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![]() "Vollgepumpt mit Splittern": Arzt Rio Spirgi*
Ein Augenzeuge des Wahnsinns ist nicht mehrDer Basler Chirurg Rio Spirgi rettete in vielen Kriegen des 20. Jahrhunderts zahllose Leben Von Ruedi Suter Das entsetzliche Leid, das Kriege auslösen, hat ihn radikalisiert und zu einem lebenslangen Kämpfer gegen Krieg und Unterdrückung gemacht. Nun ist Kriegs-Chirurg Rio Spirgi, der Augenzeuge des menschlichen Wahnsinns, im Alter von 83 Jahren verstorben: Versuch einer Würdigung. Der bekannte Basler Chirurg Rio Spirgi ist am Samstagmorgen um 11.20 Uhr in seiner Wohnung in Minusio im Tessin mit 83 Jahren einem Darmkrebsleiden erlegen. Dies teilte heute Montag seine Frau Susana Vogel engen Freunden in Basel mit. Mit dem Hinschied von Rio Spirgi verliert die Schweiz einen ausserordentlich engagierten Mediziner, der in den verschiedensten Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt unzählige Male sein Leben riskierte, um dasjenige anderer Menschen zu retten.
Rio Spirgi hatte in Basel auch eine Familie, für die der dauernd in gefährlichen Gebieten herum reisende Gatte und Vater mit seinen Kriegserlebnissen nicht selten eine Bürde war. Seine erste Frau Colette, die eine Tochter in die Ehe brachte und ihm zwei Söhne gebar, starb 1986. "Ich hätte all dies ohne die solidarische Beziehung meiner Frau nie machen können!", sagte er mir später einmal mit Wehmut. Seine Erfahrungen verfolgten ihn manchmal so, dass er in Gesprächen mit Freunden kaum mehr auf diese eingehen konnte und sie die Begegnungen mit ihm zuweilen als Monologe empfanden.
Wider den medizinischen Kolonialismus
Seine letzten aktiven Jahre verbrachte der Arzt vor allem in Mittel- und Südamerika. Dort setzte er fortan und später auch mit tatkräftiger Unterstützung von Lebenspartnerin Susane Vogel seine medizinischen und organisatorischen Kenntnisse für die Befreiungsbewegungen, Landbevölkerungen und Indianer Lateinamerikas ein. Seinem radikal-konsequenten Handeln blieb er treu. "Arztsein ist auch eine politische Arbeit. Wir setzen uns zum Beispiel für die Alphabetisierung und die Rechte der Frauen ein. Der Kampf um die Gesundheit ist der Kampf um die Befreiung", fasste Spirgi zusammen.
Zum Schluss kümmerten sich er und Susanna Vogel besonders um die Weitergabe ihres Wissens im Bereich der medizinischen Notfallhilfe. Zu viele vermeidbare Todesfälle hatten sie schon erlebt, nur darum, weil die Helfenden falsch Hand anlegten. Zwischen 15 und 20 Prozent der im Krieg oder bei einer Naturkatastrophe Verwundeten stürben so, kritisierte Spirgi, auch Autor eines viel beachteten Handbuchs über Katastrophen-Management: "Diese Menschen hätten mit wenig medizinischem Wissen gerettet werden können." Es war die Zeit, wo sich Rio Spirgi in Anlehnung an die Befreiungstheologen als "Befreiungsarzt" wirken sah.
"Am Anfang bin ich immer mitgestorben. Ich war todunglücklich, wenn jemand starb. Voll gepumpt mit Splittern oder Kugeln kann man nicht friedlich sterben. Da werden das Sterben und die Angst davor zum Terror. Ich bin darum auch für die Euthanasie. Der Schmerz ist schrecklich, wenn man ihn nicht dämpfen kann. Mit der Zeit musste ich aufhören mitzusterben – ich musste mich ans Sterben gewöhnen. Ich habe aber auch viele Menschen gesehen, die friedlich starben. Ja, und was den Tod betrifft, so glaube ich, dass sich der Mensch einmal selbst erlöst. Und zwar hier, nicht im Jenseits: Wenn ich sterbe, dann ist Ruhe, aus, le néant – das Nichts."
* 2001 in der Basler "Kunsthalle" 26. November 2007
![]() "C'était un très chic typ!" Rio Spirgi war für mich (als sein chirurgischer Assistent in Basel) immer ein Vorbild. Ich war nicht so konsequent wie er, aber ich versuchte es ihm gleich zu tun. C' était un très chic typ! Dietegen Allgöwer, Genf "Vorbild eines unerschrockenen Kämpfers" Für diese eindrückliche Würdigung von Rio Spirgi mein grosser Dank! Als junge Krankenschwester lernte ich ihn 1962 im Bürgerspital Basel als engagierten chirurgischen Assistenzarzt und bemerkenswert verständnisvollen Menschen kennen. Zufälligerweise (!) arbeitete als Kollege in jenem Team auch der jetzige Nationalrat Jean-Henri Dunant - offensichtlich zwei diametral entgegengesetzte Geisteshaltungen!
Viel später begegnete ich Rio Spirgi von neuem bei einer Veranstaltung der "Frauen für den Frieden Basel". Anfangs der achtziger Jahre hielt er einen Vortrag über den Krieg im Libanon mit dem heute leider mehr denn je aktuellen Titel "Die menschliche Katastrophe". Seine Worte wirkten wie in Stein gemeisselt in mir nach: Gezielte militärische Angriffe der israelischen Armee auf Spitäler und gleichzeitig eine minutiöse Schonung der Öl-Pipeline. Parallelen zum Holocaust ...
Warum hat man damals Spirgis präzise Beobachtungen und seine fundierte Einschätzung der Lage zu wenig ernst genommen? Blieb Spirgi tatsächlich ein einsamer Rufer in der Wüste? Rio Spirgi hatte uns allen so viel zu sagen. Jetzt ist er verstummt, aber als Vorbild eines ausgezeichneten Chirurgen, eines liebevollen Menschen und eines unerschrockenen Kämpfers für die Gerechtigkeit bleibt er uns erhalten. Ursula Nakamura-Stoecklin, Wölflinswil "Kleine Geschosse zerfetzen den Körper" Ich kannte Dr. Rio Spirgi nicht persönlich. Als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot (ARW) nahm ich 1977 brieflich Kontakt mit ihm auf, als er gegen die Einführung der neuen Sturmgewehre mit dem Kaliber 5.56 protestierte. Spirgi hatte im Vietnam Krieg und später im Libanon für das Komitee des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) gearbeitet. Er machte zusammen mit anderen Chirurgen die Erfahrung, dass die Munition mit dem Kaliber 5.56, der modernen Sturmgewehre, die damals auch die Schweiz einführen wollte, sehr komplizierte Verletzungen verursacht. Diese kleinen Projektile des Kalibers 5.56 bewirkten nämlich keine glatten Durchschüsse, sondern stellen sich im menschlichen Körper quer und reissen furchtbare Wunden – ähnlich wie bei den verbotenen Dum-Dum-Geschossen.
Die Tageszeitung "Die Tat" schrieb am 26. Mai 1977 unter dem Titel "Das heimtückische Kaliber 5.56": "Der Basler Kriegsarzt Rio Spirgi (52) steigt auf die Barrikaden! Er will unter allen Umständen verhindern, dass die Schweizer Wehrmänner künftig mit kleinkalibrigen Sturmgewehren ausgerüstet werden, die vom IKRK geächtet sind. Grund: Die heimtückischen kleinen Geschosse zerfetzen den Körper. Eine Amputation ist in den meisten Fällen unvermeidlich."
An der Tagung des Vereins "Humanitäre Schweiz" vom 6. Februar 2007 an der Universität Zürich behandelte Dr. Beat Kneubühl in seinem Vortrag auch das Thema der Verletzungen durch Munition, das den Chirurgen Spirgi schon vor 30 Jahren so stark beschäftigt hatte. Kneubühl legte in seinem Vortag "Internationale Konventionen und die Problematik der Kleinwaffen" dar, dass Geschosse von Kleinwaffen, Sturmgewehren usw. durchaus den internationalen Konventionen entsprechen können. Dennoch können sie aber aber die verheerende Wirkung verbotener Projektile haben und furchtbare Verletzungen verursachen, ähnlich denen von Dum-Dum-Geschossen. Kneubühl zeigte unter anderem Einschusskanäle mit Munition des Kalibers 5.56 in Paraffin. Paraffin hat eine ähnliche Konsistenz wie menschliches Gewebe, soll sich so für solche Versuche eignen. Die Details von Kneubühls Schiessversuchen können von der Homepage des Vereins Humanitäre Schweiz (www.fhch.ch) herunter geladen werden.
Heinrich Frei, Zürich "Traurig, dass solche Menschen immer weniger werden" Wenn man den etwas mehrdeutigen Hinweis, dass Rio der angeblich "verbalradikalen Sprache" der alten Linken treu geblieben sei, wegnimmt, dann ist ein eindrücklicher und berührender Nachruf gelungen. Danke. Ich habe Rio Spirgi in den siebziger Jahren ein paar Mal anlässlich von Vorträgen gesehen und gesprochen, und er ist mir als Mensch in Erinnerung geblieben, der mir mit seiner klaren Haltung gegen Terrorherrschaft und Imperialismus, seiner konsequenten Parteinahme für die Opfer und seinem unerschütterlichen Respekt den Menschen gegenüber bis heute einen Eindruck hinterlassen hat wie kaum ein anderer. Ja es ist traurig – und ebenso traurig ist, dass die solchermassen engagierten Menschen immer weniger werden. Hanspeter Gysin, Basel "Er kämpfte einen guten Kampf" Grand merçi für diese schöne Würdigung! Rio Spirgi hat einen guten Kampf gekämpft. Während vieler Jahre auch in den Reihen der Schweizerischen Friedensbewegung (SFB). Seine vielen Mitstreiter in aller Welt werden ihm die Schlusszeilen aus Heinrich Heines "Enfant perdu" widmen:
"Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen Sind nicht gebrochen - Nur mein Herze brach."
Adios, compagnero! Heinz Moll, Prag |
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bei Hauseigentümern auf |
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