Tragen wir die Fackel von Freiheit und Demokratie weiter!
In der Welt geschieht viel. Am 5. November wählten die USA mit Donald Trump einen neu-alten Präsidenten. Im Januar werden die Republikaner die Regierung Biden ablösen. In Deutschland brach die Ampel-Koalition auseinander. Das Land wird im Februar wählen. Es sind erhebliche politische Verschiebungen zu erwarten.
Machtwechsel sind der Normalfall in Demokratien. Ein ordnungsgemäss zustande gekommenes Wahlresultat ist zu akzeptieren. Dieser Konsens scheint nicht mehr selbstverständlich zu sein. Als der damalige republikanische Vizepräsident Mike Pence, ein christlich-konservativer Mann, am 6. Januar 2021 seiner Pflicht nachkommen und die Wahl von Joe Biden anhand der vorher detailliert geprüften Ergebnisse feststellen wollte, musste er vor einem wütenden Mob fliehen. Der unterlegene Donald Trump hatte diesen zuvor in Reden "heiss" gemacht.
Egal, wo wir politisch stehen: Solche Exzesse dürfen wir nicht hinnehmen. Demokratische Macht ist auf Zeit übertragene Regierungsverantwortung gegenüber allen im Land – auch gegenüber denen, die andere gewählt oder nicht an der Wahl teilgenommen haben. Die Demokratie lebt von der Erneuerung. Wahlsiegerinnen und -sieger freuen sich zu Recht über das in sie gesetzte Vertrauen. Sie haben aber keinen Freipass erhalten, um institutionelle "Checks and Balances" auszuhebeln und die Gegenseite zu verunglimpfen. Hybris ist fehl am Platz.
Freiheit und Demokratie stehen unter Druck wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.
Eine Regierung wächst an einer starken Opposition, die ihre Arbeit kritisch begleitet. Bei seiner Inauguration am 20. Januar 1961 sprach Präsident Kennedy von der Fackel, die auf eine neue Generation übergegangen sei ("the torch has been passed to a new generation"). Das Licht von Freiheit und Demokratie, so der Gedanke, leuchtet über Generationen und Regierungen hinweg. Der knapp unterlegene republikanische Gegenkandidat Richard Nixon sass bei Kennedy und schüttelte ihm lange die Hand. Der Respekt vor dem Amt und der Verfassung verband die beiden trotz aller politischen Gegensätze.
Freiheit und Demokratie stehen unter Druck wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Extreme Verschwörungstheorien, wonach die westlichen Staaten von sinistren Gestalten gelenkte Scheindemokratien seien, stossen auf Resonanz. Immer öfter hört man, das WEF, die Bilderberger, die Freimaurer oder die Juden – verklausuliert hinter Chiffren wie Rothschild oder "internationale Finanzoligarchie" – wollten eine globale Herrschaft errichten. Leute behaupten, die diktatorischen Regimes in Russland und China stünden uns näher als die USA.
Die Meinungsfreiheit in Russland ist auf dem Nullpunkt.
Sahra Wagenknecht, die den Spagat zwischen Marxismus-Leninismus und Rechtspopulismus spielend schafft, redet in Deutschland pausenlos davon, der Westen eskaliere gegen Russland. Putins tägliche Raketenangriffe auf die Ukraine, die Zerstörung ihrer Städte und Dörfer, das Bestreiten ihres Existenzrechts und die Annexion ihrer Gebiete sind kein Thema für Wagenknecht.
In der Weltwoche vom 14. November 2024 schreibt Roger Köppel, Russland sei "ein Garant für Vielfalt auf der Welt". Wie er darauf kommt, ist mir unverständlich. Wladimir Putin unterdrückt die Opposition sowie ethnische, religiöse und sexuelle Minderheiten brutal. Er schickt Hunderttausende, vor allem auch Angehörige von Minderheiten-Völkern, in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, in dem sie massenweise sterben.
Die Meinungsfreiheit in Russland ist auf dem Nullpunkt. Wer den Krieg gegen die Ukraine Krieg nennt, wird drakonisch bestraft. Der Kreml und die von ihm kontrollierten russischen Massenmedien überbieten sich mit Drohungen, Atomwaffen einzusetzen. Putin ist kein Freund einer freiheitlichen, vielfältigen und respektvollen Gesellschaft.
Es ist an uns, den autoritären Stürmen aus Moskau und Beijing zu trotzen, reaktionären Verschwörungstheorien entschieden entgegenzutreten und die in unsere Hände gelegte Fackel von Freiheit und Demokratie weiterzutragen.
25. November 2024
"Völlig recht"
Marc Schinzel hat meiner Überzeugung nach völlig recht. Danke für deine treffenden Ausführungen, Marc!
Alfred Vogelsanger, Oberwil
"Unter Druck"
Was noch bis vor wenigen Jahren unveränderliche Grundsätze eines demokratischen Rechtsstaates waren, gerät zunehmend unter Druck. Autokraten und Demokratie-Verächter werden bewundert, und man eifert ihnen fleissig nach. Auch in unserem Lande gibt es (zu)viele Putin-Bewunderer. Der in der Kolumne zitierte Chefredaktor der Weltwoche ist nur einer von vielen, und in seiner Partei wimmelt es von Leuten, die demokratische Grundsätze infrage stellen und unverhohlen Bewunderung für autoritäre Regierungen zeigen.
Die Entwicklung in Deutschland gibt zu besonderer Sorge Anlass. Ich hatte immer den Eindruck, dass Deutschland aufgrund seiner unseligen Geschichte immuner gegen Rechtsextremismus ist als andere Länder. Heute muss ich feststellen, dass dies offenbar nicht so ist und meine Haltung naiv war.
In den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben Nazis und Stalinisten schon einmal die Demokratie in Deutschland zerstört. Die damaligen demokratischen Parteien waren unfähig, sich zusammenzuraufen und dem Totalitarismus entschieden entgegenzutreten. Ich hoffe, dass die demokratischen Parteien in Deutschland aus der Geschichte gelernt haben, die sogenannte Brandmauer gegen rechts hält und die CDU/CSU nicht einknickt.
Auch in unserem Land ist es wichtig, dass die demokratischen Parteien autoritären, demokratiefeindlichen Strömungen entschieden entgegentreten. Die unterschiedlichen politischen Haltungen der Parteien, Diskussionen und Streit sind für die Demokratie essenziel. Es gibt aber Grundsätze, die nicht infrage gestellt werden dürfen.
Thomas Zysset, Bolligen
"Emotionalität grösste Schwäche"
Mit dem letzten Abschnitt bin ich vollkommen einverstanden, wiewohl mir die USA in der Auflistung fehlt; gerade nach den im Artikel ausführlich ausgeführten Zuständen.
Die grösste Gefahr für die Demokratie erkenne ich weniger bei den Regimen, welche ihr offen kritisch oder gar feindlich gegenüberstehen. Sind denn nicht gerade jene Demokratien die grösste Gefahr, die sich selbst von innen heraus verlieren? Durchaus mit grosser Zustimmung aus dem Volk (Demo = Gemeinde)? War denn Hitlers Ernennung zum Kanzler nicht auf das demokratische Wahlresultat zurückzuführen? (Zwar "nur" 37 Prozent, aber wählerstärkste Partei – die anderen 63 Prozent konnten keine tragfähige Regierung bilden – sozusagen eine Rot-Dunkelrot-Schwarze Ampel …)
Was führt denn die Völker dazu, ihre Souveränität aufzugeben? Warum wählen sie denn starke Führer? Weil sie ihren eigenen Regierungen nicht zutrauen, die Demokratien gegen fremde Führer zu verteidigen und eigene Interessen zu bedienen? Mit Taten, nicht nur mit Worten?
Die grösste Schwäche der Demokratien ist die Emotionalität, weil sie nur allzu gerne die Vernunft überdeckt, zumal wenn sie als "Vernunft" daherkommt. Die Stärke der extremen Parteien ist die Emotion. Die kompromissbereite "Mitte" stellt niemanden so zufrieden, wie die Extremen, die immerhin mindestens einen Drittel, wenn nicht sogar noch mehr überzeugen.
Darum ist eben auch das im Artikel genannte Beispiel "Wagenknecht" kein Argument, sondern das deutlichste Beispiel für eine völlig verkannte Politik, die nur allzu offensichtlich mit durchaus guten Argumenten das (emotional) bedient, was grosse Teile der Bevölkerung meinen zu wollen. Die "links-rechts"-Aufteilung ist ohnehin lächerlich – erkennt man sie nämlich als Kreis und nicht Antipoden, sieht man, wie sie zusammenkommen ...
Peter Waldner, Basel