Der BaZ-Sportjournalist als Polit-Leitartikler
Von PETER KNECHTLI
Man wünscht sich ihn fast schon wieder herbei: Als Markus Somm in der "Basler Zeitung" jeden Samstag zwei Drittel der Seite drei füllte, war unter zwei Optionen auszuwählen: Jubel oder Ärger. Lesegenuss war garantiert. Die Seite, auf der Somm seine Leserschaft wie auch immer gedanklich bis an die Grenze der Provokation reizte, war mit der schlichten Spitzmarke "Thema" überschrieben.
Seit die "Basler Zeitung" in Zürcher Tamedia-Besitz und die Chefredaktion für den Basler Lokalbund von Somm an den damaligen Sportchef Marcel Rohr übergegangen ist, sind die langen Samstags-Artikel auf der weniger attraktiven Seite zwei zu finden – jetzt allerdings etikettiert mit der Spitzmarke "Leitartikel". Diesen Platz teilen sich mehrere Autoren des Blatts. Ab und zu, jedenfalls nicht dominierend, tauchen hier auch Texte von Lokalbund-Chefredaktor Marcel Rohr auf.
Wer jahrelang seinen journalistischen Alltag in engen Fussballstadien und ihrem personellen Umfeld verbracht hat, muss als Chef-Journalist Gelegenheit haben, seine Fähigkeiten auch in der grossen weiten Welt der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft zu entwickeln. Weil der Anspruch besteht, dass ein Text, über dem "Leitartikel" steht, auch tatsächlich ein Leitartikel ist.
In seinem ersten Jahr in der erweiterten Chef-Funktion hat Marcel Rohr weder Leitartikler-Expertise noch analytische Vorbild-Funktion erlangt, die von einem "BaZ-Chefredaktor" erwartet werden muss.
"Er nennt weder eine konkrete Forderung
noch einen klaren Adressaten."
Den bisher grössten Bock schoss er Anfang Jahr in einem Samstags-Text, der feurig und undifferenziert für ein Ja in der Volksabstimmung über den Bau eines von Meeresfischen bevölkerten "Ozeaniums" auf der Heuwaage warb. Euphorisiert bezeichnete er das 100-Millionen-Projekt als einen "Blockbuster aus einer kreativen Denkwerkstatt, das alleine schon deshalb einen Nobelpreis verdient hätte, weil es Mut, Lebensfreude und Visionen verbindet".
Im salbungsvollen Übereifer unterlief ihm der verhängnisvolle Fehler mit der Nervengift-Formulierung, das "Ozeanium" sei "Botox für Basel". So sahen es offensichtlich auch die Gegner: Sie schickten das Riesen-Aquarium bachab.
Marcel Rohrs Problem: Es ist nie erkennbar, worauf er hinaus will. Wie mit Lego-Bausteinen baut er Buchstaben-Berge, die Lesende ratlos zurücklassen, weil hier keine Analyse vorliegt, die zu einem persönlichen Meinungs-Schluss führt, sondern eine bunte Ansammlung von zusammenhanglosen Gedankensplittern zu bekannten Sachverhalten.
Vergangenen Samstag äusserte sich Rohr in einem 7'129 Zeichen langen Text über den Euro-Airport, den "faszinierendsten Verkehrsknotenpunkt der Nordwestschweiz", der "glänzt und ärgert". Dieser "Leitartikel" hat keine Botschaft, kein Ziel und keine inhaltliche Destination. Er trägt zwar mit imposantem Wortgeklingel dick auf: Der "öffentliche Verkehr eine Zumutung", "Fahrgäste stolpern über ihre eigenen Koffer", "wer schon von dem Flughafen da war, beisst in die Tischkante".
Er spricht aber unverbindlich von der "Direktion", von "Managern", von der "Führungsetage", von "Ingenieuren" und "Flughafen-Verantwortlichen", ohne auch nur einmal den Mut aufzubringen, jene beim Namen zu nennen, die er meint. Man will es ja, ausser mit "dem Verhinderungsdepartement Wessels" (so Rohr an anderer Stelle), mit niemandem verderben. Er formuliert weder eine konkrete Forderung noch nennt er einen klaren Adressaten.
Seine Begeisterung darüber, wie der Flughafen im Abendlicht "majestätisch seine Pracht entfaltet", wechselt munter ab mit der umwerfenden Feststellung, Flugzeuge seien "Dreckschleudern", oder "die Bosse" hätten "das Thema Lärm verschlafen". Oder er spielt den "knallharten Markt der Fliegerei" mit ihren Billigtarifen gegen die SBB aus, als seien die Bundesbahnen mit ihrem Streckenangebot – im Gegensatz zu privaten Fluggesellschaften – nicht einem klaren Service public verpflichtet.
Marcel Rohr war ein harter Hund als Sport-Chef, er hat sein Handwerk nach meiner Wahrnehmung absolut beherrscht. Die Protagonisten fürchteten und respektierten ihn. Doch wer glaubt, politischer Journalismus sei auf die Schnelle lern- und publizierbar, irrt. Er wird scheitern, wenn der Leitartikel ein Leidartikel bleibt.
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18. November 2019
"Irgendwie egal"
Mit dieser Gilde von gelinde gesagt mittelmässigen Journalisten holen die neuen Besitzer der BaZ nie und nimmer die dringend notwendigen 10'000 bis 20'000 zusätzlichen Abonnenten. Aber irgendwie scheint dies denen egal zu sein.
Nicolas Müller, Westkapelle NL
"Schuster bleib bei deinen Leisten!"
Marcel Rohr ist ein versierter Sport-Kenner und -Vermittler, doch: "Schuster bleib bei deinen Leisten!" Diese Worte treffen auf den neuen Chefredaktor der BaZ zu, welche leider an die Zürcher Tamedia übergegangen ist. Es fehlt "es bizzeli Salz und Pfeffer", was ich bei den wirklichen Auseinandersetzungen und dem brillanten, pointierten Journalismus von Markus Somm schätzte. Somm musste sehr viel einstecken, doch seine Artikel und die wöchentlichen "Worte zum Somm-Tag" waren stets hoch interessant wie brisant. Er hielt auch hier Wort, denn er versprach, dass er uns aufrütteln wolle, was ihm wirklich gelang.
Heute halten wir eine nichts aussagende Zeitung in der Hand, welche lediglich Reprisen bebildert abdruckt. Es sind kaum mehr eine Handvoll ehemaliger Journalisten übrig geblieben, die sich den aktuellen Themen widmen und sich wagen, offen die Aktualitäten und Probleme anzusprechen. Es bleiben uns nur noch die offenen Baustellen, quietschende Tramschienen und die verspäteten Bus und Drämli, die uns eifrig auf Trab halten.
Yvonne Rueff-Bloch, Basel
"Angriffe kommen gut an"
Aus eigener Erfahrung – auf beiden Seiten der "Theke" – als Leser, SP-Politiker und Kolumnist, Konsument und Produzent – lässt sie nach über 40 Jahren aufmerksamer und kritischer Beobachtung der Zeitung mit sieben sehr unterschiedlichen Chefredaktoren (Peter, Padel, Platz, Bachmann, Gering, Somm, Rohr) eine Bilanz ziehen: Angriffe auf die "Basler Zeitung" kommen beim Publikum immer an. Von welcher Seite auch immer. "Wer nit schimpft de isch kei Basler….!"
Roland Stark, Kolumnist "Basler Zeitung", Basel
"Für die Schweiz ohne Bedeutung"
Mit der Meinung von Peter Knechtli bin ich voll einverstanden. Leider hat Blocher kein politisches Gespür bewiesen, als er die BaZ an die Tamedia veräusserte und dafür kleine Zürcher Regionalblätter kaufte. Mit Somm hatte die BaZ weit über Basel hinaus eine Bedeutung, was die linkslastige Leserschaft vor Wut schäumen liess. Mit einem Sportredaktor als Chefredaktor zeigt Tamedia oder Zürich, was Basel ihnen bedeutet, eine Provinzstadt, die mit einem sozialistischen Parteiblatt und grossem Sportteil zufrieden gestellt werden kann und die für die Schweiz ohne Bedeutung ist.
Die BaZ, das heisst der Ableger der Zürcher Tamedia, hat praktisch die Redaktion und Verwaltung nach Zürich verlegt, die Vielfalt der Meinungen interessiert sie nicht. Die Leserbrief-Seite ist auf drei Leserbriefe täglich geschrumpft und fällt montags ganz weg. Sie wird von den immer gleichen Leserbriefschreibern gestellt, die alle die Meinung der Tamedia vertreten.
Das sichert auch das richtige Stimmverhalten, denkt man sich. Es kann aber auch schief gehen. Was ist, wenn sich jemand nicht für Sport, sondern Politik interessiert? Er kann im Internet dann die Zeitungen suchen, die gegensätzliche Meinungen vertreten. Wobei die Regierungen gerade dabei sind, die ihnen nicht genehmen Meinungen zu eliminieren. Ich bin froh, dass es OnlineReports gibt, wo man auch andere News aus der Region erfährt.
Alexandra Nogawa, Basel
"Samstags-Artikel unterirdisch"
Stimme Peter Knechtli vollumfänglich zu. Der Artikel am vergangenen Samstag war unterirdisch. Ich vermute zum Beispiel, dass Herrn Rohr entgangen ist, dass der Bahnhof Basel SBB derzeit umgebaut wird und die Eingangshalle deswegen nicht so leuchtet wie das Flughafengebäude. Wobei die Leuchtkraft ein interessantes Kriterium ist. Wie wäre es zum Beispiel mit Leuchten als Chefredakteure?
Peter Schmid-Scheibler, Muttenz
"Genau so ist es"
Ein hervorragender Artikel. Genau so ist es. Man kann es nicht besser beschreiben.
Hans Gerber, Basel
"Danke"
Genau, treffender könnte man das nicht ausdrücken! Danke.
Franz Goetschel, Grenzach-Wyhlen
"Ein grosser Irrtum"
Die Idee der Seite 2 war meiner Ansicht nach ein grosser Irrtum. Die dort geäusserten Meinungen und Autoren gehören bestenfalls stark nach hinten.
Walter P. von Wartburg, Basel