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"Wir haben schnell gehandelt": Regierung bei Massnahmen-Verkündung
Baselbieter Regierung ruft Notlage aus: Viele Betriebe müssen schliessen
Das öffentliche und wirtschaftliche Leben kommt – vorläufig – bis Ende April weitgehend zum Erliegen
Von Peter Knechtli
Im Kampf gegen die weitere Verbreitung des Coronavirus hat die Baselbieter Regierung heute Sonntag die Notlage ausgerufen: Ab morgen Montag gelten bis Ende April Verhältnisse, wie sie der Kanton noch nie gekannt hat. Das öffentliche und wirtschaftliche Leben wird weitgehend zum Stillstand kommen – ausser in den Spitälern.
"Die Lage ist sehr ernst und sie wird sich weiter zuspitzen." Dies sagte heute Sonntagnachmittag der Baselbieter Regierungspräsident Isaac Reber an einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz im Landratssaal von Liestal, zu der die Regierung in corpore erschien. "Wenn wir etwas machen, dann machen wir es richtig und wir machen es jetzt", fuhr er fort.
Gültig ab Montag, 6 Uhr
Grund sind die exponentiell gestiegenen Infektionen im Kantonsgebiet. Gestern Samstagnachmittag waren im Baselbiet 47 Corona-Infektionen bekannt – einen Tag später sind es schon 54 Fälle, deren Ansteckungslinien sich nicht mehr zurückverfolgen lassen. Damit sich das Virus nicht explosionsartig weiter verbreitet, sondern so gut wie möglich eindämmen lässt, hat die Regierung in Blitzeseile die Notlage ausgerufen, die das öffentliche Leben und grosse Teile der Wirtschaft – insbesondere auch der KMU – weitgehend lahmlegt.
Gestern Nacht um 22 Uhr beschloss die Regierung, heute Sonntagmorgen die als zweckdienlich erachteten Massnahmen zu beschliessen und am Nachmittag zu kommunizieren. In Kraft treten sie morgen Montag früh um 6 Uhr und gelten einstweilen bis 30. April, 24 Uhr.
"Einschneidende Verbote"
Alle öffentlichen, privaten und religiösen Anlässe und sonstigen Versammlungen und Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen sind verboten, wie Sicherheitsdirektorin Kathrin Schweizer ausführte. Beerdigungen im kleinen Rahmen oder im privaten Kreis beispielsweise sollen weiterhin möglich sein. Eine Ausnahme kann die Regierung auch zulassen, um die Ausübung der politischen Rechte zu garantieren. Für Gesuche ist der Kantonale Krisenstab zuständig.
Verboten sind auch alle Anlässe von Vereinen wie Sportanlässe, Trainings und Proben oder dergleichen.
Verkaufsgeschäfte, die nicht der Aufrechterhaltung der Grundversorgung – wie Lebensmittel, Tiernahrung Heilmittel, medizinische Hilfsmittel oder Treibstoff – dienen, müssen geschlossen bleiben. Insbesondere Grossverteiler müssen Bereiche, die nicht der Grundversorgung dienen, von den zugelassenen Verkaufsflächen abgrenzen und schliessen.
Gastro und Wellness schwer getroffen
In Verkaufsstätten und Dienstleistungsbetrieben mit Publikumsverkehr müssen die Verantwortlichen die Hygieneregeln des Bundesamtes für Gesundheit einhalten und für genügend "soziale Distanz" – eine Person pro vier Quadratmeter Netto-Verkaufsfläche – sorgen.
Schwer treffen die Massnahmen den Gastro-, Freizeit und Tourismusbereich. Alle Restaurant und Hotels im Kantonsgebiet müssen ihren Betrieb einstellen. Dasselbe gilt für Konzertsäle, Kinos, Theater, Museen, Jugend-, Sport-, Wellnes- und Fitnesszentren, Schwimmbäder, Discos, Nachtbars, Nacht- und Erotikclubs.
Die im Baselbiet verkehrenden Transportunternehmen (ausgenommen SBB und Taxis) müssen Massnahmen treffen, dass die zur Verfügung stehenden Plätze höchstens zur Hälfte genutzt werden.
"Bruderholz" wird "Corona-Spital"
Die Regierung hat zudem beschlossen, das Bruderholzspital als Referenzspital für Corona-Fälle zu definieren. Am Kantonsspital Liestal und am Spital Laufen werden keine Coronafälle mehr behandelt. Potenzielle Corona-Patienten werden also künftig nicht mehr in Arztpraxen und Notfallstationen mehr getestet. Diese Aufgabe übernehmen ab Mitte kommendr Woche zwei "Abklärungszentren" mit Standorten in Münchenstein (Kuspo) und Lausen (Mehrzweckhalle).
Alle Spitäler müssen absofort von nicht unmittelbar notwendigen medizinischen Eingriffen absehen. Der Aufnahme-Stopp für diese Eingriffe soll "Kapazitäten schaffen" für von Coronavirus betroffene Patienten.
Besuche in Spitälern, Alters- und Pflegeheimen oder ähnlichen Einrichtungen, die Personen aus Risikogruppen betreuen, sind untersagt. Die Institutionen können aber Ausnahmen bewilligen. Gesundheitsdirektor Thomas Weber betonte jedoch, dass die medizinische Versorgung im Kanton für sämtliche Patienten "jederzeit sichergestellt" sei.
Aufgrund der Notlage werden die Behörden ermächtigt, allenfalls benötigte Sachmittel, Personal, Dienstleistungen oder Unterkünfte bei Privaten zu requirieren.
Schulen auf Fernunterricht programmiert
An den Baselbieter Schulen wird der Präsenzunterricht eingestellt. Aber sämtliche Schulen bieten Betreuung an – insbesondere, wenn Eltern bespielsweise im Gesundheitswesen oder ähnlichen Funktionen tätig sind, in denen sie in dieser Krise dringend gebraucht werden.
"Kein Schüler wird vor verschlossenen Türen stehen", sagte Bildungsdirektorin Monica Gschwind: Es gilt, Ruhe zu bewahren." Der Unterricht soll aber sichergestellt werden, wenn auch "in anderer Form". Die Konzepte dazu werden derzeit von den Schulleitungen und Lehrkräften erarbeitet. Der Schwerpunkt liegt hier – wie im übrigen auch bei einem Teil der kantonalen Verwaltung – bei der Heimarbeit. Dabei sollen analoge, vor allem aber auch digitale Mittel eingesetzt werden. Es sei ihre wichtig, so die Bildungsdirektorin, dass der Lernfortschritt und der Schulabschluss sichergestellt werden.
Alle Kitas bleiben offen "für Eltern, die in Gesundheitsberufen arbeiten oder anderweitige dringende Arbeitsverpflichtungen haben". Es sei "allererste Priorität, dass alle Eltern und die Erziehungsberechtigten sich selber die Betreuung organisieren". Gschwind geht aufgrund der beschlossenen Massnahmen davon aus, dass dadurch "wesentlich weniger Kinder betreut werden müssen als dies bisher der Fall war".
Busse bis 10'000 Franken
Die Massnahmen der Regierung rechtlich so verpflichtend, dass Widerhandlungen aufgrund des Epidemiengesetzes Bussen bis 10'000 Franken ausgesprochen werden können. Die angeordneten "einschneidenden Massnahmen" (Reber) hätten nur ein Ziel: den Schutz der Baselbieter Bevölkerung. Nur so könne "ein Kollaps der Gesundheitsversorgung verhindert werden". Wenn das gelinge, heisse dies nicht mehr und nicht weniger "als dass wir Leben retten".
Die Regierung betonte mehrfach, dass Kinder von Eltern, die dazu aus bestimmten Gründen nicht in der Lage sind, keinesfalls den Grosseltern zur Aufsicht übergeben werden sollen, da dieses Alterssegment zur hauptsächlichsten Risikogruppe gehört.
Kanton wird auch Mittel freimachen
Neben den zehn Milliarden Franken, die der Bund der Wirtschaft für Ausfälle zur Verfügung stellen will, dürfen von den Massnahmen betroffene Baselbieter KMU auch vom Kanton Unterstützung erwarten. Finanzdirektor Anton Lauber wollte auf die Frage von OnlineReports bewusst "keinen Betrag nennen". Arbeitsgruppen würden diesbezüglich die Arbeit unmittelbar aufnehmen. Er verwies aber auf "den guten Abschluss 2019", die guten Steuerprognosen für das laufende Jahr und die in Aussicht stehenden Zuwendungen der Nationalbank, so dass der Kanton Baselland "gut aufgestellt" sei.
Laut Lauber wird sich die "wirtschaftliche Krisensituation weiter verschlechtern". Schon heute komme es zu Umsatzeinbussen bis 80 Prozent. Auch sei ein "rasanter Anstieg der Kurzarbeitsgesuche" festzustellen, sagte Lauber, ohne aktuelle Zahlen zu nennen.
Viele Grenzgänger(innen) in Spitalberufen
Laut Patrik Reiniger, dem Chef des Kantonalen Krisenstabs, sind von den vor einer Woche angekündigten mobilen Test-Teams bisher 108 Personen "beprobt" worden, was eine Entlastung der Notfallstationen bewirkte. Der Krisenstab hatte die Führung am 28. Februar übernommen, als es einen einzigen bestätigten Fall im Baselbiet gab. Heute befinde sich der Kanton auf derselben Anstiegskure wie Italien – "einfach zeitversetzt", mahnte der Krisenmanager.
Für eine gewisse Verunsicherung hatte der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn mit der Empfehlung gesorgt, aus der Schweiz nach Deutschland Einreisende sollten sich in eine zweiwöchige Quarantäne begeben.
Wie Regierungsrat Weber auf die OnlineReports-Frage sagte, arbeiten rund 800 Grenzgänger(innen) aus der badischen und 250 bis 300 aus der elsässischen Nachbarschaft in Baselbieter Spitälern. Sie seien aber an die Quarantäne-Empfehlung Spahns nicht gebunden. Der Minister habe sein Statement in privater und nicht in offizieller Mission abgegeben.
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15. März 2020
"Sind alle verrückt geworden?"
Langsam frage ich mich, ob alle verrückt geworden sind. Der Corona Virus fordert weit weniger Opfer als die Grippe. Trotzdem greifen die Regierungen zu drastischen, aber inkonsequenten Massnahmen. Am besten sieht man das im Tessin. Dort ist es allen Bewohnern ab 65 verboten, die öffentlichen Transportmittel zu benutzen. Da es in den Dörfern schon lange keine Lebensmittelläden mehr gibt, frage ich mich, wie sich die autolose Bevölkerung verpflegen soll. Gleichzeitig erlaubte die Tessiner Regierung, dass täglich 70'000 Italiener die Grenze überqueren dürfen (20 Prozent der Tessiner Bevölkerung).
Das Gleiche soll nun im Baselbiet geschehen, allerdings ohne Einschränkung des Verkehrs. Mit andern Worten, wer EU-Mitglied ist, wird bevorzugt behandelt, ausser er hat das Pech, bei einem Kleinbetrieb angestellt zu sein, der schliessen muss. Konzerne dürfen weiter arbeiten und ihre Ware aus China beziehen. Ganz Europa ist im Hausarrest, aber die Güter dürfen weiter transportiert werden und Konzerne dürfen weiter arbeiten, nur ein Teil der Belegschaft muss im Home Office arbeiten, der andre Teil wird entlassen, weil das alles auch in China hergestellt werden kann und der Güterverkehr keinen Einschränkungen unterliegt.
Hätte die Schweiz schon früh ihre Grenze zu Italien geschlossen, wäre der Schaden nicht so gross. Aber wir haben ja den freien Personenverkehr. Des weiteren dürfen auch noch Flüchtlinge mit der Protektion des Bundes kommen. Offensichtlich hat Frau Bundespräsidentin Sommaruga im Geographieunterricht geschlafen oder er fand gar nicht mehr statt. Sonst wüsste sie, dass die armen Flüchtlinge aus Syrien, die jetzt an der türkischen Grenze stehen, praktisch alles Afghanen sind und um von dort in die Türkei zu kommen, muss der Iran durchquert werden. Ausserdem haben sie im Iran 70’000 Gefangene aus den Corona-verseuchten Gefängnissen freigelassen. Natürlich werden alle Flüchtlinge ohne medizinische Tests in die Schweiz gelassen. Es steht uns also einiges bevor.
Alexandra Nogawa, Basel
"Keine anderen Sorgen?"
Aber au Albert – jetzt holt uns der alte Wahrspruch "Erst kommt das Fressen – dann die Moral" mit Deiner deplatzierten Äusserung wieder ein. Keine anderen Sorgen? Schono komisch: Die Kreise, welche den Staat bei jeder Gelegenheit ins Pfefferland wünschen, rufen jetzt wieder am lautesten nach Staatshilfe. Solidarität darf nichts Einseitiges sein!
Als Risikopatient weiss ich, wovon ich rede und mit meinen Gedanken bin ich bei den medizinisch Betroffenen und dem Personal im Gesundheitswesen.
Ueli Pfister, Gelterkinden
"Wie werden die KMU entschädigt?"
Bei Anwendung des Notstandsgesetzes stellt sich natürlich die Frage, wie die zahlreieichen Detailgeschäfte die von der angeordneten Schliessung betroffen sind, die materiellen Schäden kompensieren bzw. ersetzt erhalten.
Albert Augustin, Gelterkinden
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