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"Keine pekuninäre Idee": Pfarrer Bangert, Kreuzgang der Predigerkirche
Basler Pfarrer wollen Kreuzgänge wieder für Bestattungen öffnen
In der Predigerkirche und im Münster sollen – wie im Mittelalter – kirchenintegrierte Friedhöfe entstehen
Von Peter Knechtli
Predigerkirche und Münster: Basler Pfarrer wollen die Kreuzgänge ihrer Gotteshäuser wieder für Bestattungen freigeben. Damit wollen sie dem Wunsch nach neuen Formen der letzten Ruhe gerecht werden und eine Tradition des Mittelalters neu aufleben lassen.
Wer andächtig das Basler Münster betrifft und mit ehrfurchtsvollen Blicken durch die heiligen Gemäuer geht, ist sich meist nicht bewusst, dass er direkt auf den sterblichen Überresten früherer Zeitgenossinnen und -Genossen wandelt: Das Münster wie alle alten Basler Kirchen ist "ein einziger Friedhof", wie Münsterpfarrer Lukas Kundert festhält. Hunderte von Toten liegen hier teils seit der Reformation unter den mächtigen Steinquadern. Im westlichen Seitenschiff ruht beispielsweise der berühmte Humanist Erasmus von Rotterdam, der 1536 in Basel starb.
Vom Reformator bis zum Barbier
Dasselbe gilt für den Kreuzgang. Sowohl der gedeckte Teil wie die offene Rasenfläche sind voll von Toten. Hier ruhen der Reformator Johannes Oekolampad und seine zweite Frau Wibrandis Rosenblatt und zahlreiche Angehörige alter Basler Geschlechter wie Vischer, Merian, Burckhardt, Staehelin, Iselin, Stöcklin – aber nicht nur: Auch Ratsherren, Gelehrte oder Handwerker wie etwa ein "kunstbeflissener Barbier" haben hier ihre ewige Ruhe gefunden.
Davon, dass das Münster ein dicht benutzter Friedhof ist, zeugen auch die zahlreichen Epitaphien – in die Mauern eingelassene Gedenksteine –, die von Andreas Hindemann, seit Januar 2009 Basler Münsterbaumeister, auf 300 beziffert werden. Allerdings sind nicht alle auf den Denkmälern verzeichneten Verstorbenen auch im Münster-Grund beerdigt.
In jüngerer Zeit besinnen sich Basler Pfarrer darauf, privaten Kirchengrund wieder Zeitgenossen zu öffnen, die das Zeitliche gesegnet haben. Michael Bangert, der Pfarrer der Christkatholischen Kirche Basel-Stadt, lancierte in seiner Gemeinde erfolgreich den Gedanken, den Nordflügel des ehemaligen Kreuzgangs der Predigerkirche für Asche-Bestattungen freizugeben. Von diesem Kreuzgang, der einst das Dominikanerkloster mit der Kirche verband, ist nach dessen Zerstörung wegen des Spital-Neubaus im 19. Jahrhundert nur noch ein kümmerliches Streifchen geblieben. Sichtbar ist noch eine Mauer und ein schmales Gärtlein von einigen Metern Länge und etwa einem Meter Breite entlang der Kirchenmauer (Aufmacherbild oben).
Platz für 300 Asche-Bestattungen
Dieses "Prediger-Gärtlein", das seinen Diminutiv mit vollem Recht trägt, soll Interessenten künftig als Gedenkhöflein dienen. Pfarrer Bangert schätzt, dass der schmale Grünstreifen für rund 300 Feuer-Bestattungen ausreicht. Erdbestattungen sind nicht vorgesehen.
Die Asche soll in einer Tiefe von rund 50 Zentimetern aus der Urne geleert und mit dem Erdreich vermischt werden. Nach einer Ruhedauer von 25 bis 30 Jahren soll sich die Asche laut Bangert vollständig in Erde umgewandelt haben. An der Kirchenmauer sollen in einheitlicher Gestaltung und ohne Angabe von Titeln jeder Art Vorname, Name, Geburts- und Todesjahr aufgelistet werden. Die einzelnen Bestattungsplätze sollen in einem Bestattungsplan und einen Totenbuch "exakt kartografiert und dokumentiert" werden. Diese Unterlagen machen es möglich, dass Personen auf Wunsch auch präzise am Ort ihres zuvor verstorbenen Ehe-Teils beerdigt werden können.
Gegen die "erinnerungslose Gesellschaft"
Das Projekt verfolge "ein spirituelles und ein theologisches Interesse" und sei in erster Linie ein neues Angebot an die Mitglieder innerhalb, aber auch ausserhalb der christkatholischen Gemeinde. "Wir leben in einer erinnerungslosen Gesellschaft", sagt Michael Bangert. Durch sogenannte Schönheits-Operationen und dem Wunsch nach ewiger Jugend "werden oft alle Anzeichen des Todes panisch stigmatisiert". Es sei auch die Aufgabe der Kirchen, der "aseptischen Tendenz" zu begegnen und "die Begrenzung des
Lebens mit dem Tod angstfrei zu thematisieren". Mehr noch: Der Pfarrer will "dem Phänomen des Sterbens mit Freiheit begegnen und das Thema in die Kirche zurückgewinnen".
Teil der Absicht, neue Bestattungsformen anbieten zu können, ist auch die neue Nutzung der Tumba, dem traditionellen (leeren) Dominikus-Grab in der Chorkirche vor der Türe zum Kreuzgang. Dort befindet sich unter einer Falltüre (Bild) ein vertiefter Hohlraum von rund drei Kubikmetern. Über eine durch einen Deckel als Blattgold abgeschlossene Öffnung kann die Asche von Verstorbenen in das Dominikus-Grab geleert werden. Pfarrer Bangert geht davon aus, dass dieser Ort zweitausend Verstorbenen Platz bietet.
Münsterpfarrer nahm Gedanken auf
Von der Idee einer Wiederbelebung des Kirchenraums als Bestattungsort liess sich Münsterpfarrer Lukas Kundert anstecken, wie er OnlineReports sagte. Als Präsident des Kirchenrats der Evangelisch-Reformierten Kirche Basel-Stadt will er kommendes Frühjahr beantragen, einen Randbereich des Münster-Kreuzgang-Gartens für Feuerbestattungen zu öffnen. Kundert denkt dabei an eine Grünfläche vor den Rosen-Rabatten unter den beiden gotischen Fenstern (Bild). Dieser Raum würde "sicher Platz für tausend Bestattungen" bieten. Nach seinen Vorstellungen sollte das Münster als Ort der letzten Ruhe vorrangig und zu Sonderkonditionen Mitgliedern der reformierten Kirche vorbehalten bleiben, "die wahnsinnig viel ehrenamtlich geleistet haben".
Daneben aber sollen auch weitere Gemeinde-Angehörige im Kreuzgang-Garten beerdigt werden dürfen. "Bedingung" sei die Zugehörigkeit zur reformierten Kirche.
Da sich die geplanten Asche-Gräber an einem bauhistorisch äusserst heiklen Bereich befinden, werden auch die Denkmalpflege und der Münsterbaumeister bei der Gestaltung noch ein gewichtiges Wort mitreden können. Münsterbaumeister Andreas Hindemann sagte zu OnlineReports, er spiele bei diesem Projekt "nur eine Nebenrolle". Er habe aber gegenüber den Plänen keine grundsätzlichen Vorbehalte.
Denn auch Pfarrer Kundert teilt die Auffassung, dass der Bestattungsort sehr diskret gestaltet werden soll. So soll die Münsterfassade nicht beeinträchtigt werden, ebenso sind keine Epitaphien wie im gedeckten Kreuzgang denkbar. Und die Tafel mit den eingravierten Daten der Verstorbenen soll tiefschwellig in der Rasenfläche liegen, so dass das die Gesamtansicht nicht tangiert wird. Wer die Anlage entwerfen würde, ist noch offen. Möglicherweise würde ein Wettbewerb ausgeschrieben.
Rücksicht auf gesellschaftliche Veränderungen
Die Predigerkirche ist der Entwicklung etwas voraus. Schon vor einem Jahr hatte der christkatholische Kirchenrat die beiden neuen Angebote – Kreuzgang und Tumba – bewilligt. Schon Mitte Dezember soll an diesen Orten die erste Bestattung stattfinden. Im Münster muss der Kirchenrat über die Absicht von Pfarrer Kundert erst noch entscheiden, den Wünschen nach neuen Formen der Bestattung Rechnung zu tragen, die sich in jüngerer Zeit offenbart haben. Beide Pfarrer betonen indes, dass sie "keine Konkurrenz" zur prächtigen Friedhofanlage "Hörnli" aufziehen wollen. Vielmehr soll es um eine Ergänzung gehen.
Doch die gesellschaftlichen Veränderungen könnten nicht einfach ignoriert werden. Für beide Pfarrherren ist entscheidend, dass bei der Beerdigung die Würde des verstorbenen Menschen gewahrt bleibt. Bei Lukas Kundert ist der Wunsch herauszuhören, dass den Toten ein gemeinsamer Ort der Ruhe zuzugestehen sei, wobei er die Nähe zur Kirche für optimal hält. Individuellen Vorlieben, die Asche an einem Symbol-Ort im öffentlichen Raum zu vergraben, zu verstreuen oder von der Fähre dem Rhein zu übergeben, steht er persönlich skeptisch gegenüber, "wenn plötzlich die ganze Stadt zum Friedhof wird". Weniger Vorbehalte gegenüber alternativen Bestattungen zeigt Pfarrer Michael Bangert. Wenn Verstorbene eine Rhein-Bestattung wünschten, werde die nahe Klingentalfähre für die Dauer der Abschiedsfeier gemietet.
Wenig Konkretes zu den Kosten
So konkret die örtlichen und technischen Vorstellungen gediehen sind, so unklar sind sowohl in der christkatholischen wie in der Münstergemeinde noch die finanziellen Angelegenheiten. Die Christkatholiken können, obschon erste Bestattungen bald bevorstehen, noch keine Angaben der Kosten machen, die den Hinterbliebenen entstehen. Mitte Dezember will der Kirchenrat laut Michael Bangert über "die Tarifierung der Gebührenliste" entscheiden. Dabei werde eine "gewisse Unterscheidung von Kirchgemeindemitgliedern, Mitgliedern anderer Kirchen und Nicht-Mitgliedern einer Kirche" ins Auge gefasst. "Nein", beteuert der Pfarrer, "es geht nicht ums Geld". Hinter dem Projekt stecke "keine pekuniäre Idee".
Um Nuancen anders tönt es bei Münsterpfarrer Lukas Kundert. Er stellt sich vor, dass ein ewiger Platz im Kreuzgang eine Grössenordnung zwischen 8'000 und 10'000 Franken kosten soll, was ungefähr dem Doppelten eines Grabes im Friedhof "Hörnli" entspricht. Kundert sieht in dieser Preisvorstellung auch einen Legats-Anteil, wobei er sich auch eine gewisse Staffelung vorstellen kann.
4. Dezember 2012
"Welches ist der Mittelweg?"
Die Idee, mittelalterliche letzte Ruhestätten zu reaktivieren, hat im "Zeitalter der Erinnerungslosigkeit" eine gewisse Berechtigung. Als Nachkomme zweier der im Kreugang affichierten Toten habe ich durchaus Verständnis für dieses Bedürfnis. Wenn ich aber sehe, wie stark schon die historischen Epitaphien aufgrund divergierender ästhetischer Ansätze untereinander in Konkurrenz stehen, einfache Schriftafeln oder auch aufwändige, mit vergoldeten Lettern imponierenden Stücke, und mir vergegenwärtige, dass nur das Alter diese Disparitäten adelt, drängt sich mir eine Frage auf: Wie soll man bei der Gestaltung der Ruhestätten künftiger erinnerungsbedürftiger oder erinnerungswürdiger Toter und deren Grabmälern einen Mittelweg zwischen protestantisch geprägter "edler Einfalt und stiller Grösse" und Aufmerksamkeit heischender, überbordender, an Kitsch grenzender Opuilenz finden?
Hans-Ulrich Iselin, Riehen