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"Wirkungsvoll und zeitgerecht": Basler Kultur-Arrangeure Morin, Bischoff
Ein Bildnis zur Basler Kulturpolitik – (fast) bezaubernd schön
Regierungspräsident Guy Morin präsentiert Leitbild: Breiter Kulturbegriff, griffige Massnahmen
Von Jürg Erni
Sehnlich erwartet und endlich erschienen: das Basler Kulturleitbild, das nun für fünf Jahre gültig ist. Mit sichtlichem Stolz stellten Regierungspräsident Guy Morin und sein Kulturbeauftragter Philippe Bischof das 90-seitige Werk, das von Kulturschaffenden mehr bertriebswirtschaftliches Denken verlangt, vor: eine Auslegeordnung und ein Massnahmenkatalog, die Gewicht haben.
Guy Morin ist sich der Bedeutung des Augenblicks bewusst, wenn er als Regierungspräsident sein Basel im Rang einer Kulturhauptstadt der Schweiz behauptet. Von der Errichtung eines "Hauses der Geschichte" ist er zwar abgekommen, aber die Beackerung der Museumslandschaft ist ihm nach wie vor ein grosses Anliegen. Dafür soll das neu geschaffene "Forum der Geschichte" die "notwendige Vernetzungs- und Koordinationsarbeit" leisten. Ein "Museumskonzept" steht noch aus.
Aber nun liegt das von der Regierung bereits verabschiedete Kulturleitbild, heute Donnerstagmittag im Barockzimmer des Museums der Kulturen präsentiert, als stattliches Ringbuch auf dem Tisch, und die Kulturschaffenden können sich darüber hermachen.
Sieben Leitsätze
Der Anspruch ist hoch, die Erwartungen werden mannigfach erfüllt. Unbestritten hat Basel ein Kulturleitbild bekommen, das sich sehen lassen kann, und das seine konkreten Auswirkungen auf das Kulturleben der Region Basel zweifellos haben wird. Der Wille des Präsidialdepartements zur Veränderung und zur aktiven Beteiligung bei der Umsetzung der "Handlungsfelder und Massnahmen" scheint im hohen Masse vorhanden zu sein.
Das Kulturleitbild geht von sieben Leitsätzen aus:
• Der Kanton Basel-Stadt versteht sich als kulturelles Zentrum mit einer langen Tradition
• Er versteht Kultur als treibende Kraft der Gesellschaft
• Staatliche Kulturförderung stiftet gesellschaftlichen Nutzen und fördert die Lebensqualität
• Basel-Stadt geht verantwortungsvoll mit seinem kulturellen Erbe um
• Basel-Stadt fördert neue kulturelle Entwicklungen
• sichert Rahmenbedingungen für professionelles Kulturschaffen und dessen Präsentation und Vermittlung und
• unterstützt geeignete Initiativen, die Zugänge zu Kunst und Kultur schaffen.
Nach den sieben Geboten geht es in die Tiefe, nimmt die Bedeutungsschwere der Begriffe stetig zu.
Zentrale Wirkungsziele und Drei-Sektoren-Modell
Drei zentrale "Wirkungsziele" werden formuliert: "Sinn stiften – Vertrauen bilden – Transparenz schaffen." Die Basler übernehmen den Kulturbegriff, wie ihn die UNESCO 1982 formuliert hat. Die Macht der Dreidimensionalität greift weiter in einem Drei-Sektoren-Modell mit dem Staat als öffentlichem, der Zivilgesellschaft als intermediärem und der Wirtschaft als privatem Sektor. Das Modell soll "Kultur als umfassenden, öffentlichen Markt verstehen, auf dem sehr unterschiedliche Akteure tätig sind."
Definiert wird die Rolle des Staates als Kulturförderer: Er steuert eigene Kultureinrichtungen, finanziert private Institutionen (durch Subventionen und Leistungsvereinbarungen) und fördert Kooperationen auf partnerschaftlicher Basis. Die Steuerungsprämissen zielen sowohl auf ein betriebswirtschaftliches Denken (Kulturinstitutionen sollen mit ihren Mitteln unternehmerisch umgehen) wie auf eine Orientierung an der Nachfrage.
Der Kanton subventioniert die Kulturinstitutionen mit heute jährlich 123 Millionen Franken und liegt pro Kopf der Ausgaben mit 726 Franken national an der Spitze. Basel-Land trägt zur Kultur gerade mal 10 Millionen Franken bei, womit Basel das Historische Museum dotiert. Dabei beanspruchen drei Institutionen 90 Prozent der Kulturausgaben: die staatlichen Museen, das Sinfonieorchester Basel und das Theater Basel. Wesentliche Anteile an kultureller Unterstützung bieten der Swisslos-Fonds, die Mäzene, die Stiftungen.
Einer rein finanzpolitischen Debatte kommt das Kulturleitbild zuvor, indem es Wesen und Wirkung des kulturpolitischen Denkens und Handelns auf qualitativ ausgerichtete, mannigfach vernetzte Triangulationspunkte abstützt.
Kulturpolitische Prämissen
Die weiteren Kapitel im Kulturleitbild beschäftigen sich schwergewichtig mit der Kulturpolitik, einer soliden Bestandesaufnahme und den daraus resultierenden Herausforderungen. Im Wesentlichen geht es um das Prinzip der Subsidiarität, der Unterstützung also, bei der die Wahrung von Qualität zum Primat erhoben wird.
"Unter der Qualität wird das spezifische Potenzial einer künstlerischen Arbeit im Sinne ihrer Überzeugungskraft für den Erkenntnisgewinn verstanden", hiesst es beispielsweise. Und: "Die öffentliche Vergabepolitik bewegt sich aufgrund der begrenzten Mittel und dem Ziel von Qualität und Vielfalt in einem dauernden Spannungsverhältnis zwischen Exzellenz- (Förderung möglichst des Besten) und Giesskannenförderung (Förderung möglichst der Meisten)."
In Richtung Nachbarkanton, der "eusi Kchultur" bevorzugt, zielt wohl der Satz: "Die kantonale Kulturförderung konzentriert sich in ihrem Auftrag auf das professionelle Kunst- und Kulturschaffen." Also keine Unterstützung für Laienbühnen und Laienchöre. Damit wollen die kulturellen Aktivitäten von Laien jedoch keineswegs geschmälert werden.
Anciennitäts-Privileg wird relativiert
Wir sind auf Seite 24, und weiter geht es mit Definitionen von einem erweiterten Kulturbegriff, einer "Nachfrage- und Angebotsorientierung". Hinterfragt wird das Selbstverständnis der grossinstitutionellen Subventionierung aus reinen Anciennitätsgründen. "Die Kulturinstitutionen und Subventionsempfänger sind aufgefordert, ihre Besonderheiten und Potenziale möglichst wirkungsvoll und zeitgerecht zu vermitteln." Dabei wird auf die Probleme der strukturellen Defizite hingewiesen, auf das Theater und das Sinfonieorchester, die mittlerweile ohne Kapital und Reserven von der Hand in den Mund leben, am Tropf des Staates hängen und gefährliche Defizite hinterlassen.
Der Begriff "Kreativwirtschaftsförderung" wird von einer der fünf Zielbranchen der baselstädtischen Wirtschaftspolitik abgeleitet. Die Erlebnisgesellschaft produziert eine "Eventisierung und Festivalisierung" (welch grauslige Wortschöpfungen!), am deutlichsten sichtbar in der Museumsnacht, wo die halbe Region auch aus Frankreich und Deutschland zusammenströmt, um die Museen einmalig dicht zu bevölkern.
Die förderungsstrategischen Ziele
Den sieben Leitsatz-Geboten folgen sieben förderungsstrategische Ziele: "Aktiv Kultur vermitteln – Die Museumslandschaft profilieren – Basler Geschichte zum öffentlichen Thema machen – Basel als Musikstadt stärken und profilieren – Produktionsbedingungen der Freien Szene verbessern – Qualität sichern – Betriebswirtschaftliche Instrumente sinnvoll einsetzen."
Die Handlungsfelder und Massnahmen, die diese Ziele erreichen sollen, beschreibt das Kulturleitbild auf 28 Seiten umfassend und kritisch. So stellt der Punkt "Klassische und Neue Musik" lapidar fest: "Die grosse Vielfalt in der Orchesterkultur korrespondiert nur partiell mit ihrer Finanzierbarkeit und der Publikumsnachfrage." Die Bereinigung der Orchesterstrukturen wird abgemahnt wie auch die "Optimierung der Konzerthaussituation" (die brach liegenden Projekte Stadtcasino und Musiksaal).
Kulturstatistik soll Nutzung belegen
Seine Kulturpolitik will der Kanton in Kenntnis der komplexen Zusammenhänge neu evaluieren, ein Qualitätsmanagement installieren, das die Angebote auf ihre Qualität und Effizienz hin laufend überprüft und allenfalls korrigierend einwirkt. Eine Kulturstatistik soll Auskunft geben über die effektive Nutzung der Angebote. Erwähnung finden auch die zahlreichen Fördergremien und -instrumente vom Fachausschuss Literatur bis zum Rockförderverein.
Die von Philippe Bischof geleitete Abteilung Kultur mit ihren fünf Bereichen beschäftigt 16 Mitarbeitende. Die Lohnsumme bleibt unerwähnt.
Am Schluss verweisen die nackten Zahlen der subventionierten Institutionen auf die Dominanz ihrer drei hauptsächlichen Trägerschaften: die Museen mit knapp 52 Millionen Franken; das Sinfonieorchester mit 14,5 Millionen Franken, das Theater Basel mit 33,5 Millionen Franken, weiter unten die GGG-Stadtbibliothek mit 5 Millionen Franken, und gar der Zolli figuriert mit 1,45 Millionen Franken. Der Kulturbegriff ist bis ins Tierreich erweitert, wie auch das Kulturleitbild seinen Blick weitwinklig auffächert und es so zu einem nützlichen Kompendium für Kulturschaffende wie für die öffentliche Hand macht.
19. April 2012