Der Tanz mit dem Tod
Am vergangenen Mittwoch wirbelten 50 Trommler*innen zu Ehren des Basler Totentanzes durch die Gassen unserer (kleinen) Stadt. Es war die Auftaktveranstaltung für die grosse Inszenierung des Basler Totentanzes, die im Sommer 2024 wieder einmal aufgeführt wird.
Basel und der Tod – wer sich etwas in der Basel-Bubble bewegt, weiss: Diese beiden sind eng miteinander verbunden. Kaum ein tiefsinniges Gedicht von Blasius, in dem der Tod nicht irgendwo einen Auftritt erhält. Beim Spaziergang über den Münsterplatz landet man ab und an im Kreuzgang mit den vielen Gräbern, in denen tote Basler Berühmtheiten begraben sind. Einem Ort, wo der Tod und das Leben aufeinandertreffen wie sonst wohl am ehesten noch auf dem Hörnli oder im Spital.
Sie, liebe Leserinnen und Leser, mögen sich jetzt vielleicht denken: "Huch, was für ein schweres Thema hat sich Frau Vergeat da ausgesucht." Ich hoffe zwar, dass Sie mich in Ihren Gedanken duzen, aber an dieser Kolumne ist tatsächlich wenig Leichtes dran. Sollte Sie das in diesen regnerisch-kriegerischen Novemberzeiten nicht so ansprechen – es sei Ihnen verziehen.
Wir als Gesellschaft haben den Umgang mit dem Tod verlernt.
Ich habe im vergangenen Jahr vier Todesfälle in meinem engeren Umfeld erlebt. Alle sehr unterschiedlich. Absehbar, überraschend, viel zu jung, schon ganz alt. Alle traurig. Und ich kam bei jedem Verlust und in meiner Trauer jeweils zum selben Schluss: Wir als Gesellschaft haben den Umgang mit dem Tod verlernt.
Ja, diese Feststellung mag jetzt möglicherweise etwas pauschalisierend daherkommen. Denn der Umgang mit dem Tod ist wohl genauso verschieden wie die unterschiedlichsten Arten, zu trauern. Und doch vermisse ich einen gesellschaftlichen Umgang mit Trauer und Tod in unserem Leben. Vielleicht gerade dann, wenn wir nicht direkt oder akut davon betroffen sind. Wie reden wir über Verstorbene? Welchen Platz nehmen sie in unserer Gesellschaft noch ein? Wie gehen wir mit Trauernden um, und wie reden wir selbst über das Trauern?
Oft berichten gerade Trauernde davon, dass sie sich fühlen, als verstehe sie niemand so richtig.
Während andere Kulturen – wie zum Beispiel in Mexiko am berühmten Día de los Muertos – einen klar festgelegten Tag für das Gedenken an die Toten haben, und so der Tod für alle von Beginn ihres Lebens an ein festes Datum im Jahresverlauf hat, ist Allerheiligen oder Allerseelen in unseren Breitengraden stark in den Hintergrund gerückt. Dabei glaube ich, es würde uns allen gut tun, zumindest einmal im Jahr gemeinsam an unsere Verstorbenen zu denken und miteinander über das Sterben und Trauern zu reden.
Oft berichten gerade Trauernde davon, dass sie sich fühlen, als verstehe sie niemand so richtig. Ausser vielleicht andere, die direkt von einem ähnlichen Verlust betroffen sind.
Der Trauerprozess kurz nach dem Tod ist bei uns teilweise institutionalisiert. So wird eine Todesanzeige geschaltet und oftmals auch eine Trauerfeier durchgeführt, und wir kondolieren unseren Bekannten mit Worten, ganz persönlich oder per Post. Der "Notfall-Kompass" scheint uns also nicht verloren gegangen zu sein.
Nehmen Sie am Familienznacht ein Fotoalbum hervor und blättern Sie in der Vergangenheit.
Aber wie geht es weiter, nachdem die Baizentür zur Trauergemeinschaft geschlossen wurde? Ich empfinde, dass der Tod oftmals mit einer grossen Schwere und Traurigkeit behaftet ist und wir kaum einen anderen Zugang zu ihm haben. Dabei würde ich mir genau einen solchen wünschen. Eine verfestigte Erinnerungskultur an die Menschen und ihre Geschichten, ein Bewusstsein für und mehr Gespräche über das Sterben, den Tod und das Trauern. So, wie im Mittelalter der Tod die Lebenden zum Tanzen bat, so wünsche ich mir wieder einen sanfteren Umgang mit ihm und unseren Gefühlen ihm gegenüber.
Gerade die individuellen Bedürfnisse der Sterbenden und der Trauernden brauchen Verständnis. Verständnis zu entwickeln, gelingt uns am besten, wenn wir uns austauschen.
In diesem Sinne, liebe Leser*innen, nehmen Sie doch den November zum Anlass, wieder einmal zum Hörer zu greifen und sich bei Freund*innen zu melden, die jemanden verloren haben. Oder nehmen Sie am Familienznacht ein Fotoalbum hervor, blättern Sie in der Vergangenheit und erzählen Sie einander die Geschichten von all jenen, die schon vom Tod zum Tanze gebeten wurden.
20. November 2023
"Sie rüttelt uns wach"
Ich kann jeden einzelnen Satz dieses Beitrags unterschreiben. So wertvoll, wenn eine mitten im Leben stehende junge Frau uns wachrüttelt, mutig und offen über den Tod und Verstorbene nachzudenken und mit anderen über unsere Trauer, unsere Ängste und Hoffnungen zu sprechen. Und bei allem Schmerz auch lächeln zu lernen über fröhliche und liebevolle Erinnerungen an Menschen, die nicht mehr unter uns sind.
Martin Dürr, Basel