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"Optimistisch und lebensfroh": Theatermann Egon Karter*
Er war ein Komödiant von der Scheitel bis zur Sohle
Der grosse Basler Theatermann und "Komödie"-Gründer Egon Karter starb im Alter von 95 Jahren
Von HANSJÖRG SCHNEIDER
Am 17. November ist der 95-jährige Egon Karter, Gründer, Erbauer und langjähriger Leiter der "Komödie" Basel, gestorben. Mit ihm hat uns eine grossartige Persönlichkeit verlassen, die in den fünfziger und sechziger Jahren das Sprechtheater in unserer Stadt geprägt hat.
Zum Glück hat uns Karter eine Autobiografie hinterlassen. Sie heisst "Das Leben, eine Komödie" und ist einer der lehrreichsten, spannendsten Lebensberichte der neueren Zeitgeschichte.
Karter stammte aus einer jüdischen Familie aus Böhmisch-Ostrau. Schon früh hat er sich einer durchziehenden Theatertruppe angeschlossen, um Theater zu spielen. Dieser Bestimmung ist er zeitlebens treu geblieben, ein Komödiant vom Scheitel bis zur Sohle. Er hat seine Theatersporen auf den verschiedensten Bühnen abverdient, von der Schmiere über die Operette bis zu Schillers Blankversen. Im Zweiten Weltkrieg hat er in Holland ein jüdisches Theater geleitet. Dort hat er den Wink erhalten, dass es jetzt endgültig Zeit sei, zu fliehen. Über Paris und Lyon ist er in die Nähe von Genf gekommen. Er ist über den Genfersee geschwommen in die vermeintlich sichere Schweiz. Er wurde gleich ins Gefängnis gesteckt, ohne zu wissen, ob er wieder ausgeschafft würde (welch entsetzliches Wort ist dieses "Ausschaffen"!)
"Von der Schmiere über die Operette bis zu Schillers Blankversen."
Karter durfte bleiben und kam in ein Interniertenlager. Er hat die Grösse gehabt, dieses Lager nachträglich als einigermassen erträglich zu bezeichnen.
Nach dem Krieg ist er nach Basel gekommen. Auch hier hat er sein altes Ziel verfolgt, er wollte ein eigenes Theater haben. 1950 hat er in der Steinenvorstadt die "Komödie" eröffnet.
1958 bin ich von Zofingen nach Basel gekommen, um an der Universität zu studieren. Damals haben wir Studenten regelmässig die "Komödie" besucht, die neben dem Zürcher Schauspielhaus das führende Sprechtheater der deutschen Schweiz war. Karter hat das Kunststück fertig gebracht, seine 600 Plätze fast immer zu füllen. Er hat gespielt, wie es uns gefiel: Lustspiel neben Schwank, Klassik neben Zeitgenössischem.
Ich habe in der "Komödie" meine ersten drei Brecht-Stücke gesehen, zu einer Zeit, als Brecht noch verfemt war. Ich erinnere mich bestens an Trimbur und Elias in den Hauptrollen, ich war hingerissen. Ich habe mir Jonesco angeschaut. Im Keller der "Komödie" habe ich zum ersten Mal "Warten auf Godot" gesehen. Eine Offenbarung war dies, Karter hat uns Jungen damals mit diesen Aufführungen enorm geholfen.
Er war ein Impresario der alten Schule. Wenn er auf Reisen war, und das war er oft, um sich in den Theater-Hauptstädten auf dem Laufenden zu halten, hat er stets eine Viertelstunde nach der Aufführung in die "Komödie" angerufen und sich erkundigt, ob alles gut gelaufen sei und wieviele Zuschauer da gewesen seien.
Jahre später, als mein Basler Theaterverleger Kurt Reiss gestorben war, hat er die Leitung des Reiss-Verlages übernommen. Auch in dieser Funktion war er zuverlässig, gescheit und voller Energie. Er hat es sich beispielsweise nicht nehmen lassen, zu einer meiner Keller-Premieren nach Wien zu reisen. An einer Premiere in Paris ist er in einem Seidenkittel aufgetaucht, bunt wie ein Papagei. Den Kittel hatte er, wie er stolz verkündete, in Bengalien gekauft.
Selten habe ich einen so optimistischen, lebensfrohen Menschen kennen gelernt wie Egon Karter. Er, der von den Zeitläuften schlimm geplagt worden war, hatte sich entschieden, das Leben trotz allem lebenswert zu finden. Diese produktive Energie hat ausgestrahlt, auch auf mich.
"Mit Lustspiel und Schwank hat er Geld in die Kassen geholt."
In den letzten drei, vier Jahrzehnten hat sich das deutschsprachige Theater grundlegend verändert. Die Theaterleute haben sich selber zunehmend eine gesellschaftliche Wichtigkeit zugeschanzt, die sich Karter nie angemasst hätte. Zehn Tage Probenzeit hatten ihm für einen Klassiker noch genügt. Heute geht es unter zehn Wochen nicht mehr. Lustspiel und Schwank sind heute verpönt. Karter hat mit Lustspiel und Schwank (bestens gespielt) das Geld in die Kasse geholt, mit dem er dann auch einen Godot spielen konnte.
Ich denke gern an die alte "Komödie" zurück. Eine sehr breite Bühne fast ohne Tiefe. Winzige Garderoben, wenige Duschen. Im Zuschauerraum der Plüsch, den Karter so liebte, oft brechend voll Publikum. Das war auch später unter Düggelin so. In diesem Plüsch-Tempel haben grossartige Theateraufführungen stattgefunden, auch in der Zeit, als Karter nicht mehr Direktor war.
Mit Dankbarkeit und Wehmut denke ich an Egon Karter zurück. An seine Theaterintelligenz, seine Neugier, seinen Frohsinn. Und ich spreche seiner Witwe Charlotte Karter-Sender mein tief empfundenes Beileid aus.
* mit Horst Statkus
22. November 2006
"Ich hoffe auf eine würdige Abschiedsfeier durch die Stadt Basel"
Ohne Egon Karter wäre ich nie nach Basel zum Theater gekommen. Hätte mich dann bei Radio Basel und letztlich beim Schweizer Fernsehen nicht zum Regisseur "durchgemausert". Hätte meine Basler Frau nicht kennen gelernt. Und so gäbe es meine Tochter Eva und meinen Sohn Kaspar nicht. Ich habe Egon viel zu verdanken. Danke Egon, auch wenn ich Dich "künstlerisch" manchmal nicht oder zu wenig ernst nahm, aus jugendlicher Überheblichkeit heraus. Leider erfuhr ich erst am 24. November zufällig am Radio, auf der Fahrt von Frankreich nach Zürich, von seinem Tod. Es wäre mir ein Bedürnis gewesen, beim Abschied auf dem Friedhof dabei zu sein. Ich hoffe, dass die Stadt Basel für diesen wichtigen Mann in der Geschichte des Basler Theaterlebens eine würdige Abschiedsfeier zu organisieren im Stande ist.
Joseph Scheidegger, Zollikerberg
"Karter und die 'Komödie' etwas idealisiert"
Lieber Hansjörg,
Als Theaterkritiker "ajs." der "National-Zeitung" in den Jahren 1959/60 habe ich mich bei Egon Karter eher unbeliebt gemacht. Es war ihm nicht genug, dass ich die ausgezeichneten Aufführungen lobte, die es in der “Komödie” immer wieder gab, er erwartete Lob auch für billige und schlampig inszenierte Schwänke und zögerte nicht, den Chef der "National-Zeitung", Max Hagemann, mit Sammlungen von Unterschriften diverser Stützen der Basler Gesellschaft unter Druck zu setzen, wenn ihm eine Kritik nicht passte. Einmal lud er mich zu Bier und "Kren" in die "Alte Bayrische" ein, um mir seine Liebe zum Theater zu erklären; die hatte ich gar nie in Frage gestellt.
Ich denke, in Deinem Nachruf idealisierst Du den Verstorbenen und die "Komödie" ein wenig. Das ist legitim. Und im wesentlichen bin ich mit Dir einig: Es war ein lebendiges, komödiantisches, sinnliches Theater damals – mitsamt dem Quentchen "Schmiere", das zum Theater (auch zum sogenannt “grossen”) nun einmal hin und wieder dazu gehört. Nichts von dem Anspruch der heutigen Regiekoryphäen, das Theater neu zu erfinden, indem sie die Werke der grossen (und auch der kleineren) Dramatiker unkenntlich machen.
Was auf uns in dieser Hinsicht zukommen sollte, konnte ich damals nicht wissen. Hätte ich es geahnt, wäre ich wohl auch mit Karters billigen und hausfüllenden Schwänken nachsichtiger gewesen. Nun, meine Nadelstiche haben ihm wenig angetan, und im Rückblick möchte ich ihm zurufen: "Chapeau, Monsieur le Directeur!"
Alexander J. Seiler, Zürich
"danke, egon k."
"diener zweier herren" in der komödie ... mit max knapp, wenn ich mich richtig erinnere. unvergesslich - denke noch heute (45 jahre später) gerne an meine ersten "kontakte" mit kultur zurück. danke, egon k.
rené wetzel, zug
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