Werbung


© Foto by Martin Graf, Reinach
"Die berühmte Archiv-Schublade": Basler Armuts-Szene

Im reichen Basel wächst die Armut weiter

Zwanzig Jahre nach der Mäder-Studie liegt ein neuer Basler Armutsbericht vor


Von Peter Knechtli


Basel ist eine Stadt der Milliardäre, aber auch der wachsenden Armut. Dies weist der neue Basler Armutsbericht nach, der im Auftrag der Christoph Merian Stiftung erstellt und heute den Medien vorgestellt wurde. Der Report schlägt 43 Handlungsempfehlungen vor, darunter eine bessere Vernetzung der bestehenden institutionellen Angebots-Vielfalt.


Vor knapp zwanzig Jahren erregte die Armutsstudie des Basler Soziologie-Professors Ueli Mäder landesweites Aufsehen. Jetzt legt das Berner Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS) einen neuen Basler Armutsbericht vor. Den Auftrag erteilte die Christoph Merian Stiftung (CMS) mit einem Budget von 226'000 Franken. In seiner 300-seitigen Analyse beschränkt sich das Autoren-Team mit Philipp Dubach, Heidi Stutz und Ruth Calderón nicht nur auf die quantitative Darstellung der Basler Armut, sondern weist dem qualitativen Aspekt – auftragsgemäss – breiten Raum ein.

Technologischer Wandel und Globalisierung

Denn die Armut von heute ist nicht mehr die Armut von gestern, die als einen Zustand von rein materiellen Entbehrungen verstanden wurde. Heute wird der Armutsbegriff umfassender verstanden, er bezieht einen Mangel an Reichtums-Faktoren wie Gesundheit, Bildung, Wohnraum, Nahrung oder soziales Netz mit ein – kurz: einen Mangel an Handlungs- und Verwirklichungschancen. Die wandelnde Begriffs-Definition lässt sich auch daran erkennen, dass die Ergebnisse aus Mäders Armutsstudie – nur schon wegen der markant verbesserten Datenlage – nur noch bedingt mit den Ergebnissen des heute vorgelegten Berichts vergleichen lassen.

Dennoch nennt Autor Dubach vier wesentliche Veränderungen gegen der Erhebung aus dem Jahr 1991: Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit seinem zunehmenden Qualitätsanspruch, geringere Unterstützung und schwierigere Stellensuche von psychisch Beeinträchtigten, die Angebots-Verbesserungen in den Bereichen der Betreuung und der Tagesstrukturen beispielsweise für Obdachlose und Jugendarbeitslose sowie den Wandel "vom unterstützenden zum aktivierenden Sozialstaat". Heidi Stutz: "Tiefqualifizierte sind die Verlierer."

7,8 Prozent der Haushalte unter Existenzminimum

In ihrer Bewertung der statistischen Erhebungen auf der Basis der Steuerdaten der Jahre 2003 bis 2006 geben sich die Autoren überraschend zurückhaltend. Sie lassen viel eher die Zahlen sprechen – aber auch 30 Experten und 28 Basler Armutsbedrohte, die in der Studie ausführlich zu Wort kommen. Darin schildert beispielsweise ein Inhaber eines kleines Gewerbebetriebs, wie ihn ein Unfall ("Ellbogen komplett zerbröselt") ins Armenhaus beförderte: "Hätte ich den Unfall nicht gehabt, hätte ich mein Geschäft noch."

Fest steht, die Armut hat in den letzten zwanzig Jahre nicht ab-, sondern deutlich zugenommen: Auf der Basis des tatsächlich deklarierten Einkommens liegen 7,8 Prozent der steuerpflichtigen Haushalte – oder 12'100 Personen – unter dem Existenzminimum von monatlich 2'255 Franken (für einen Ein-Personen-Haushalt). Dabei ist der allfällige Bezug von Sozialhilfe nicht berücksichtigt. Im Jahr 2003 lag die Armutsquote noch bei 6,6 Prozent. Die Studie schätzt, dass rund vier Fünftel der Haushalte tatsächlich Sozialhilfe beansprucht.

Mit 6,6 Prozent (Stand 2007) lag in Basel-Stadt die Quote der Sozialhilfebezüger höher als in Städten wie Zürich, Bern oder Winterthur, aber etwa gleichauf mit Städten in der Romandie. War die Quote der Sozialhilfeempfänger in den Jahren 2006 bis 2008 rückläufig, rechnet der Armutsbericht aufgrund der Wirtschaftskrise mit einer erneuten Zunahme.  

Aufbau einer Armuts-Strategie dringlich

Auffällig: Unter den Steuerpflichtigen im Erwerbsalter erzielt mit 10,4 Prozent jeder zehnte Haushalt kein Existenz sicherndes Einkommen. Massiv besser fällt die Armuts-Quote mit nur 1,9 Prozent bei steuerpflichtigen Rentner aus. Grund: Die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV. Ohne Bezug der Ergänzungsleistungen und Prämienverbilligungen läge die Armutsgefahr deutlich höher: 16,9 Prozent im Erwerbsalter und 8,7 Prozent im Rentenalter.

Um zu verhindern, dass sich die Generation familienintern die Armut zusagen vererben, präsentiert der Bericht 43 Handlungsempfehlungen an Staat und Politik, aber auch an alle weiteren in der Sozialpolitik engagierten Akteure. Kernforderung ist der Aufbau einer kantonalen Armuts-Strategie, die unter anderem Angebote die familienergänzende Tagesbetreuung von Kindern oder den Ausbau von professionell begleiteten Projekten der Freiwilligenarbeit wie Patenschaften oder Leihgrosseltern. Angesprochen ist hier insbesondere die 12-köpfige Sozialkonferenz, in der die wichtigsten privaten und staatlichen Akteure vertreten sind.

Laut Stutz tut sich in Basel schon "sehr viel" bezüglich Armutsbekämpfung – dies nicht zuletzt auch aufgrund von Ueli Mäders wissenschaftlichen Vorarbeiten. Was aber fehlt, ist die Steuerung und Koordination der zahlreichen Aktivitäten ebenso wie ein einzige Zugangsschalter zu einer staatlichen Stelle ("Guichet unique"), die den bisherigen Hürdenlauf ersetzt.

CMS diskutiert personellen Ausbau

Wie Direktor Christian Felber und Soziales-Chef Walter Brack erklärten, will sich die CMS verstärkt in den Kampf gegen die Armut im "sozialen Basel" einsetzen. Dabei sollen die Kooperation mit den bestehenden Institutionen verbessert und "keine neuen konkurrierenden Organisationen" geschaffen werden. Engagieren will sich die CMS in der verbesserten Koordination der Angebote, um Unübersichtlichkeiten, Doppelspurigkeiten und Ineffizienz zu reduzieren. Ausserdem soll für sozial Benachteiligte vermehrt günstiger Wohnraum angeboten werden. Engagieren will sich die Stiftung auch im Coaching und Mentoring von Armutsbetroffenen sowie in der Wahrung der Grundrechts und der medizinischen Versorgung der 5'000 bis 8'000 in Basel-Stadt lebenden Sans papiers.

Wie Felber auf die OnlineReports-Frage erklärte, sei die Stiftung "mitten dring im Überlegen", ob die Abteilung Soziales und Stadtentwicklung als Managerin der Kernaufgaben der CMS personell ausgebaut werden soll. Dass die Stiftung in der Armutsbekämpfung einen verstärkten Akzent identifiziert hat, wird auch daraus deutlich, was Präsident Lukas Faesch versprach: Der Armutsbericht soll "auf keinen Fall in der berühmten Archiv-Schublade verschwinden", sondern in den nächsten zehn Jahren "wirkungsvolle Projekte und Handlungen" auslösen.

22. Juni 2010

Weiterführende Links:


 Ihre Meinung zu diesem Artikel
(Mails ohne kompletten Absender werden nicht bearbeitet)

Was Sie auch noch interessieren könnte

Keine Führungen mehr
im Fernsehturm

8. Dezember 2023

Swisscom stellt die öffentlichen Besichtigungen auf St. Chrischona ein.


Reaktionen

Schneeschaufeln ist in Basel noch immer Privatsache

4. Dezember 2023

Die Regierung lässt sich Zeit: Die neue Regelung kommt vermutlich erst 2025.


Reaktionen

Eltern und Kinder irritiert:
Warum ist das Karussell stumm?

1. Dezember 2023

Der langjährige Konflikt um den Münsterplatz nimmt absurde Züge an.


Reaktionen

152 Tage und weiterhin
voller Tatendrang

29. November 2023

Jan Amsler und Alessandra Paone geben Einblick in ihre erste Zeit bei OnlineReports.


Sexuelle Missbräuche:
Felix Gmür pocht auf Einigkeit

24. November 2023

Basler Bischof und landeskirchliche Organe kritisieren Luzerner Synode.


Beat Jans als Bundesrat,
Mustafa Atici als Regierungsrat?

23. November 2023

Eine Ersatzwahl in Basel bietet eine Chance
für Politiker mit Migrationshintergrund.


Nein zu "Arisberg": Erich Straumann ist enttäuscht

22. November 2023

"Nun sieht es wieder düster aus", sagt der frühere Zwangsverwalter von Hersberg.


Reaktionen

Ungetreue Kirchen-Kassiererin
wehrt sich vor Bundesgericht

16. November 2023

Die Frau aus Grellingen schädigte die
katholische Kirchgemeinde und die CVP.


Nach 43 Jahren ist
Schluss für Rapunzel 

13. November 2023

Die Buchhandlung im Liestaler Kulturhaus Palazzo schliesst Ende Januar.


Reaktionen

So behauptet sich die Frau
in einer Männerdomäne

9. November 2023

Zukunftstag bei OnlineReports:
Jara Irman interviewt Stephanie Eymann.


Reaktionen

www.onlinereports.ch - Das unabhängige News-Portal der Nordwestschweiz

© Das Copyright sämtlicher auf dem Portal www.onlinereports.ch enthaltenen multimedialer Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) liegt bei der OnlineReports GmbH sowie bei den Autorinnen und Autoren. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Veröffentlichungen jeder Art nur gegen Honorar und mit schriftlichem Einverständnis der Redaktion von OnlineReports.ch.

Die Redaktion bedingt hiermit jegliche Verantwortung und Haftung für Werbe-Banner oder andere Beiträge von Dritten oder einzelnen Autoren ab, die eigene Beiträge, wenn auch mit Zustimmung der Redaktion, auf der Plattform von OnlineReports publizieren. OnlineReports bemüht sich nach bestem Wissen und Gewissen darum, Urheber- und andere Rechte von Dritten durch ihre Publikationen nicht zu verletzen. Wer dennoch eine Verletzung derartiger Rechte auf OnlineReports feststellt, wird gebeten, die Redaktion umgehend zu informieren, damit die beanstandeten Inhalte unverzüglich entfernt werden können.

Auf dieser Website gibt es Links zu Websites Dritter. Sobald Sie diese anklicken, verlassen Sie unseren Einflussbereich. Für fremde Websites, zu welchen von dieser Website aus ein Link besteht, übernimmt OnlineReports keine inhaltliche oder rechtliche Verantwortung. Dasselbe gilt für Websites Dritter, die auf OnlineReports verlinken.

https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif
"Der Hochhaus hätte höher werden können."

bz
Bildlegende
vom 5. Dezember 2023
https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif

(er, ihn)

RückSpiegel


20 Minuten und ein Podcast der Zeit nehmen den Artikel von OnlineReports über das Hupe-Verbot für das Kinderkarussell auf dem Münsterplatz auf.

Die bz zieht den OnlineReports-Artikel über die frühere Grellinger Kirchen-Kassiererin nach, die ihre Verurteilung vor Bundesgericht anficht.

Die Basler Zeitung und Happy Radio greifen die OnlineReports-Recherche zur Girema Bau AG auf.  

 

bz und Happy Radio zitieren den OnlineReports-Bericht über den Liestaler Buchladen Rapunzel, der schliesst.

Die bz bezieht sich in einem Artikel über den Asyl-Streit in den beiden Basel auf einen Leserbrief auf OnlineReports.

In einem Artikel über den Richtungsstreit innerhalb der Baselbieter SVP zitiert die Basler Zeitung aus OnlineReports.

Die bz vermeldet mit Verweis auf OnlineReports den Abgang des Gelterkinder Gemeinderats Pascal Catin.  

Die Basler Zeitung nimmt in einem Artikel über die Baselbieter FDP-Landrätin und Nationalratskandidatin Saskia Schenker Bezug auf OnlineReports. 

In einem Artikel über die polarisierende Jungpolitikerin Sarah Regez (SVP BL) bezieht sich die Basler Zeitung auf OnlineReports.

persoenlich.com vermeldet mit Verweis auf OnlineReports den Wechsel der Basler Journalistin Andrea Fopp von Bajour zur NZZ.

Happy Radio greift den Bericht von OnlineReports über die Deponie Höli Liestal AG auf.

Die Volksstimme bezieht sich in einem Porträt über den freiwilligen Verkehrsregler in Rickenbach, Robert Bussinger, auf einen früheren Artikel von OnlineReports.

Weitere RückSpiegel

Werbung







In einem Satz


Sonja Kuhn, ehemalige Co-Leiterin der Abteilung Kultur Basel-Stadt, ist neu Präsidentin der SRG Region Basel.
 

Florian Nagar-Hak und Saskia Bolz übernehmen die Leitung des Gesundheitszentrums Laufen, das zum Kantonsspital Baselland gehört.

Mohamed Almusibli übernimmt ab März 2024 die Direktion der Kunsthalle Basel von Elena Filipovic.

Marilena Baiatu ist neue Kommunikationsbeauftragte der Staatsanwaltschaft im Kanton Baselland und ersetzt Thomas Lyssy, der Ende November pensioniert wird.

 

Mitte-Landrat Simon Oberbeck folgt am 1. August 2024 als Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung für Schifffahrtund Hafenwirtschaft auf André Auderset.

Die Junge SVP Basel-Stadt hat Demi Hablützel (25) einstimmig für zwei weitere Jahre als Präsidentin wiedergewählt.

Dominic Stöcklin wird neuer Leiter Marketing und Mitglied der Geschäftsleitung von Basel Tourismus.

 

Samir Stroh, aktuell Gemeindeverwalter in Brislach, übernimmt Anfang Mai 2024 die Leitung von Human Resources Basel-Stadt.

Das Sperber-Kollegium hat Sterneköchin Tanja Grandits zur "Ehrespalebärglemere 2023" ernannt.

Der mit 50'000 Franken dotierte Walder-Preis geht dieses Jahr an Konrad Knüsel, den Präsidenten des Vernetzungsprojekts Rodersdorf und des Naturschutzvereins Therwil.

Götz Arlt tritt am 1. Januar 2024 die Nachfolge von Christian Griss an und übernimmt die Stufenleitung der Sekundarschulen I im Bereich Volksschulen des Erziehungsdepartements Basel-Stadt.

Michael Gengenbacher tritt am 1. Februar 2024 seine neue Stelle als Chief Medical Officer (CMO) und Mitglied der Spitalleitung beim Bethesda Spital an.

Markus Zuber übernimmt am 1. Oktober die Leitung der St. Clara Forschung AG (St. Claraspital).

Das Präsidium der Juso Baselland besteht neu aus Clara Bonk, Angel Yakoub (Vize) und Toja Brenner (Vize).

Am 1. Juni 2024 übernimmt Veronika Röthlisberger die Leitung der Gebäudeversicherung Basel-Stadt von Peter Blumer, der danach pensioniert wird.

Hanspeter Wäspi (57, Rheinfelden) ist neuer Geschäftsleiter von Procap Nordwestschweiz.

Die Leitung der Abteilung Finanzen und Controlling im Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt obliegt ab 1. Dezember Thomas Schneider, der die Nachfolge des Bald-Pensionierten Daniel Hardmeier antritt.

Stefan Binkert wird neuer Rektor des Wirtschaftsgymnasiums und der Wirtschaftsmittelschule Basel; er folgt in dieser Funktion auf Patrick Langloh, der ab 1. Januar 2024 die Leitung des Bereichs Mittelschulen und Berufsbildung im Erziehungsdepartement übernimmt.