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Am Anfang war das Handy

Buch: Eine Abhandlung zum Thema "Handymania" von Günter Burkard


Von Aurel Schmidt


Das Telefon ist seit mehr als einem Jahrhundert im Gebrauch, aber als Handy hat es innerhalb der letzten 20 Jahre das Leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse revolutioniert – oder über den Haufen geworfen, wie man es nimmt. Ein Drittel der Weltbevölkerung besitzt ein Handy. Ohne es geht nichts mehr.

In Tripolis tragen die Strassen keine Namen. Als ich in der libyschen Hauptstadt einmal eine Kontaktperson besuchen wollte, liess sich der Taxifahrer mit dem Handy lotsen. Etwas Ähnliches kann man heute manchmal in Kaufhäusern antreffen, wenn die Kunden mit jemand telefonieren und sich über den Artikel unterhalten, den sie kaufen wollen.

Vor vielen Jahren sagte mir einmal ein Verleger: "Wenn Sie auf dem Gipfel eines Berges sitzen, werden Sie dort unerreichbar sein. Nehmen Sie ein Buch zur Unterhaltung mit." Wie unvorstellbar überholt das heute erscheint – und wie schnell es gegangen ist. Auf dem Gipfel fotografiere ich die Aussicht und sende die Aufnahme mit dem Handy an meinen Bekannten, der nicht mitkommen konnte und zu Hause geblieben ist.

 

"Das Handy wird als Mittel
zur Individualisierung eingesetzt."

 

Der deutsche Soziologe Günter Burkart hat das Handy auf seine Brauchbarkeit und gesellschaftliche Bedeutung hin untersucht und seine Ergebnisse zusammengefasst. Das Buch ist – das kann man sagen – zu einer Bestandesaufnahme geworden, das man in einigen Jahren lesen wird, um den gesellschaftlichen Wandel zu verstehen, der sich um das Jahr 2000 vollzogen hat. Aber dann wird man auch lachen über die Pfahlbauer-Kommunikation von heute, denn soviel ist sicher: Die Entwicklung bleibt nicht stehen. Sie wird weitergehen und noch einige Überraschungen hervor bringen.

Der grosse Vorteil des Handys besteht für seine Nutzer darin, jederzeit und überall erreichbar zu sein. So behaupten sie jedenfalls. Obwohl es doch immer neue Mittel und Möglichkeiten, um sich abzumelden. "Bitte rufen Sie später an." Die Nummer des Anrufers auf dem Display gibt mir die Freiheit, mich zu melden oder nicht.

Einen weiteren Vorteil des Handys erblickt Burkart darin, dass es als Gerät zur Individualisierung eingesetzt wird. Es erzieht (a) zur Ungeduld, baut (b) die Zeit-Tyrannei ab und führt (c) damit zu einer "Verbindlichkeit auf Abruf bzw. Anruf". Es entsteht eine neue "Verabredungskultur". Die Gesellschaft entwickelt sich "von starren Hierachien zu flexiblen Zusammenhängen". Das Handy baut wohl einerseits Machtstrukturen ab, das ist ein Vorzug, aber errichtet zugleich neue; das ist sein Nachteil. Genau genommen erlaubt es, dass sich neue Formen der Kontrolle und Überwachung herausbilden. Gebt den Menschen ein Handy – und sie werden alles mit sich geschehen lassen, denn sie können die Hände nicht davon lassen. Ohne Handy? Unvorstellbar.

Es ist – um mit McLuhan zu reden – zu einem Körperorgan und zu einem Teil unseres Nervensystem geworden, aber das hat lange vor dem kanadischen Medientheoretiker schon Sigmund Freud gemeint, als er vom "Prothesengott" sprach.

 

"Das Handy ist ein
Kultur- und Kultobjekt par excellence."

 

Das Handy ist ein Kulturobjekt par excellence und zeigt auf, so stellt Burkard fest, wie individuelles und gesellschaftliches Verhalten sowie Artefakte das Zusammenleben der Menschen beeinflussen und prägen. (Das ist der Rahmen seiner Untersuchung.) Es fasst die Schnittmengen Technik, Kommunikation, persönliche Datenbank, Ökonomie, Marketing, Werbung, soziale Distinktion (Prestige), Design, Mode-Accessoire zu einem Gesamtbefund zusammen. Am Handy wird verständlich, schreibt Burkart, "wie Kultur in den Dingen vergegenständlicht (objektiviert) wird, wie Kultur durch Objekte gemacht – produziert, reproduziert und transformiert – wird". (Einmal mit Klammern, einmal mit Gedankenstrichen.) Japan hat vorgeführt, wie der Modernisierungsdruck eine Kultur verändern kann.

Das Handy hat die Tendenz, zum "Spass-Gerät" zu werden, aber es nimmt zugleich die Stellung eines für immer mehr Menschen unentbehrlich gewordenen universalen Kommunikators ein, zum Beispiel als Taschenlampe oder Internetzugang. Fragt sich bloss, wie es weitergehen soll. Einerseits besteht die Tendenz, dem Handy immer neue Funktionen zuzuweisen (zum Beispiel mit Bildtelefon, für Burkard wegen des Intimitätsverlustes ein Alptraum, oder eingebautem Föhn, wer weiss), andererseits sind Bestrebungen von dessen immer weitergehender Miniaturisierung zu beobachten. Vielleicht wird es einmal wie eine Tätowierung implantiert werden, vielleicht mit einem zusammenrollbaren Display ausgerüstet werden sein, malt sich Burkart aus.

Burkarts Sarkasmus schlägt in diesem Punkt, etwa wenn er aus der Werbung Anwendungsbeispiele zitiert, vergnügte Purzelbäume. Aber wer weiss, ob die Aussichten seit Abschluss seines Manuskripts nicht schon auf dem Weg der Realisierung sind. Neue Kommunikationsprobleme werden laufend erfunden, für die das Handy dann die Lösung anbietet.

"Die Veränderung der menschlichen Spezies
steht auf dem Spiel."


Das ist eine andere Formulierung für das klassische Marktproblem von Angebot und Nachfrage. War zuerst der Wunsch nach Kommunikation und Erreichbarkeit da, der mit dem Handy erfüllt wurde, oder umgekehrt das Handy, dieses obskure Objekt der Begierde, das einen Rattenschwanz von Erwartungen und Anwendungen ausgelöst hat? Gute Frage. Also ich würde sagen: Am Anfang war das Handy.

Recht gesehen, geht es dabei gar nicht so sehr allein um Kommunikation. Das ist nur ein isolierter Aspekt. Die Veränderung der menschlichen Spezies steht auf dem Spiel. Die technischen, kommerziellen Möglichkeiten, eingeschlossen die Methoden der psychologischen Beeinflussung und die biologischen Umwälzungen, waren noch sie so weitreichend wie heute. Wir werden uns daran gewöhnen, aber machen wir uns nichts vor. Burkarts Buch hat manchmal einen hinterhältigen, aber in jeder Beziehung beinahe märchenhaften Charakter: "Es war einmal..." (der Mensch).

Das Buch umfasst 185 Seiten. Man kann also davon ausgehen, dass noch erheblich mehr darin steht, als das, was ich hier kurz zusammengefasst und kommentiert habe. Es wird auf diese Weise der Tragweite des aufgeworfenen Themas gerecht: nämlich des Versuchs, das Handy als Gesellschaftsproblem zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verstehen.

 

Günter Burkard: Handymania. Campus Verlag. 43.70 Fanken.

4. November 2007



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"Krebsgefahr bei häufigem Handy-Gebrauch"

Ich habe das Buch nicht gelesen und beziehe mich daher nur auf den Inhalt der Besprechung von Aurel Schmidt in OnlineReports. Das Handy hat sicher viele Vorteile, aber noch viel mehr Nachteile, die hier geflissentlich verschwiegen werden. Bereits warnt das EU-Umweltministerium vor Handys wegen Krebsgefahr bei zu häufigem Telefonieren. Die Strahlen der Antennen sind zwar unsichtbar, aber genau wie radioaktive Strahlen gibt es genügend wissenschaftliche Beweise, die die erhöhte Krebshäufigkeit im Bereich von Mobilfunkantennen belegen. Davon abgesehen verbrauchen Mobilfunkantennen sehr viel Strom, daher müssen wir ein neues Kernkraftwerk bauen. Davon spricht niemand. Alle sind für Handys, alle gegen Kernkraftwerke, daher scheuen sich die Exponenten, die Zusammenhänge darzulegen. Man könnte auch Handys mit sehr viel weniger Antennen betreiben, wenn man sich nicht darauf kaprizieren wollte, vom letzten Gipfel der Schweiz seine Aufnahmen subito an alle Freunde zu verschicken, statt in Ruhe die Natur zu geniessen.

 

Handys mit Fotoaufnahme-Möglichkeit wurden von der Mobilfunkindustrie nur entwickelt, um den riesigen Markt für Pornographie bei Jugendlichen zu erschliessen. Auch der drahtlose Internetzugang ist ein Sargnagel. Müssen wirklich ganze Datenpakete drahtlos verschickt werden, obwohl wir genügend Festnetz-Kapazitäten haben? Wer sich orientieren will, kann das auf www.gigaherz.ch, www.next-up.org oder www.diagnose-funk.ch tun.

 

N.B. Hat sich schon jemand Gedanken gemacht, dass das Handy der erste Schritt zu einer totalitären Überwachung ist?


Alexandra Nogawa, Basel



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"Bitte schenken Sie uns 2 Minuten Ihrer Zeit und bewerten Ihren Kontakt."

Swisscom
Bewertungs-Mail an einen Anrufer nach einem Kontakt mit dem Kundendienst am 14. September 2023
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Aber nur, wenn Sie die zehn Minuten in der Warteschlaufe zurückschenken.

RückSpiegel


persoenlich.com vermeldet mit Verweis auf OnlineReports den Wechsel der Basler Journalistin Andrea Fopp von Bajour zur NZZ.

Happy Radio greift den Bericht von OnlineReports über die Deponie Höli Liestal AG auf.

Die Volksstimme bezieht sich in einem Porträt über den freiwilligen Verkehrsregler in Rickenbach, Robert Bussinger, auf einen früheren Artikel von OnlineReports.

Die bz greift den Bericht von OnlineReports über den Eklat am Baselbieter Kantonsgericht mit dem sofortigem Rücktritt eines Vizepräsidenten auf.

Die bz zitiert in ihrem Nachruf auf Hans Rudolf Gysin aus dem OnlineReports-Porträt "Die Hans Rudolf Gysin-Story: Auf der Spur eines Phänomens".

Zahlreiche Medien haben die Nachricht über den Tod von Hans Rudolf Gysin aufgenommen: Basler Zeitung, bz und weitere Titel von CH Media, Prime News, Volksstimme, Bajour, Baseljetzt, SRF-Regionaljournal Basel, Happy Radio, nau.ch.

Weitere RückSpiegel

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In einem Satz


Götz Arlt tritt am 1. Januar 2024 die Nachfolge von Christian Griss an und übernimmt die Stufenleitung der Sekundarschulen I im Bereich Volksschulen des Erziehungsdepartements Basel-Stadt.

Michael Gengenbacher tritt am 1. Februar 2024 seine neue Stelle als Chief Medical Officer (CMO) und Mitglied der Spitalleitung beim Bethesda Spital an.

Markus Zuber übernimmt am 1. Oktober die Leitung der St. Clara Forschung AG (St. Claraspital).

Das Präsidium der Juso Baselland besteht neu aus Clara Bonk, Angel Yakoub (Vize) und Toja Brenner (Vize).

Am 1. Juni 2024 übernimmt Veronika Röthlisberger die Leitung der Gebäudeversicherung Basel-Stadt von Peter Blumer, der danach pensioniert wird.

Hanspeter Wäspi (57, Rheinfelden) ist neuer Geschäftsleiter von Procap Nordwestschweiz.

Die Leitung der Abteilung Finanzen und Controlling im Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt obliegt ab 1. Dezember Thomas Schneider, der die Nachfolge des Bald-Pensionierten Daniel Hardmeier antritt.

Stefan Binkert wird neuer Rektor des Wirtschaftsgymnasiums und der Wirtschaftsmittelschule Basel; er folgt in dieser Funktion auf Patrick Langloh, der ab 1. Januar 2024 die Leitung des Bereichs Mittelschulen und Berufsbildung im Erziehungsdepartement übernimmt.

Das Co-Präsidium des Jungen Grünen Bündnis Nordwest besteht neu aus Clara Bürge (19, Basel) und Linus Dörflinger (19, Wintersingen).

Jan Blöchliger (Jg. 1977) folgt im August als neuer Vorsteher des Betreibungs- und Konkursamtes Basel-Stadt auf Gerhard Kuhn, der in Pension gehen wird.