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"Lifestyle und Ausgleich": Stadtgarten in Toronto
Ein Maisfeld am Aeschengraben, Tomatenbeete auf dem Landhof-Areal
Basler Bürgerinitiative will "urbane Landwirtschaft" in die Stadt bringen / Ein Vergleich mit der Entwicklung in Toronto
Von Monika Jäggi
Während Familiengärten auch in Basel teilweise die Überbauung droht, entdecken verschiedene internationale Grossstädte das Potenzial von Stadtgärten. In Basel will jetzt eine Bürgerinitiative die Diskussion über die urbane Landwirtschaft eröffnen. Was die Initiative in Basel anstrebt, ist in der kanadischen Grossstadt Toronto schon Wirklichkeit. Ein Augenschein und eine Anregung zugleich.
Sie sind in allen Schweizer Städten zu finden – am Stadtrand, in den Stadtquartieren oder auch entlang von Eisenbahnlinien: Die Familiengärten, die für wenig Geld von der Stadt gemietet werden können. Viele dieser Gärten sind schon jahrzehntelang an dieselben Pächter vemietet, sie werden intensiv gepflegt und vielfältig genutzt. Zahlreiche Gärten drohen jedoch mittel- bis langfristig der Stadtentwicklung zum Opfer zu fallen.
So zum Beispiel in Basel. Hier sollen gemäss geplanter Zonenplan-Revision bis 2030 rund zwanzig Prozent der 6'000 Familiengärten aufgehoben werden. Ausserdem sollen in Basel-Stadt in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren Wohnraum für über 9'000 Einwohnende geschaffen, Flächen für über 10'000 neue Arbeitsplätze bereitgestellt und 20 Hektaren neue Grün- und Freiflächen angeboten werden.
Die Veröffentlichung dieser Pläne im Oktober letzten Jahres hat insbesondere beim Basler Familiengärtnerverein zu heftigem Protest und zur Lancierung einer Initiative zum "Schutz der Familiengärten" geführt. Denn Gärten inmitten einer dicht besiedelten Stadt erfüllen wichtige ökologische, ökonomische und soziale Funktionen (siehe Textbox unten).
In Basel entsteht eine Bürgerinitiative
Hatten die Familiengärtner in der Regel keine starke politische Lobby, soll dies schon bald ändern: Die Initiative "Urban agriculture – auch in Basel" will die Bedeutung dieser Gärten für Basel thematisieren; kommenden Donnerstag soll sie lanciert werden.*
"Die Initiative will eine Diskussion zur urbanen Landwirtschaft eröffnen", meinte Initiator Isidor Wallimann (Bild), Präsident von Verein und Genossenschaft mit dem etwas schwerfälligen Namen "Netz Soziale Ökonomie zur Förderung der lokalen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit in Basel", gegenüber OnlineReports. Der Soziologe und Ökonom wies darauf hin, dass die städtische Landwirtschaft für die Nahrungsmittelversorgung der Menschen in den Städten weltweit eine immer grössere Rolle spiele.
Die Initiative fordert deshalb, dass Städte im Zusammenhang mit der für sie notwendigen Ernährungsbasis gedacht und geplant werden. Auch für Basel sei es an der Zeit, diese Diskussion zu führen und die urbane Landwirtschaft explizit in die städtische Lebensraumgestaltung zu integrieren. Am selben Abend soll auch der gemeinnützige Verein "Netz Urban Agriculture Basel" gegründet werden. Der Verein will die Herstellung von Lebensmitteln, Kräutern, Blumen, Nutz - und Medizinalpflanzen für die in der Stadt Basel und Agglomeration lebenden Menschen fördern. Dabei sieht sich der Verein "den Zielen der lokalen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit verpflichtet - zum Erhalt von Natur, Biodiversität und Menschen hier und anderswo".
Die Rolle der Stadt
Mit diesen Zielen steht der Verein nicht alleine da: Die urbane Landwirtschaft wird heute in zahlreichen Grossstädten der westlichen Welt, aber auch in wenig industrialisierten Ländern praktiziert. Die ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln ist vor allem in weniger industrialisierten Ländern ein Thema. In Europa und Nordamerika hingegen sind es der fehlende Zugang zu erschwinglichen und gesunden Nahrungsmitteln, die der Bewegung Aufschwung verleihen sowie das erstarkte ökologische Bewusstsein und damit verbunden der Wunsch, lokal produzierte Nahrungsmittel zu kaufen. In den westlichen Grossstädten praktizieren Stadtbewohner die urbane Landwirtschaft oft auch als Lifestyle und als Ausgleich zu ihrer städtischen Existenz.
Die urbane Landwirtschaft ist in vielen Städten zu einem integralen Bestandteil der Stadtplanung geworden. Stadtentwicklungsprogramme streben eine Verdichtung nach Innen an, gleichzeitig müssten Flächen für die urbane Landwirtschaft freigegeben werden. Der Stadtplanung kommt also eine bedeutende Rolle zu bei der Ausbalancierung dieses Spannungsverhältnisses zwischen Freigabe und Verdichtung von Flächen.
Toronto ist ein Beispiel dafür, das zeigt, dass Stadtentwicklung und urbane Landwirtschaft kein Gegensatz sind. Was in den sechziger Jahren mit den sogenannten Immigrantengärten begonnen hat, ist heute in der Stadtpolitik verankert und Teil der Attraktivität dieser Weltstadt geworden.
Immigrantengärten werten Quartiere auf
Kanada ist ein klassisches Einwanderungsland. Grosse Einwanderungsgruppen kamen nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Mittelmeerraum, aus China und aus Südasien nach Kanada. Die meisten liessen sich in der Innenstadt von Toronto in kleinen Townhouses (Reihenhäuschen) nieder und bauten die heutigen Trendquartiere wie Little Italy, Little Portugal oder Chinatown auf. Die Einwandererfamilien aus den Azoren und aus Kalabrien brachten nicht nur ihre Arbeitskraft, ihre Kultur und ihre Sprache mit, sondern auch Pflanzensamen.
Mit dem Wissen aus ihrer Heimat – die meisten Einwanderer stammten aus kleinbäuerlichen Verhältnissen – wurden private Gärtchen hinter und vor den Häuschen zu veritablen Gemüse-, Obst- und Blumengärten umfunktioniert. Oft wurden auch Hühner in den Gärten hinter den Häusern gehalten. Über die Jahre hinweg haben die Immigranten die Gärten intensiv bewirtschaftet und so die Innenstadt in lebendige und grüne Quartiere verwandelt. Heute gehören diese Quartiere mit ihren ethnisch geprägten Gärten zu den gesuchtesten und teuersten Wohngebieten im Grossraum Toronto.
Damit das Essen wie zuhause schmeckt
Die privaten Gärten dienten seit jeher der Unterstützung der Selbstversorgung der Immigrantenbevölkerung. Wer im Sommer durch die Quartiere spaziert, kann sich nicht sattsehen an den hohen, grünen Basilikumstauden, dem roten Paprika, den prallen Tomaten, Kürbissen, Zuchetti, dem Zuckermais (Bild) oder an den dicht mit Trauben behangenen Lauben. Jeder Zentimeter des Gartens wird ausgenutzt.
Die Arbeit in den Gärten war und ist auch heute noch Teil der Identitätsfindung in einem fremden Land. Denn jedes Jahr werden die Samen gesammelt und für die Pflanzung im nächsten Jahr aufbewahrt oder neu aus der Heimat mitgebracht. Das Gemüse aus der alten Heimat garantiert so das Weiterbestehen der Kultur und der traditionellen Küche und lindert allfälliges Heimweh. Auch der soziale Austausch kommt nicht zu kurz, denn von Frühling bis in den Herbst sind die Gärten für Familie und Freunde beliebte Treffpunkte. Besonders die Erntezeit bedeutet auch soziale Zeit, sei es beim Kochen des Tomaten-Sugos über dem offenen Feuer im Garten oder dem Kosten des angesetzten Weins.
Gemeinschaftsgärten als Alternative
Nichts reflektiert heute die ethnische Vielfalt der Bevölkerung so anschaulich wie Torontos Gärten. Längst können sich jedoch nicht mehr alle Einwohner und Zugewanderten ein Haus in der Innenstadt mit Garten leisten. Auch Mietern in Appartement- und Hochhäusern fehlen entsprechende Möglichkeiten zum Anbau von Gemüse oder zur Freizeitbeschäftigung. Zudem nimmt auch die Armut in den städtischen Innenquartieren zu.
Davon sind besonders die ethnischen Minoritäten auf Grund ihrer sichtbaren Differenz auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt betroffen. Toronto ist dicht bebaut und wird verdichtet weitergebaut. Es gibt wenige ungenutzten Freiflächen im inneren Stadtbereich. Als Alternativen zu den individuellen Gärten entstand das "Toronto Community Garden Network" – das Netzwerk der Gemeinschaftsgärten in Toronto. Als Standorte für die Gemeinschaftsgärten boten sich städtische Parks oder das Gelände öffentlicher Einrichtungen wie Kirchen, Bibliotheken und Gesundheitsinstitutionen an.
Stadt unterstützt Gemeinschaftsgärten
Die Stadt Toronto unterstützt das Garten-Netzwerk aktiv bei der Suche nach Freiflächen und berät angehende Gärtner bei der Organisation, Gestaltung und dem Unterhalt von Gemeinschaftsgärten. Ziel ist es, in jedem Quartier der Stadt einen solchen Garten anzulegen. Damit wird die Stadt auch ihrem Ruf als "City within a Park", als Stadt innerhalb eines Parks, gerecht.
Eine Abteilung im Amt für Pärke und Erholung ist zuständig für die Gemeinschaftsgärten. Sie berät Interessierte bei der Wahl der Standorte, unterstützt sie bei der Installation der nötigen Infrastruktur wie Gas, Strom und Wasser und ist behilflich Gemeinschaftsgärten zu gestalten und zu unterhalten. Die Stadt scheut sich auch nicht, städtische Parkplätze in Gärten umzuwandeln. Heute gibt es mehr als 220 dieser Gemeinschaftsgärten in der Innenstadt.
Stadtgärtnern wird immer beliebter
Die Norm sind Mischformen mit individuellen Parzellen und Gemeinschaftsbereichen. Die Gärten sind grundsätzlich jederzeit öffentlich zugänglich, Zäune sind meist nur symbolisch und zum Schutz vor Hunden vorhanden. Die Nahrungsmittel werden vor allem zur Selbstversorgung angebaut. Überschüssiges wird auf einem der zahlreichen Bio-Märkte, die in den Quartieren wöchentlich stattfinden, zum Verkauf angeboten.
Nicht nur in Toronto sondern auch in anderen kanadischen Grosstädten hat die urbane Landwirtschaft an Bedeutung gewonnen. Heute bezeichnen rund 72 Prozent der Kanadier und Kanadierinnen das Gärtnern als eine ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung.
Gärten und ihr städtisches Potenzial
Anders als in Toronto sind es in den dicht besiedelten Schweizer Städten nicht in Gemüsegärten umgewandelte Vorgärten oder die Gemeinschaftsgärten, die diese Funktionen erfüllen, sondern die meist dezentral angesiedelten Familiengärten. Diese liegen heute in Schweizer Städten wieder im Trend. In Basel sind die meisten Pflanzflächen belegt, Interessenten müssen Schlange stehen. Auch in Bern ist die Nachfrage riesig und die meisten Areale sind ausgebucht.
Die Stadtentwicklung scheint jedoch in eine andere Richtung zu gehen. Um den drohenden Zonenplanänderungen Einhalt zu gebieten, wäre ein Umdenken nötig. Den Familiengärten müsste eine andere Bedeutung beigemessen werden als bisher – Freihalten von Flächen zur späteren Überbauung – und nicht-monetäre Beweggründe müssten die Entscheidungsgrundlage sein. Auch verdienten Familiengärten in den Stadtentwicklungs-Programmen einen entsprechenden Stellenwert. Weshalb soll nicht auch Basel als Ergänzung zu den Familiengärten das Thema der "Gemeinschaftsgärten" andenken? Alternative Standorte wären vorhanden, zum Beispiel auf dem Landhofareal oder in den verschiedenen Stadtpärken.
Die Basler Stadtentwicklung legt den Fokus vermehrt auf die Expats. Gerade diese hochqualifizierten Arbeitskräfte stammen aber oft aus grossstädtischen Einzugsgebieten, in denen die urbane Landwirtschaft schon Tradition hat. Ein grünes Basel böte somit einen Anreiz mehr.
Mehr Lust am Zuhausebleiben
Die Vorteile der urbanen Landwirtschaft für eine Stadt liegen, wie das Beispiel Toronto zeigt, auf der Hand: Neue Nutzungen für öffentliche Räume und Brachen schaffen neues Leben und tragen zu wohnlichen, grünen und lebendigen Quartieren bei. Quartierbewohnerinnen und -bewohner haben wieder Lust am Zuhause bleiben, was sich auch auf ein verändertes Mobilitätsverhalten auswirkt. Insgesamt steigern die Stadtgärten die Attraktivität urbaner Räume.
Monika Jäggi ist promovierte Geographin und Journalistin. Sie lebt in Basel und in Toronto. In Toronto bewirtschaftet sie ihren eigenen Gemüse- und Obstgarten.
* Donnerstag, 22. April, 18 Uhr, Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) Thiersteinerallee 57, Basel, Raum 125, 2.OG
15. April 2010
Weiterführende Links:
Was ist "urbane Landwirtschaft"?
mj. Unter urbaner Landwirtschaft wird der Anbau von Nahrungsmitteln in der Stadt für den Eigenbedarf verstanden. Die "Landwirtschaft in der Stadt" wird in individuellen Hausgärten, auf Dachgärten oder in Gemeinschaftsgärten praktiziert. Das Besondere, das "Urbane" daran ist, dass Obstbäume, Gemüse, Salate, Küchen- und Heilkräuter nicht auf dem Bauernhof wachsen, sondern in einem Garten mitten in der Stadt, wo zuweilen auch Hühner gackern.
Die urbane Landwirtschaft hat ökologische, soziale und ökonomische Vorteile. Ökologisch ist sie beispielsweise von Bedeutung, weil kleinräumige Grünflächen mit Zier- und Nutzpflanzen die Biodiversität steigern. Gärten sind zudem Habitate für Vogel- und Insektenarten und Standorte für wildwachsende Pflanzen und tragen mit ihrem Kühleffekt zu einem verbesserten Mikroklima bei. Gleichzeitig leistet der urbane Landwirtschaft einen Beitrag zur Senkung des CO2 Fussabdruckes, beispielsweise durch kürzere Transportwege. Nahrungsmittel werden lokal produziert und konsumiert und unterstützen einen nachhaltigen Lebenstil. Auch ist die urbane Landwirtschaft in den Ökokreislauf der Stadt eingebunden, in dem beispielsweise städtischer Kompost verwendet wird.
Urbane Landwirtschaft hat aber auch soziale und ökonomische Vorteile: Indem sich Stadt-Gärtnerinnen und -Gärtner intensiv mit dem Hegen, Pflegen und Ernten von Nahrungsmitteln auseinandersetzen, übernehmen sie vermehrt Verantwortung für die Umwelt und den Raum. Wird urbane Landwirtschaft in Gemeinschaftsgärten praktiziert, steigert sie die soziale Kompetenz. Wird sie in Lehrpläne integriert, können sich Schüler durch die Mitarbeit in den Gärten Wissen über die Herkunft der Nahrungsmittel aneignen.
Auch für Migranten und sozial benachteiligte Menschen kann die Möglichkeit des Eigenanbaus viel bedeuten. Durch die Pflege eines Gartens kann einer Aufgabe nachgegangen werden und dadurch ein Ausgleich zu oft schwierigen Lebensbedingungen gefunden werden. Stadtgärten können auch ohne kapitalintensive Infrastruktur bewirtschaftet werden.
"Pflanzungen würden in kurzer Zeit verwüstet"
Die Idee ist nicht so neu. Wie man auf alten Stadtplänen sieht, hatte Basel innerhalb der Stadtmauern, am Rande der Stadt, Landwirtschaft. Übrig geblieben sind nur noch einige Gärten. Wenn natürlich die Regierung am liebsten alle Einfamilienhäuser mit Gärten durch Hochhäuser ersetzen will, fördert man die Ökologie nicht, auch wenn man das dauernd behauptet. Ein Solardach ersetzt keinen Garten. Die Parks zu bepflanzen ist im Zeitalter des geduldeten Vandalismus keine gute Idee, denn die Pflanzungen würden in kurzer Zeit verwüstet. So gesehen sollte man lieber die privaten Gärten und die Familiengärten fördern.
Alexandra Nogawa, Basel
"Der falsche Traum des ewigen Wachstums"
Gut, gibt es auch Personen, die die Nähe zur Natur und den Wert des Hausgartens wieder entdecken. Leider träumen Stadtplaner, Stadtentwickler und andere gut bezahlte Staatsbeamte immer noch vom ewigen Wachstum mit immer mehr Einwohnern, mit immer mehr Wohnungen, immer mehr Asphalt und immer mehr Beton (vor allem in den Hirnen). Wohin der Glaube vom ewigen Wachstum führt, haben uns die Bangster der Finanzwelt deutlich genug vorgeführt. Behalten wir darum unsere Grünflächen in Form von Haus- und Freizeitgärten und verzichten auch schönfärberische Zukunftsvisionen mit noch mehr Beton statt Grünflächen.
Bruno Honold, Basel