1. Mai-Feier: Untergang durch Déja vu
Von PETER KNECHTLI
Es lag eine merkwürdige Stimmung über der diesjährigen 1. Mai-Feier in Basel. Schon am Besammlungsplatz war die Spannung spürbar, als aus kräftigen Lautsprecherboxen nicht nur harter Rock erklang, sondern auch bissige Kritik an den traditionellen Statthaltern der Arbeiterklasse, den führenden Sozialdemokraten und Gewerkschaftern. Schliesslich führten verbalradikale Autonome den Demonstrationszug an, veranstalteten gegen die sozialdemokratisch gelenkte staatliche Liegenschaftsverwaltung ein Buhkonzert und beschimpften das mit Langzeitauftrag ausgestattete "Sicherheits-Orchester", das – statt wie üblich an der Zugspitze – beschaulich unter den Kunstmuseums-Arkaden blies: Mauerblümchen-Präsenz.
Diese Szene war symptomatisch für das, was sich abspielte: Hinten im Demozug trugen wenige bekannte Gesichter des linken Spektrums das schweizweit gleiche Transparent. Von einer kräftigen Präsenz der mehrheitlich links-grünen Regierung keine Spur, elegant gekleidete Abgeordnete zogen es vor, sich erst auf dem Festgelände des Barfüsserplatzes zu zeigen.
Wer, wie der Schreibende, schon Dutzende 1. Mai-Feiern erlebt hat und in früheren Jahren als aktiver Journalisten-Gewerkschafter selbst mit Transparent durch Basels Strassen zog ("Der Pressekampf geht weiter"), kann nur noch staunend den Niedergang dieses Festtags einer einst stolzen Arbeitnehmerschaft beobachten. Gerade mal knapp zweitausend Personen, die pressure group der "Revolutionäre" inbegriffen, versuchte die Illusion einer Manifestation der Stärke aufrecht zu erhalten, während sich in den wesentlichen Fragen der sozialen Gerechtigkeit seit Jahren faktisch nichts mehr bewegt.
"Dem Anlass fehlten die inhaltliche Struktur
und der dramaturgische Wille."
Das archaische Durcheinander der Forderungen auf den Spruchbändern mag unausweichlich und Ausdruck pluralistischer Problemempfindung sein. Doch dem Anlass fehlten die inhaltliche Struktur und der dramaturgische Wille. Der VPOD-Staat, den die Basler Bürgerlichen so gern als Drohgespenst beschwören, entpuppt sich als Phantom: Es ist das erschütternde jährliche Déja-vu einer politischen Klasse, die sich links etikettiert, aber im Zustand des Mangels an eigenem Aufbruch eigentlich doch ganz anständig lebt.
Man mag die seit Jahren gleichen abgelutschten Parolen und pauschalen Anschuldigungen gegenüber dem Klassenfeind in Form von Institutionen und Personen nicht mehr hören. Zu offensichtlich sind die Reden Pflichtstoff. Die Basler Linke ist an ihrem Feiertag nicht mehr in der Lage, attraktive Inhalte zu bieten. Sie ist nicht mehr in der Lage, sich auf ein jährlich aktualisiertes Motto zu einigen und in den Reden die Missstände, die es tatsächlich anzuprangern gilt, mit Fallbeispielen zu belegen und einzuordnen.
Statt dessen sind langfädig dahinplaudernde Redner zu hören, die kaum mehr als ein Gähnen provozieren. Sie können zwar twittern und posten, die Linken, aber sie können nicht mehr reden. Vielleicht weiss ihre Nomenklatura auch nicht mehr, was ihre Botschaft an die Unterprivilegierten eigentlich ist. Oder vielleicht warten die wenigen rhetorischen Ausnahme-Talente mit ihren Auftritten, bis ein Wahljahr ansteht.
Wenn selbst auf linker Seite die Unlust, die Arbeitnehmer-Feier mit Präsenz zu stärken, kaum mehr zu übersehen ist, so wohl kaum deshalb, weil sich das "Revolutionäre Bündnis" an die Spitze des Demonstrationzuges putscht.
Eine politische Gefahr geht von diesem zahlenmässig kleinen disparaten Konglomerat, das sich "die Stadt wieder aneignen" will, nicht aus. Aber es hält der SP als grösste Partei dieses Kantons mit rot-grüner Mehrheit immerhin den Spiegel vor mit Unterschicht-Themen, die sie selbst vernachlässigt hat. Gemeint ist weder Kapitalismus-Lamento noch Revolutions-Romantik, sondern beispielsweise konkrete problematische Aspekte linker Politik wie die Verknappung günstigen Wohnraums und bestimmte Auswirkungen der Stadtentwicklung.
So, wie eben erlebt, hat die 1. Mai-Feier in Basel keine Zukunft und wohl auch keine Berechtigung mehr. SP und Gewerkschaften haben kluge Köpfe, die nicht unbedingt über Mandate bekannt sind, aber etwas zu sagen hätten. An ihnen wäre es, Denk-Animation und selbstkritische Reflexion in einer – von mir aus – Brandrede zu leisten, die dem Publikum auch nach dem anschliessenden Verzehr der Bratwurst noch in Erinnerung bleibt.
2. Mai 2017
"Konzept-Grundlage für die kommenden Feiern"
Peter Knechtlis Kommentar zur Entwicklung der 1. Mai-Feier zynisch? Nein. Zumindest sollte der Text in den Kreisen der Veranstaltenden als Konzept-Grundlage für die kommenden Feiern heran gezogen werden. Ich bin seit vielen Jahren aktiver Teilnehmer des Umgangs. Wenn Knechtli mehr Lokalbezug und insbesondere das Aufgreifen aktuell brennender Themen einfordert, dann kann ich ihn nur unterstützen. Wohnungsnot, Abbau der aktuellen Sozialleistungen, Zerschlagung der Taxifahrer-Existenzen durch UBER usw., kann nicht mit akademischen Wortschlössern in Volkes Bewusstsein gebracht werden. Da müssen sich jene zu Wort melden (können), welche zum Hier und Jetzt etwas zu sagen haben. Und da darf eine Rede auch mal laut und heftig werden.
Markus Christen, Basel
"Gleiche Elemente und gleiche Phantasielosigkeit"
Der Kommentar von Peter Knechtli zum 1.Mai gibt sich pointiert und kämpferisch. Gut so. Aber die Kolumne bringt keine neue Einsichten und zeigt keine Kreativität nach vorne. Seien wir ehrlich, Kommentare mit gleichem Inhalt werden mindesten seit 10 Jahren mit den gleichen Elementen und der gleichen Phantasielosigkeit nach vorne geschrieben. Schade, dass Peter Knechtli sein früheres aktives gewerkschaftliches Engagement für einen aufrechten, querdenkenden und seriösen Journalismus aufgegeben hat. Das ist auf alle Fälle meine permanente Erwartung an onlinereports. Sie aber wird auch immer wieder enttäuscht, wie der Kommentar zum 1.Mai belegt. Schade.
Xaver Pfister, Basel