oder anderen Freund*innen ausbricht, wenn sie einem süssen Kleinkind begegnen, ist der Tenor in meinem Umfeld eher: Kinder sind nervig.
Vernichtend fällt das Urteil aus, wenn "coole" junge Eltern mit ihren senffarben gekleideten Kindern am Sonntagnachmittag das ganze Café einnehmen, die Kleinen alles, was greifbar ist, in die Hände und den Mund nehmen, und die anderen Gäste das sogar noch cute finden. Ich sei sicher auch so ein "Senf-Kind" gewesen, kriege ich dann zu hören.
Keine Sorge (oder Hoffnung), liebe Eltern, Enkelkinder gibt es so schnell noch nicht.
Jetzt im Einsatz ist mir der Zugang zu den Kindern aber überraschend leicht gefallen. Auch das Halbwissen aus den Zivi-Kursen wird obsolet, wenn man merkt, dass es oft bereits reicht, einfach präsent zu sein. Die Motivation und Begeisterungsfähigkeit der Kinder sind so gross, dass man nur hin und wieder Angebote zu machen braucht, was sie mit einem langen Mittwochnachmittag anfangen könnten. Der Rest geht oft von allein. Ausser es kommt die Frage auf, wer König spielen darf.
Der Einsatz bleibt zugleich eine Pflicht, die in die Ausbildungsjahre hineingedrückt wird, und die bereits bestehenden Herausforderungen wie den Studienabschluss und Fragen nach dem "Wie weiter?" noch zusätzlich verschärfen.
Und auch wenn ich jetzt im Zivildienst verhältnismässig begeistert bin von der täglichen Arbeit mit Kindern: Keine Sorge (oder Hoffnung), liebe Eltern, Enkelkinder gibt es so schnell noch nicht.
Weil die sonst garantiert zu Senf-Kindern würden. Und weil es nach jedem Arbeitstag auch erleichternd ist, das Tor zum Treff zu schliessen und einen Feierabend nur unter Erwachsenen verbringen zu können.
15. Oktober 2023
"Eine willkommene Abwechslung"
Eine erfrischende und vor allem positive Kolumne. Eine willkommene Abwechslung bei all den negativen Nachrichten dieser Tage. Beim Lesen huscht ein Lächeln über die Lippen!
Marina Fink, Zunzgen