Ist Politik ein "Drecksgeschäft"?
"Politik ist ein Drecksgeschäft." So äusserten sich Peter Riebli und Caroline Mall, die für die SVP im Baselbieter Landrat politisieren, am 11. April 2024 gegenüber dem Online-Magazin "Prime News".
Auslöser dieses knallharten Urteils war ein ungewöhnlicher Vorgang in der SVP-Fraktion. Eine Mehrheit hatte Fraktionspräsident Peter Riebli und dem Vizepräsidium, dem Caroline Mall angehörte, das Vertrauen entzogen und eine neue Fraktionsleitung gewählt. Die Abgesetzten sprachen von einem "handstreichartigen Vorgehen". Auch von einem "Putsch" war die Rede.
Ein Putsch in der beschaulichen Baselbieter Politik? Wenn es heftig knallt, wird der Ton scharf. Die in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Streitigkeiten, die die SVP Baselland in den letzten Monaten erschütterten, setzten allen Beteiligten zu. Niemand wünscht einer Partei solche Turbulenzen.
Nirgends sind demokratische Mitwirkungsrechte stärker ausgebaut.
Politik, ein Drecksgeschäft? Riebli und Mall schleuderten ihren Satz unter dem Eindruck ihrer inzwischen als vorübergehend zu taxierenden parteiinternen Entmachtung in den medialen Ring. Wurde der Satz mit der heissen Nadel gestrickt? Das wäre meines Erachtens zu kurz gegriffen.
Die Schweiz ist das Land, in dem die Bevölkerung am direktesten auf die Politik einwirken kann. Nirgends sind demokratische Mitwirkungsrechte stärker ausgebaut, nirgends verbindlicher ausgestaltet als bei uns. Zur Abstimmung kommende Referenden und Volksinitiativen sind auf allen drei Staatsebenen "courant normal".
Trotz dieser eingespielten Teilhabe des Volkes an der Politik sind generelle, nicht an bestimmte Vorkommnisse geknüpfte Vorbehalte gegenüber Politikerinnen und Politikern weit verbreitet. In einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos zum Vertrauen in verschiedene Berufs- und Behördengruppen, die im Auftrag von Moneyland.ch, einem Online-Vergleichsdienst für Banken, Versicherungen und Telekom, am 31. Mai 2022 publiziert wurde, kommen die Schweizer Politikerinnen und Politiker schlecht weg. Sie liegen bei einem sehr tiefen Vertrauenswert von 14 Prozent.
In der Spitzengruppe sind die Pilotinnen und Piloten, die Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal (zwischen 63 und 66 Prozent Vertrauen oder hohes Vertrauen). Zuoberst stehen die Feuerwehrleute (74 Prozent Vertrauen oder hohes Vertrauen).
Politik ist nicht dreckiger als anderes, mit dem wir beruflich oder privat zu tun haben.
Die in den letzten Jahren nie abreissenden Krisen (Covid, Ukrainekrieg, in Bedrängnis geratene Stromproduzenten, Absturz der Credit Suisse) haben den Vertrauensverlust der Politik vergrössert. Der Bundesrat und die Kantonsregierungen erliessen ohne die Parlamente und ohne vorgängige Mitwirkung des Volkes umfangreiches, teils massiv in Grundrechte eingreifendes Notrecht. Das schiere Tempo der sich rasch ablösenden Notverordnungen, die schwindelerregende Höhe zugesagter Gelder und Garantien sowie sich fundamental widersprechende, heftig austeilende Politikerinnen und Politiker verfestigten negative Eindrücke. Die sozialen Medien verstärkten sie weiter.
Und doch liegen Riebli und Mall falsch. Politik ist nicht dreckiger als anderes, mit dem wir beruflich oder privat zu tun haben. Politikerinnen und Politiker können charakterschwach, beeinflussbar, geltungssüchtig, beschränkt, kaltherzig und korrupt sein. Genauso aber mutig, eigenständig, bescheiden, klug, empathisch und unbestechlich.
Wie wir alle können sie Fehler machen. In der Politik schauen wir aber genauer hin – zu Recht, weil sie uns jederzeit betrifft. Politikerinnen und Politiker müssen sich verantworten, ihre Entscheide begründen, öffentlich hinstehen.
Am 25. April 2024, nur zwei Wochen nach seiner Abwahl als Fraktionspräsident, wurde Peter Riebli an der Generalversammlung der SVP Baselland zum neuen Parteipräsidenten gewählt. Mein Satz: Politik ist (manchmal) ein Thriller.
13. Mai 2024
"Schamlose Diffamierung"
"Politik ist ein Drecksgeschäft" – so die Meinung der beiden Baselbieter SVP-Mitglieder Peter Riebli und Caroline Mall. Möglicherweise haben sie damit ausschliesslich die SVP-interne Politik gemeint. Da würde ich nicht widersprechen.
Die Politik in unserem Land pauschal als Drecksgeschäft zu bezeichnen, ist eine schamlose Diffamierung unserer Demokratie und der demokratischen Institutionen. Ich stelle auch fest, dass der Ton rauher, teilweise aggressiv geworden ist. Natürlich gibt es Politker*innen, die intrigieren und "dräckeln". Eine Pauschalisierung ist trotzdem inakzeptabel. Die überwiegende Mehrheit unserer Politiker*innen sind integre Persönlichkeiten, die es nicht nötig haben, zur Dreckschläuder zu greifen.
Ich habe mich lange auf kommunaler Ebene in der Politik engagiert und in verschiedenen Gremien mitgewirkt. Natürlich wurde heftig, manchmal sehr heftig diskutiert und gestritten. An "Drecksgeschäfte" kann ich mich kaum erinnern.
Herr Riebli und Frau Mall wären gut beraten, zuerst vor der eigenen Türe zu kehren, bevor sie zum Zweihänder greifen.
Thomas Zysset, Bolligen
"Ein gefährliches Spiel"
Marc Schinzel bringt es prima auf den Punkt. Politik ist nichts für Zartbesaitete. Wer sich mit ihr einlässt, braucht als Voraussetzung ein offenes Gemüt, Mut, Weisheit und Weitsicht.
Das Drama ist, dass diese Eigenschaften im Schwinden begriffen sind. So besteht die Gefahr, dass das Feld den Extremisten überlassen wird. Die lauten Töne dominieren und es kommt zu Ränkespielen, wie wir sie jüngst erlebt haben. Wer nach der starken Hand und harter Führerschaft ruft, treibt ein gefährliches Spiel.
Alfred Vogelsanger, Oberwil
"Warum wohl?"
Es war und ist noch immer so: Jedes Land hat die Regierung, die es selbst gewählt oder eben nicht gewählt hat. Das sieht in der Praxis in der Schweiz so aus, dass es 60 Prozent Nichtwähler gibt, und wenn wir die 40 Prozent Stimmenden auf die Parteien zurückrechnen, am Schluss uns eine kleine Minderheit regieren darf. Das verkauft man dann als hochgelobte Demokratie.
Da muss man sich eben nicht wundern und jammern, dass die Politikverdrossenheit immer grösser wird. Offensichtlich gefällt es gewissen Parteien so. Warum wohl?
Bruno Heuberger, Oberwil
"Ein Muster ohne Wert"
Wenn es 86 Prozent der Menschen an Vertrauen in die Politik fehlt, so kann dies aus gewohnt demokratischer Sicht als eine grosse Mehrheit bezeichnet werden.
Da alle gewählt worden sind, scheint dies nicht allein ein personelles, sondern ein strukturelles Phänomen. Die parlamentarische Parteiendemokratie entspricht einer Welt, die sich (auch ohne Waffen) im Prinzip in einem dauernden Kriegszustand befindet. Wo Fortschritt als eine Folge von Siegen gesehen wird: beispielsweise eines Sieges über die Linken oder über die Rechten, über die Frauen oder über die Männer, über die Liberalen oder über die Eliten, über die Abwanderer oder über die Zuwanderer, über die CO2-Stopper oder über die Klima-Fetischisten.
Dies alles und noch sehr viel mehr findet nach in etwa dem gleichen Muster statt: Es braucht einen Gegner und ein Streitobjekt. Das Kampf-Muster spaltet polarisierend in "wir" und "die anderen". In diesen K(r)ampf investieren alle allseits 99 Prozent ihrer Energie.
Dabei sind eigentlich nicht vor allem die anderen schlimm, sondern dieses Muster. Es ist ein Muster ohne Wert. Das Kampf-Muster führt immer noch mehr in die Sackgasse einer Welt, die so im Kleinen wie im Grossen keine Zukunft haben kann. Was insbesondere aber mächtig Verantwortliche sowie ihre Medien scheinbar nicht verstehen können, oder es nicht wissen wollen.
Ueli Keller, Allschwil
"Parteibasis sagt, wo es langgeht"
Die Landräte haben sich in ihrer Fraktion durchgesetzt. Die Parteibasis jedoch sagt mit ihrer Wahl des Präsidiums, wo es langgeht, 1:1. Ab an die Arbeit, gilt für alle.
Anna L. Steiner, Sarnen