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© Foto by Ingo Höhn
"Geschmeidiger Tenor": Rolf Romei als glückloser Jägerbursche

"Der Freischütz": Am Ende spielt die Musik verrückt

Viel Marthaler und etwas Weber: So hat man diese romantische Oper noch nie erlebt


Von Sigfried Schibli


Er hat es wieder getan. Christoph Marthaler, inzwischen gut siebzigjähriger ewiger Neuerfinder des Theaters, hat sich am Theater Basel die romantische Oper "Der Freischütz" von Carl Maria von Weber vorgenommen. Und dabei, wie es eben seine Art ist, keinen Stein auf dem anderen gelassen.

Hier erleben wir eine Gruppe ältlicher, grau und müde gewordener, dem Bier ergebener Jäger, vor denen sich nicht einmal eine Maus fürchten würde. Maulhelden, denen man die Tiere des Waldes vor die Flinte setzen muss, damit sie treffen. Das Wild aus Sperrholz oder Pappmaché wird auf elektrischen Wägelchen über die Bühne gekarrt. Blutleeres Jagdfieber.
 

Die ganze Handlung um den Jägerburschen Max, der von seinem Rivalen Kaspar mit magischen Patronen versehen wird, von denen die letzte seine Braut Agathe treffen soll, spielt in einer heruntergekommenen Kneipe, einem Bahnhofbuffet ähnlich. Da sitzt jeder an seinem Tisch mit dem Aromat und starrt in sein Bierglas. Eine Versammlung von Einsamen, von Vereinzelten, von denen jeder hartnäckig seinen Platz verteidigt. Es gibt keinen Wald, und die wegen ihrer Geistererscheinungen gefürchtete Wolfsschlucht ist hier eine harmlose Theaterbühne im "Säli" des biederen Restaurants. Wenn das keine Anspielung auf die Absturzgefahr im Theaterbetrieb ist!

Dass die Jagdgesellen ebenso wie das Orchester auch einmal in ihre Biergläser hineinsingen, ist so eine typische Marthaler-Idee. Eine andere ist die, den berühmt-berüchtigten, weil unter Kitschverdacht stehenden "Brautjungfernchor" von der Darstellerin des Ännchen, einer Verwandten der Braut Agathe, zur eigenen Klavierbegleitung allein singen zu lassen. Einmal setzt sich auch eine Hornistin aus dem Orchester mit ihrem goldglänzenden Instrument dazu und spielt ein paar Basstöne. Und weil das ein schöner Anblick ist und ihr der Totenkranz auf dem Kopf so gut steht, darf dieser Augenblick ziemlich lange dauern. Freiheit des Regietheaters!
 

Christoph Marthaler ist ursprünglich Musiker und hat seine Herkunft aus dem Theater nie verleugnet. In Basel hat er einst, das war in den späten neunziger Jahren, mit einer Reihe von Musiktheaterstücken auf sich aufmerksam gemacht – keine eigentlichen Opern, eher Musik-Collagen von eigenem, höchst kreativem Reiz. Danach hat der 1951 geborene Zürcher auch bestehende Opern umgesetzt und damit zwischen Salzburg, Wien und Paris (Zürich und Basel eingeschlossen) Furore gemacht.

Niemals aber hat er in dem Stil, den konservative Operngänger "werkgetreu" nennen, inszeniert. Immer war da eine kräftige Prise Marthaler dabei, manchmal auch mehr. Immer drückte er den Stücken seinen Stempel auf, was ihn zum Markenzeichen (und für manche zum Hassobjekt) gemacht hat.

Jetzt kehrt er mit dem "Freischütz" von 1821 an seine alte Wirkungsstätte zurück, und man staunt: Da sind ja einige Bühnendarsteller aus der sogenannten "Marthaler-Familie" immer noch dabei! Längst ist Marthaler sein eigener Chronist geworden.

Die Ausstattung stammt wie immer bei ihm von Anna Viebrock, die dem Design der sechziger Jahre wieder einmal neue Facetten abgewonnen hat. Rosemary Hardy singt und spielt mit etwas fragil gewordener Stimme, aber ungebrochener Spiellust das Ännchen und wechselt dabei auch mal vom Deutschen ins Englische – eine Rolle, die sonst immer von jungen Sängerinnen verkörpert wird (die Luzernerin Regula Mühlemann hat einst in der Verfilmung von Jens Neubert in dieser Partie debütiert). Mit dabei ist neben Raphael Clamer auch Ueli Jäggi, ein Marthaler-Compagnon der ersten Stunde, der hier gottlob nicht singt, sondern nur spricht und sein Pokerface ins Publikum hält.

Die Oper dauert in konventionellen Aufführungen etwa 130 Minuten, bei Marthaler sind es 165 plus eine längere Pause. Der Regisseur hat zwar die überlangen Dialoge des Original-Librettos von Friedrich Kind eingedampft, dabei aber einige Musikstücke hinzugefügt.

Da gibt es ein Bläserquintett von Mozart, eine Arie aus Beethovens "Fidelio" und das chorische "Jägers Liebeslied" von 1826. Hinzu kommen gesprochene Texte, die vor allem den Anfang des zweiten Teils zäh erscheinen lassen. Solche Längen gehören eben auch zum Marthaler-Theater, ebenso wie die oft nervtötenden Wiederholungen – hier ist es das Bild des alten Erbförsters Kuno, das sage und schreibe zehn Mal vom Haken fällt.
 

Im Orchestergraben wird vom Kammerorchester Basel ausgesprochen frisch und konturenreich musiziert. Der kraftvoll-knackige Hörnerchor wird durch schöne Soli von Violoncello, Klarinette und Flöte ergänzt. Dirigent Titus Engel hält nahtlosen Kontakt zur Bühne (nur der erste Chor war in der Premiere am Donnerstag leicht verwackelt).

Auf der Bühne erlebt man opernerfahrene Stimmen wie die von Rolf Romei als Jägerbursche Max, der seinen geschmeidigen Tenor nicht immer strahlen lassen darf, weil er als Verkörperung eines Pechvogels häufig gegen eine Wand singen muss. Ein trauriger Bräutigam, der sich am Ende zerstört im Staub wälzt, während seine Braut Agathe (eine sichere Konstante mit lupenrein geführtem, warmem Sopran: Nicole Chevalier) ziel- und beziehungslos umherirrt.

Aus Gerechtigkeitsgründen muss der Bösewicht Kaspar (mit markig-schwarzem Bass: Jochen Schmeckenbecher) elendiglich zugrunde gehen, während das übrige Personal zwar überlebt, aber von einem spastischen Zuck- und Zittervirus befallen wird. Am Ende spielt auch die Musik verrückt: Wie in einem Potpourri oder Quodlibet der "Freischütz"-Motive spielen die Orchestergruppen durch- und gegeneinander, bis der Fluss der Musik abrupt stehen bleibt und das Licht ausgeht.

Heftiger, langer Premierenapplaus für eine ebenso unterhaltsame wie gekonnt umgesetzte Opernproduktion.

16. September 2022


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Kamala ist halt schon läs.

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