Ozeanium, Museum, Archiv: Reife Entscheide
Von PETER KNECHTLI
Olivier Pagan, der Direktor des Basler Zoos, ist verwundert darüber, dass die Bevölkerung ein 100 Millionen-Geschenk in Form eines Ozeaniums auf der "Heuwaage" ausschlägt. Die Verwunderung ist aus seiner Optik nachvollziehbar: Wo liegt denn das Problem, wenn potente private Mäzene einen 28 Meter hohen, futuristisch anmutenden Kubus finanzieren, der mit 40 Aquarien Wundersames aus der Welt der Meerestiere präsentiert und jährlich eine halbe Million Besucher entzückt!
Das klare, wenn auch nicht überdeutliche Nein zum Bebauungsplan – darum ging es formell – ist in der Tat kein Entscheid gegen den Zolli, der zu den identitätsstiftendsten Institutionen der Region zählt. Aber es ist ein klares Verdikt gegen eine Weiterentwicklung des Zoos in Richtung eines Vergnügungs-Unternehmens, das Augenschmaus und "Jööö!"-Effekte bietet, bezüglich Bewusstseinsbildung aber weiterhin schonungsvoll an der Oberfläche bleibt.
Jetzt wurde der Zoo vom tatsächlichen Volksempfinden kalt erwischt. Der Souverän empfand das Ozeanium offensichtlich als jenes "Botox", mit dem der BaZ-Chefredaktor fatalerweise für eine Zustimmung geworben hatte.
"Das im Plasticsack eingesperrte Fischlein
brachte die Nein-Botschaft auf den Punkt."
Ausschlag gebend war weder der Standort noch die Wucht des Gebäudes, die zum Nein führte. Es war der weltweit zu beobachtende gesellschaftliche Wertewandel und die mit ihm einhergehende Solidarität mit der Tierwelt. Die interkontinentale Thematisierung der durch Pestizide bedrohten Bienen oder der Widerstand gegen aggressive Walfänge und Überfischung hätten ein deutliches Signal sein sollen. So attraktiv es äusserlich und innerlich gewesen sein mochte: Das Ozeanium war ein Projekt der Vergangenheit.
Mit dem im Plasticsack eingesperrten Fischlein haben die Gegner ihre Botschaft perfekt auf den Punkt und damit eine Grundstimmung in der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht, die im Ozeanium nicht mehr die "Bildungs-Institution" und die "Sensibilisierung" erkennt, womit der Zolli-Direktor sein prestigeträchtiges Mammut-Projekt als neuen Publikums-Magneten schmackhaft machen wollte.
Nichts führt an der Feststellung vorbei, dass es der Zoo in den vergangenen zwanzig Jahren verpasst hat, seine Rolle als Frühwarn-Akteur der globalen Zerstörung von Lebensgrundlagen der maritimen Tier- und Pflanzenwelt neu zu definieren.
Weil kein "Plan B" vorhanden ist, wird ein lernfähiger Zolli diese Rolle nun mit erhöhter Dringlichkeit wahrnehmen müssen, wenn seine Publikumszahlen nicht noch weiter schrumpfen sollen durch eine wachsende Zahl sich abwendender Zeitgenossen, denen das liebevolle Vorführen einer heilen Tierwelt nicht mehr genügt. Der optischen und emotionalen Attraktion der Basler Tier-Oase muss ein vermittelndes Pendant in Form eines Engagements zur Rettung und Bewahrung der Ökosysteme gegenüberstehen.
Das Nein zur "faszinierenden Unterwasserwelt" (so der Zolli) weist in eine neue Denk- und Fühlrichtung, wie sie auch im Ja des Stimmvolks zu einem Neubau zum Ausdruck kommt, der das Naturhistorische Museum und das Staatsarchiv auf eine gemeinsame räumliche, konservatorische und wissenschaftliche Basis stellt.
Die Zustimmung des Souveräns ist insofern bemerkenswert, als weder Museum noch Staatsarchiv naturgegeben ultimative Vermarktungs-Qualitäten besitzen. Aber als Hüterinnen des historischen Gedächtnisses verdienen sie die jetzt entschiedene beträchtliche Investition in eine zeitgemässe Infrastruktur, die dem so gern betonten Anspruch Basels als Kultur- und Bildungsstadt entspricht.
Das Volk hat am Wochenende – auch wenn dies für die Ozeanium-Befürworter schmerzhaft sein mag – zwei Entscheide der Reife gefällt. Es entschied differenziert, indem es nicht – wie da und dort befürchtet – gleichzeitig mit dem Ozeanium dem neuen Hort des Wissens eine Abfuhr erteilte.
Die SVP, zu deren Kernkompetenz Museen und Archive noch nie gehört haben, lief mit ihrem Referendum ins Leere. Dass auch die Freisinnigen der forschungs- und bildungsfeindlichen Spur folgten ("Lasst es doch, wie es ist!"), ist besonders bedauernswert.
Bericht zur Volksabstimmung
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19. Mai 2019
"Ein kleines Kunstwerk"
Die massgebenden Überlegungen treffend formuliert! Ein kleines Kunstwerk, macht Vergnügen beim Lesen!
Katja und Martin Dormann, Basel
"Der FDP ging es um die fehlende Museums-Strategie"
Es ist ja geradezu grotesk die FDP als forschungs- und bildungsfeindlich zu bezeichnen. Der Fortschritt ist eine zentraler Wert der FDP und wir beschäftigen uns intensiv mit der Zukunft und auch mit den Möglichkeiten der Digitalisierung im Kontext des Bildungsauftrages. Unsere Kritik ging primär gegen die fehlende Museumsstrategie.
Warum eine Strategie mit Weitblick für unsere Museen so zentral wäre, zeigt der Vergleich mit der Messe. Auch der Erweiterungsbau der Messe wurde seinerzeit als alternativlos angepriesen. In der Zwischenzeit wissen wir es besser, die Messepräsenz und das Besucherverhalten haben sich in kurzer Zeit radikal verändert. Einkaufs- und Messeflächen werden heute kleiner, weil eben vieles im Internet stattfindet. Auch das Stücki ist ein Beispiel dafür.
Müssten wir uns also nicht darauf vorbereiten, dass sich in Zukunft auch das Besucherverhalten in Museen ganz grundlegend verändern wird? Und müsste man nicht auch überlegen, ob auch Museen in Zukunft mit weniger Fläche auskommen könnten? Leider wollte man sich nicht mit den Fragen beschäftigen. Jetzt werden halt einfach überall die Flächen vergrössert.
Daniel Seiler, Vizepräsident FDP Basel-Stadt, Basel
"Zürcher Zoo im Vorteil"
Ein Vergleich mit dem Zürcher Zoo, der Basel schon lange den Rang abgelaufen hat, zeigt, dass es weniger um Ökologie geht, denn da kann der Zürcher Zoo auch nicht gross punkten, aber er kommt mit der Einbettung in die Landschaft und mit allem Drum und Dran den Besuchern einfach besser entgegen.
Liselotte Reber, Basel
"Auf den Punkt gebracht"
Kompetent auf den Punkt gebracht, chapeau!
Christoph Schwegler, Arlesheim