Justiz, Journalismus und häusliche Gewalt
Von PETER KNECHTLI
Vor einem halben Jahr erregte ein Interview der Basler Grossrätin Tanja Soland in der "Basler Zeitung" Aufsehen und Empörung zugleich: Die SP-Fraktionschefin warf darin den Medien und der Staatsanwaltschaft unter anderem vor, der Aggression im öffentlichen Raum im Vergleich zur häuslichen Gewalt viel zu viel Aufmerksamkeit zu widmen.
Diese Woche nun fand am Basler Strafgericht ein Prozess um häusliche Gewalt statt, der mustergültig die Grenzen der Wahrheitsfindung bei Aggression im privaten Raum und deren öffentliche Abhandlung aufzeigte.
Vor Gericht stand ein 48-jähriger muslimischer Kurde mit deutscher Staatsbürgerschaft, dreimal verheiratet und zweimal geschieden, einmal in Trennung, Vater von sechs Kindern, seit dreissig Jahren in der Schweiz wohnhaft, Sozialhilfe-Empfänger und früher Taxifahrer. Im Gerichtssaal führte er sich zuweilen rüpelhaft auf: Er fiel der Gerichtspräsidentin immer wieder ins Wort, er warf den Ermittlern vor, ihn durch die siebenmonatige Untersuchungshaft "vernichtet" zu haben, und er musste auch schon unter Polizeibegleitung aus dem Gerichtssaal verwiesen werden.
Seine imposante Statur, man könnte ihn getrost einen "Schrank" nennen, das finstere Gesicht, die Art, wie er mit beiden Zeigefingern auf Anwesende deutete, seine abschätzigen Gesten gegenüber der Staatsanwältin und die Begleitung durch mehrere Angehörige und Freunde aus halb Europa signalisierten vor allem eines: Hier sollen Bedeutungsmacht und Status demonstriert werden – wohl auch, um das Gericht zu beeindrucken.
"Es darf nicht sein, dass der Beweis am
Fehlen einer Gegensprech-Anlage scheitert."
Die Ehefrau, deren Anzeige als Opfer das Strafverfahren ursprünglich ins Rollen gebracht hatte, trat scheu in den Gerichtssaal, deponierte rasch ihre Zeugnisverweigerung und verzieh dem mit einem Kontakt- und Annäherungsverbot belegten Gatten aus Rücksicht auf die gemeinsame Tochter, bevor sie nach wenigen Minuten den Gerichtssaal verliess. Sie wollte nicht reden und nicht jene früheren Aussagen bestätigen, die das Gericht als "glaubwürdig" empfand.
Was sich in einer damals gemeinsamen Familienwohnung am Altrheinweg während über einem Jahr abspielte, veranlasste die Staatsanwältin, eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren zu fordern: Zusammengerechnet mehr als hundert Mal – in Einzelfällen dreimal täglich – soll die Frau von ihrem Ehemann, der gleichzeitig ihr Cousin ist, zu dem gezwungen worden sein, was dieser als "einvernehmlichen Sex" bezeichnete, die Anklageschrift aber als klare Vergewaltigung taxierte.
So viel Unschulds-Aura der Beschuldigte im Gerichtsgebäude beanspruchte, so unscheinbar und wirkungslos wie sanftes Lüftchen wirkte der kurze und wortkarge Auftritt der betroffenen Ehefrau, die zu allem noch die Cousine des Angeklagten war und somit zur gleichen Familie gehörte.
Von den viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe, die die Staatsanwältin beantragt hatten, blieben am Schluss allerdings noch ganz acht Monate und ein Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung, um die es in diesem Prozess im Wesentlichen ging.
Das Gericht hatte in der Tat keine andere Wahl als den Freispruch, weil es die Vergewaltigungen nicht beweisen konnte: Die Staatsanwaltschaft hatte darauf verzichtet, den Angeschuldigten im Vorverfahren mit den Vorwürfen des Opfers mündlich zu konfrontieren. Als Grund gab sie an, die technischen Einrichtungen seien nicht vorhanden gewesen – offenbar fehlen zwei mit einer Gegensprech-Anlage verbundene Räume.
Dass in Basel-Stadt der Nachweis häuslicher Gewalt an einer fehlenden Gegensprech-Anlage scheitert, muss zu denken gaben. Wenn keine andern Beweise vorliegen und das Konfrontations-Protokoll der letzte vom Gericht verwertbare Vergewaltigungs-Beleg bleibt, sollte die Ermittlungsbehörde schleunigst die technischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass Konfrontationen in einem möglichst frühen Stadium möglich sind. Dies insbesondere im eigenen Interesse: So hätte unter Umständen verhindert werden können, dass die knallharte Anklage der ehelichen Vergewaltigung mit dem erstinstanzlichen Urteil weitgehend in sich zusammenfiel.
Darum an die Adresse von Tanja Soland: Wenn es schon der Anklagebehörde und der Gerichtsbarkeit nicht gelingt, brutale häusliche Gewalt mit den Instrumenten der Strafverfolgung zu beweisen, wird nachvollziehbar, wie schier unmöglich erst die journalistische Thematisierung der Gewalt im privaten Raum ist, ohne involvierte Personen möglicherweise zu Unrecht zu beschuldigen.
30. Januar 2013