Chance für Debatte um Monopolkapitalismus
Von ISIDOR WALLIMANN
Die Finanzkrise bringt uns viele Probleme, aber auch eine Chance. Sie lässt einen bereits tot geglaubten Diskurs in neuem Glanz aufleben. Er betrifft die Frage, wie gross die Unternehmen in einer Marktwirtschaft werden dürfen. Dürfen Unternehmen nicht mehr Konkurs gehen, weil sie zu gross geworden sind und der Staat als Retter einspringen muss, ist es schon zu spät. Dann sind wir in einem weiteren Sinne bereits Gefangene des Monopolkapitalismus. Wenn der Staat solche Unternehmen fördert oder gar stützt, weil es dazu keine praktische Alternative zu geben scheint, kann von Monopolkapitalismus mit staatlicher Beteiligung gesprochen werden.
Die Diskussion um den Monopol- und Staatsmonopolkapitalismus wurde bereits zur Wende des letzten Jahrhunderts von Hilferding, Rosa Luxemburg und andern geführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Diskussion in der SPD und in der 68er-Bewegung bis in die siebziger Jahre weiter. Dann wurde es merkwürdigerweise still um diese Problematik. Die neoliberale Wende bei den Ökonomen und in der Politik hatte ihre Wirkung. In die Kritik genommen wurden lediglich die staatseigenen, dem demokratisch gewählten Parlament unterstellten Betriebe wie die Post, Telekommunikation und die Bahn: Als Grossunternehmen sollten diese jetzt in voller Grösse so schnell wie möglich privatisiert und an der Börse gehandelt werden.
In den USA warnte Eisenhower 1961 vor dem "militärisch-industriellen Komplex", einer für jede Demokratie gefährlich geballten Macht von Rüstungs-Grossunternehmen und dem Militär: "In den Räten und der Regierung muss man sich vor der unberechtigten Anhäufung von Einfluss seitens des Militär-Industrie-Komplexes schützen, ob dieser Einfluss nun ersucht sein möge oder nicht. Das Potential für eine nicht ordnungsgemässe, verherende Anballung von Macht existiert und dauert fort." Und 1966 publizierten Paul A. Baran und Paul M. Sweezy das weltweit bekannte Buch "Monopoly Capital: An Essay on the American Economic and Social Order".
Schon früh musste in den USA etwas gegen das Grosskapital und seine Kartell- und Monopolmacht unternommen werden. So mit dem Sherman Act (1890), der 1914 durch den Clayton Antitrust Act ergänzt wurde. Auf dieser gesetzlichen Grundlage wurde 1911 die American Tabacco Company auf Anordnung des Gerichtes in mehrere Einheiten aufgeteilt. Das gleiche Schicksal erlebte Standard Oil - im selben Jahr. Während der ganzen "Progressive Era", einer "links-populistischen" Bürgerrechtsströmung von den 1890er bis in die 1920er Jahre hinein, war der Kampf gegen Kartelle und Monopole hoch im Kurs - dann wiederum bei Franklin D. Roosevelt und seiner Initiative, die Kartelle zu sprengen ("trust busting"). Berühmt geworden sind die Aufteilung des Telefonmultis AT&T in viele kleinere Einheiten (baby bells) in den achtziger Jahren und die neulichen Auseinandersetzungen mit Microsoft.
"Damit wird der Diskurs um den globalisierten Monopolkapitalismus wieder geöffnet."
Nun die Probleme mit der UBS, die wegen ungenügender Einschränkungen zu einem die Schweiz und das Ausland (denn ein UBS-Konkurs wäre international noch verheerender gewesen als der von Lehman Brothers) erpressenden Riesen herangewachsen ist. Für die ansonst KMU-dominierte Schweiz war das ein ökonomisch verdammt teures nationales Programm zur Standortförderung, wie sich nun herausstellt.
Auch ist es pures Gift für jede Demokratie und "freie" Marktwirtschaft, an deren Konkurrenz sich - theoretisch - alle ungehindert mit gleich langen Spiessen beteiligen können und im Konkursfall andere Marktteilnehmer kaum Schaden nehmen würden. Der so genannt "ungehinderte Zugang" zur Konkurrenz in der "freien" Marktwirtschaft ist wohl schon immer ein theoretisches Konstrukt (oder gar Lüge, Ideologie oder Märchen) gewesen, wie die Geschichte der Marktwirtschaft mit der immer grösser werdenden Kapitalkonzentration und die politischen und gesetzlichen Bemühungen gegen Grossunternehmen mit Kartell-, Oligopol- und Monopolmacht zeigt.
Nicht dass andere Länder keine derartigen Probleme hätten. In praktisch allen Industrieländern mussten Einheiten des multinationalen Grosskapitals direkt von Staates wegen und indirekt durch andere Ressourcen, beispielsweise durch Arbeitslosigkeit, Einkommensschwund oder Konkurse, in der Bevölkerung gestützt und in ihrem Dasein gefördert werden. Es sind vor allem Auto-, Versicherungs- und Bankenmultis, alle "too big to fail" (zu gross, um zu scheitern) und deshalb wie Kartelle, Oligopole und Monopole mit erpresserischer Macht ausgestattet.
Einige dieser Konglomerate werden "gerettet", indem sie verstaatlicht und der parlamentarischen Demokratie unterstellt werden. Bei andern beteiligt sich der Staat lediglich am Aktienkapital, gibt Anleihen, übernimmt mit seinen Institutionen faule Risiken oder bürgt mit Steuergeldern. Das allgemeine Muster kann als "top down" Grosskapital-staatlicher Rettungsplan bezeichnet werden, nach dem alt bekannten Motto What is good for General Motors, is good for the nation: Grosskapital wegen seiner erpresserischen Macht vom Staat gestützt und gefördert. Monopolkapitalismus mit staatlicher Garantie. Staatsmonopolkapitalismus. Leer gehen die Bevölkerung und die KMUs aus, die in der Schweiz weitaus am meisten Arbeitsplätze bieten. Sie werden vertröstet auf das Gute, das vom Grosskapital her kommen soll, irgendwann.
Nun sollen Konsequenzen gezogen werden. Christoph Blocher von der SVP, Christian Levrat von der SP und andere Akteure wie Nicolas Hayek aus der Wirtschaft fordern, dass auch die UBS, wie früher schon andere Multis in den USA, in mehrere "Baby UBS"-Einheiten aufgeteilt werden - auch zum Schutz der Schweizer Demokratie. Damit wird der Diskurs um den globalisierten Monopolkapitalismus wieder geöffnet. Er bietet uns eine neue Chance.
Sollte diese Initiative aber nicht zur Symbolpolitik entarten, ist auch zu diskutieren, was bei andern Einheiten von multinationalem Grosskapital mit erpresserischem Machtpotenzial zu tun ist wie zum Beispiel die Credit Suisse, die Swiss Re, Novartis, Roche oder Nestlé.
23. September 2009
"Konsequenzen auch auf politischer Ebene"
Isidor Wallimann stellt die Levrat-/Hayek-/Blocher-Initiative zur Verkleinerung der UBS auf den notwendigen geschichtlichen und prinzipiellen Hintergrund. Ohne diesen zu kennen, ist die Bedeutung dieser Initiative kaum einzuschätzen. Dem Autor gebührt mein Dank!
Daneben, dass für weitere multinationale Konzerne die selben Überlegungen gelten sollten, ist nicht zuletzt auch die Frage zu stellen, welche Konsequenzen zu ziehen sind auf der politischen Ebene. Im Vordergrund stehen hierbei die Wettbewerbskommission (WeKo), das Kartellgesetz sowie die oligarchische Verschränkung der Politik mit der Wirtschaft. Hier nämlich liegen die tieferen Ursachen für die Finanzkrise, welcher unser politisches System gegenübersteht wie der sprichwörtliche Hase vor der Schlange: Bewegungsunfähig. Die Motion 09.3155 des neuen Bundesrates Didier Burkhalter über eine Neuorganisation der Regierungsaufgaben sollte also weiter reichen als nur etwa bis zur Frage der Anzahl BundesrätInnen.
Bruno Rossi, Gelterkinden
"Wer bestimmt den Massstab?"
Die ganze Betrachtungsweise, besonders aber die für mich vollkommen unverständliche Initiative, scheint keine Sekunde über die grösste und wichtigste Veränderung der letzten Jahre nachzudenken: Die Globalisierung und ihre Auswirkungen! "Too big to fail" ist ja schnell mal ausgesprochen; aber wer bestimmt den Massstab? Schweizer Kleingeister oder chinesische/russische/amerikanische Oligarchen? Kann es tatsächlich das Ziel der Schweiz sein, den Konkurs von grossen, weltweit operierenden Unternehmen mit Sitz in der Schweiz zu verhindern, indem man sie von vorneherein "verbietet"?
Peter Waldner, Basel