Solingen: Wieder nur Betroffenheit?
Die deutsche Stadt Solingen ist für Qualitätsmesser bekannt. Seit 2012 nennt sie sich "Klingenstadt". Am 23. August stach ein 26-jähriger syrischer Asylbewerber mit einem Messer auf Besucherinnen und Besucher des Solinger Stadtfestes ein. Drei Personen starben, acht wurden teils schwer verletzt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zur Mordtat. Man habe "eine Versammlung von Christen" angegriffen, "als Rache für die Muslime in Palästina und überall".
Die Messerattacke ist ein Staatsversagen. Ende 2022 kam der mutmassliche Täter aus dem syrischen Deir ez-Zor, einer Hochburg des IS, via Bulgarien nach Deutschland. Dort stellte er mit wechselnden Begründungen (Vermeidung des Wehrdienstes, Arbeit zur Unterstützung der Eltern in Syrien) einen Asylantrag. Dieser war erfolglos, da Bulgarien zuständig war.
Eine Überstellung scheiterte, weil der Syrer plötzlich verschwand. Die Behörden schrieben ihn nicht zur Festnahme aus. Deshalb konnte die Überstellungsfrist nicht verlängert werden. Eine Abschiebung nach Bulgarien war fortan nicht mehr möglich. Vier Tage nach Fristablauf tauchte der Mann wundersam wieder auf. Vermutlich wurde er beraten. Deutschland gewährte ihm subsidiären Schutz.
Die Politik verfiel in ihre sattsam bekannte, pathetische Rhetorik.
Das Muster ist gängig: Islamistische Täter aus Afghanistan und Tunesien, die zwischen 2016 und 2024 mit Messern, einem Beil und einem Lastwagen 14 Menschen ermordet und 72 schwer verletzt hatten, hätten nicht in Deutschland sein dürfen.
Die Politik verfiel in ihre sattsam bekannte, pathetische Rhetorik. "Das hat keinen Platz in unserem Land!" Offensichtlich schon. "Messer im öffentlichen Raum sind zu verbieten!" Doch das Problem sind nicht die Messer, sondern Fanatiker, die blindwütig zustechen.
Unser Asylgesetz (AsylG) schützt Flüchtlinge, die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen politischer Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind (Art. 3 Abs. 1). Es geht um Übergriffe und handfeste Drohungen gegen Leib und Leben, die physische Freiheit, die sexuelle Integrität.
Wer nicht verfolgt ist, hat keinen Asylanspruch, selbst wenn er oder sie aus Kriegsgebieten oder Ländern mit prekären wirtschaftlichen Verhältnissen kommt. Für die Dauer einer schweren allgemeinen Gefährdung, namentlich während eines Krieges oder Bürgerkrieges, kann die Schweiz Personen vorläufigen Schutz gewähren (Art. 4 AsylG). Sie muss es nicht tun.
Das Rückschiebungsverbot besagt, dass Personen nicht zur Ausreise in ein Land gezwungen werden dürfen, in dem ihnen Verfolgung droht (Art. 5 Abs. 1 AsylG). Nicht auf das Verbot berufen können sich Personen, die die Sicherheit der Schweiz gefährden oder als gemeingefährlich einzustufen sind, weil sie wegen eines besonders schweren Verbrechens oder Vergehens verurteilt wurden (Art. 5 Abs. 2 AsylG).
Solingen sollte ein Weckruf sein.
Die Schweiz und Deutschland schützen verfolgte Personen. Fanatiker, die skrupellos morden und die freiheitliche Gesellschaft zerstören wollen, haben keinen Anspruch auf unseren Schutz. Wir müssen Prüfraster entwickeln, um zu verhindern, dass sie zu uns kommen. Sind sie hier, müssen wir alles tun, um sie nach Verbüssung von Strafen abzuschieben, gegebenenfalls auch in Kriegsgebiete.
Es braucht Normen, um Verantwortliche von Online-Plattformen zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie Gewaltverherrlichung oder Aufrufe zu Straftaten dulden. Auch müssen wir muslimische Verbände und Gemeinschaften in die Pflicht nehmen, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Es reicht nicht zu sagen, die Extremisten seien keine wahren Muslime. Wenn es islamistischen Hasspredigern und Influencern gelingt, muslimische Jugendliche – überwiegend online – zu radikalisieren und anzuwerben, um im Namen des Islam zu morden, dann läuft einiges schief bei der Vermittlung eines wertschätzenden Glaubens.
Solingen sollte ein Weckruf sein. Wie zuvor Mannheim, Würzburg, Berlin oder der Messerangriff auf einen Juden in Zürich …
2. September 2024
"Man kann eigentlich nur verlieren"
Richtig, sehr geehrter Herr Schinzel. Genau Ihre Ausführungen höre ich immer wieder von Ihrer Partei. Warum nur hat die FDP sich in all den Jahren nie für dieses Amt im Bundesrat gemeldet, um alles besser zu machen? Das dürfte ja klar sein: Da kann man eigentlich nur verlieren. Was wir brauchen, sind keine schönen Abhandlungen, sondern Vorschläge, die in der Praxis umsetzbar sind. Und man soll nicht nur den schwarzen Peter weiter geben, wie das Ihre Partei zum Teil mit Herrn Jans macht. Das ist billiger Populismus.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Es gibt noch andere Aspekte"
Ich widerspreche Herrn Schinzel mit keinem Wort. Es gibt aber noch andere Aspekte, die berücksichtigt werden können. Die islamistischen Terroristen kommen fast ausnahmslos aus Ländern mit diktatorischen Strukturen, schwacher Wirtschaft, kaum existierender Rechtsstaatlichkeit und weitgehender Ignoranz der Menschenrechte. Wir könnten mehr tun, um die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Strukturen in diesen Ländern zu stärken. Sie sind in der Regel schwach, ihre Vertreterinnen und Vertreter ausgegrenzt und nicht selten verfolgt. Das würde die aktuellen Probleme zwar nicht von heute auf morgen lösen. Es würde aber dazu beitragen, dass es für Terrorpaten nicht mehr so einfach wäre, Menschen dazu zu bringen, schwere Verbrechen zu begehen.
Thomas Zysset, Bolligen
"Wir sind viel zu naiv"
Schon der Titel trifft es punktgenau: "Wieder nur Betroffenheit?" Wie viele Weckrufe braucht es eigentlich, bis eine Mehrheit der Politikerinnen und Politiker merkt, dass Menschen aus anderen – meist nichteuropäischen Ländern – oft anders denken und teilweise brandgefährliche "kulturelle" Prägungen mitbringen?
Wir sind viel zu naiv, wenn wir glauben, dass alle Welt – überwältigt von unserem menschenrechtsgläubigem System – sich problemlos in unsere Gesellschaft eingliedern lässt. Nein, solche Menschen werden uns immer mehr Probleme bereiten.
Und deshalb sind unsere heutigen Gesetze zu wenig restriktiv und werden oft in der Anwendung noch zugunsten von Straftätern aufgeweicht. Hier müssen die heute gewählten Politikerinnen und Politiker ansetzen und entsprechend griffigere Massnahmen ausarbeiten.
So sollten beispielsweise Asylbewerberinnen und -bewerber, die bei einer Kontrolle Waffen (Messer, etc.) auf sich tragen, das Recht auf Asyl oder Prüfung eines Asylanspruchs verlieren und umgehend in Haft genommen und konsequent ausgeschafft werden. Egal, wie jung, wie krank oder was sonst noch für Härtefälle aus der Tasche gezaubert werden ...
Lucas Gerig, Basel
"Die Politik hätte viel zu tun"
Stimmt alles; aber ist halt letztlich auch nur die Analyse und die "Wunschliste" eines Politikers. Auch was die deutschen Politiker nach Solingen sagen, stimmt.
Was ist "Staatsversagen"? Legislative oder Exekutive – auch Judikative? Im Fall Solingen eindeutig Exekutive; aber täuscht mein Eindruck, dass diese oft nichts tut, weil die Judikative sie letztlich im Stich lässt?
Der Schrei nach "Politik" als Lösung richtet sich zu oft an die Gesetzgebung; aber müssten nicht nur erst einmal die bestehenden Gesetze durchgesetzt werden? Was nützt es, wenn die Richter viele Verbrecher sogleich wieder freilassen müssen? Oder wenn sie zu sanft urteilen? Wenn am Ende gar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Einzelfällen verbietet, Verbrecher auszuweisen?
Die 1950 (!) abgeschlossene Europäische Menschenrechtskonvention ist fraglos richtig und wichtig. Aber – berücksichtigt sie auch die einheimische Bevölkerung, ihr Rechtsempfinden, ihre Ängste und Befürchtungen, ihre Kultur? Auf einem "Europa" nach dem Krieg, in einer Welt von 1950 stehend – ist sie noch aktuell?
Ja – die Politik hätte viel zu tun. Nicht mit "Alibi-"Gesetzen, wie der Länge der Messer oder unkontrollierbaren Verboten im Bahnhofsbereich. Nicht nur in den einzelnen Ländern, sondern ganz Europa. Nicht nur bezüglich der Eurpoäischen Menschenrechtskonvention, sondern auch dem Laisser-faire bei sogenannten "Bagatellfällen", wo die Rechtsprechung nur noch eine lästige, bürokratisch-administrative Aufgabe ist, die keinerlei Wirkung mehr zu erzielen vermag und die Exekutive (Polizei) nur demotiviert. Wenn die Politiker das nicht erkennen – Sachsen und Thüringen zeigen deutlich auf, was dann passieren kann.
Peter Waldner, Basel