Eine Auflehnung gegen den Zeitgeist des Abbaus
Von PETER KNECHTLI
Nach jahrelangem Seilziehen hat Basel-Stadt an der Urne entschieden: Auf der Südseite von Basels hässlichster Strassenkreuzung "Heuwaage" entsteht kein Multiplexkino. An diesem unerwartet klaren Verdikt mit 68,4 Prozent gibt es nichts zu deuteln.
Sowohl für ein Ja wie für ein Nein sprachen achtbare Gründe: Der zumindest von seiner Stirnseite her sehr attraktive Cinéasten-Palast hätte der öden Platzhälfte einen markanten städtebaulichen Anker verliehen und den unwirtlichen Ort entscheidend aufgewertet. Nebenbei wäre das Basler Kinoangebot auf einen Schlag um eine neuartige Event-Variante attraktiver geworden, auch wenn niemand im Ernst behaupten kann, in Basel herrsche in Bezug auf Kinos existenzbedrohende Mangelwirtschaft. Und schliesslich hätte vor allem das nahe gelegene Gastgewerbe eine markante Belebung erwarten dürfen.
Auch die Nein-Argumente haben ihre Plausibilität: Staatliche Millionenbeiträge zur Ermöglichung eines privaten Profitcenters, Einschränkung der Lebensqualität in den angrenzenden Wohnquartieren und Fragezeichen zu den architektonischen und städtebaulichen Auswirkungen. Ob der Multiplex-Komplex derart im Grün versinken würde, wie das die Werbung weis machen wollte, darf mit Fug bezweifelt werden.
Ein Weltuntergang ist dieser Verzicht auf ein neues Kino-Dorado für die regionalen Film-Freaks nicht. Auch wenn die zunehmend ideologisierte Auseinandersetzung, wie sie in den letzten Wochen geführt wurde, darauf hätte schliessen lassen können. Es war unverkennbar, wie sich die "Basler Zeitung" krass über ihr Selbstverständnis als Forumszeitung hinwegsetzte und eine klare redaktionelle Kampagne für das Kino-Projekt führte. Dass die Verwaltungsratspräsidentin des zum gleichen Medienunternehmen gehörenden "Baslerstabs" dem Ja-Komitee angehörte und damit eine noch so selbstständige Redaktion zumindest unter stillen Druck setzte, war unübersehbar.
Doch weder die Medien- noch die Werbekampagne war für die Niederlage des Architektur- und Kinoestablishments Ausschlag gebend. Entscheidend waren andere Gründe: Die Ablehnung des Multiplex-Kinos war ein Auflehnung gegen den Zeitgeist. Sie richtete sich nicht gegen das Kinoprojekt an sich, als viel mehr gegen die staatlichen Beiträge, die es voraussetzt. Steuer-Millionen in ein Projekt für Freizeit, Plausch und Kultur passen schlecht in eine Zeit, in der Familienväter und -mütter ihre Stelle verlieren, Firmen ihre Strukturen verschlanken, Löhne unter Druck geraten und der Sozialstaat zunehmend in Frage gestellt wird. Dass öffentlicher Raum mit öffentlichem Geld an private Kinobetreiber abgegeben werden soll, wollte einer Mehrheit offensichtlich nicht einleuchten.
Mit genau diesem Argument - "kein Staats-Geld und keine Allmend für privaten Profit" - waren die Befürworter der gegnerischen Allianz ins Messer gelaufen: Ein deutliches Indiz dafür, dass der Staat die duale und keineswegs zum ersten Mal praktizierte Partnerschaft besser kommunizieren sollte.
Die Gegnerschaft bestand aus Exponenten eines breiten politischen Spektrums - von links-grün über FDP bis hin zur geschlossenen SVP -, aus dem jede Fraktion ihre Klientel bediente. Diese überparteiliche Allianz erwies sich als mehrheitsfähig - möglicherweise nicht nur in diesem Plebiszit. Es darf von ihr aber erwartet werden, dass sie ihre Ideen zur Entwicklung des Gebiets zwischen Zolli und "Heuwaage" in die öffentliche Debatte einbringt. Mit dem Nein allein ist das merkwürdige Ödland am Ende der existierenden Basler Kino-Meile nicht beseitigt.
16. November 2003