Namen sind Schall und Rauch
Möglicherweise hat Thomas Kessler, neuer Leiter der Basler Kantons- und Stadtentwicklung und von Amtes wegen oberster städtischer und kantonaler Entwicklungshelfer, nicht ganz ernst gemeint, was er vor einem Monat in jener Gratiszeitung ohne Widerspruch zum Besten gab, die man in etwas mehr als einer Viertelstunde gelesen haben sollte: "Basel schöpft sein Potenzial nicht aus. Es gibt zu viel Diskretion, zu wenig Selbstbewusstsein. Wir sollten zum Beispiel mehr Plätze nach brillanten Basler Köpfen benennen. Ein Nietzsche-Platz wäre doch was!"
Die Diagnose trifft zwar ins Schwarze: Region und Stadt Basel haben tatsächlich zu wenig Selbstbewusstsein. Aber die von Doktor Kessler verordnete Therapie wird diesen kollektiven Minderwertigkeitskomplex nicht wirksam kurieren können. Sie ist bestenfalls dazu geeignet, die Symptome zu lindern.
Zunächst einmal ist das Beispiel – Nietzsche – schlecht gewählt: Nietzsche war zwar ein brillanter Kopf, der während zehn Jahren in Basel gewohnt und gewirkt hat. Aber er war kein Basler. Doch damit wäre er in guter Gesellschaft: Sebastian Brant, Johannes Froben, Jeremias Gotthelf, General Guisan, Hans Holbein, Gottfried Keller, Johannes Oekolampad, Henric Petri, Albert Schweitzer und Aeneas Silvius – um nur einige zu nennen – waren allesamt auch keine Basler. Und dennoch gehören sie zum öffentlichen Leben in Basel wie das Imbergässli und der Seibi.
Aber davon abgesehen drängen sich noch andere Fragen auf: Sind Strassen- und Platznamen überhaupt geeignete Vehikel, um Selbstbewusstsein zu erzeugen und zu transportieren? Und was macht eigentlich das Selbstbewusstsein einer Stadt, einer Region und ihrer Bewohner aus?
In Basel gibt es (mehr als) genug nach "brillanten Basler Köpfen" benannte Strassen und Plätze. Das Strassenverzeichnis liest sich wie ein "Who is Who" vor allem alter und sehr alter Gelehrter, Politiker und Künstler wie etwa Karl Barth, Jakob und Johann Bernoulli, Arnold Böcklin, Johann Peter Hebel, Christoph Merian. Aber Hand aufs Herz: Wer weiss noch, wer Ernst Brenner, Emanuel Büchel, Jacob Burckhardt, die Familie Faesch, Johannes Fatio, Daniel Albrecht Fechter, Leonhard Friedrich, Andreas Heusler, Wilhelm His, Wilhelm Klein, Friedrich Miescher, Peter Ochs, Friedrich Oser, Peter Rot, Andreas Ryff, Johann Jakob Schäublin, Henman Sevogel, August Socin, Johann Jakob Speiser, Johann Jakob Spreng, Gustav Wenk, Johannes Wieland, Eugen Wullschleger oder Theodor Zwinger waren?
All diese Persönlichkeiten haben sich auf irgendeine Weise um unsere Stadt verdient gemacht. Indem Strassen, Gassen und Plätze nach ihnen benannt wurden, hat man ihnen zwar ein Denkmal gesetzt. Das hat sie aber nicht davor bewahrt, dass ihr Werk und Wirken im Lauf der Zeit verblasste. Strassennamen, die in erster Linie der Orientierung im öffentlichen Raum dienen, können diese Entwicklung nicht aufhalten. Namen sind Schall und Rauch.
Wer das Strassenverzeichnis aufmerksam studiert, findet übrigens zwischen all den namenstiftenden Herren auch einige Damen: neben den Heiligen Chrischona, Clara und Elisabeth die Historikerin und Lehrerin Julia Gauss, die Schriftstellerin Cécile Ines Loos, die Künstlerin und Lyrikerin Meret Oppenheim, Mathilde Paravicini, die Kriegsopfer betreute und Lehrerin für Damenschneiderei war, und die Kunstförderin Maja Sacher. Doch wir wollen nicht abschweifen.
Die zentrale Frage lautet: Was macht das Selbstbewusstsein einer Stadt, einer Region und ihrer Bewohner aus? Das Allerweltsmittel gegen ein unterentwickeltes kollektives Selbstbewusstsein kenne ich auch nicht. Aber ich hätte eine Idee: Wirksamer als Plätze und Strassen nach brillanten Köpfen vergangener Zeiten zu benennen, wäre es, ein Milieu zu schaffen, in dem neue brillante Köpfe heranwachsen, blühen und gedeihen, Frauen und Männer, Politikerinnen, Künstler, Theologinnen und Mediziner, Geistes- und Naturwissenschaftlerinnen, deren Namen untrennbar mit Basel verbunden wären.
Das ist allerdings eine Therapie, die nicht von heute auf morgen zu entwickeln ist und die erst recht nicht über Nacht wirkt. Es wäre vielmehr ein generationenübergreifendes Grossprojekt.
Quellen: Offizieller Stadtplan, Ausgabe 2002. André Salvisberg (1999): Die Basler Strassennamen. Basel: Christoph Merian Verlag.
9. Februar 2009
"Über geilen Geiz und Raffgier hinaus"
Bei einer holistischen Betrachtungsweise darf nicht vergessen gehen, dass die Zukunft auch in der Vergangenheit wurzelt. Etwas "Rückbesinnung" auf vergangene Grössen und die humanistische Tradition der Stadt Basel schadet meiner Meinung nach gar nichts. Dieser Vorgang findet üblicherweise in der Schule statt und hat mit dem Lehren und dem Lernen zu tun. Betrachten wir die Gegenwart im Allgemeinen und das Basler Schulsystem im Speziellen, so darf festgehalten werden, dass unsere Schulen zum einen an der Krankheit Reformitis leiden und zum anderen die Lehre, also das Vermitteln von Wissen, an unseren Schulen arg unter Bedrängnis steht. Betrachtet man die Vorschläge zum Bildungsraum Nordwestschweiz, so ist leicht zu erkennen, dass weniger vom Lehren und von Lerninhalten die Rede ist, als vielmehr von Integration, Chancengleichheit und ähnliches mehr.
Gerne möchte ich dieser Liste hinzufügen, dass die Schule vermehrt auch für das Ausbügeln von Erziehungsdefiziten bei der Schülerschaft herhalten muss.
Ein möglicher erster Schritt in Richtung des von Frau Burgermeister vorgeschlagenen Generationenprojekts könnte also sein, dafür zu sorgen, dass das Basler Schul- und Bildungssystem endlich einmal zur Ruhe kommt und die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass der Grundauftrag der Schulen, nämlich das Vermitteln von Wissen an die jüngere Generation, wieder erfüllt werden kann. Damit verbunden wäre im Idealfall auch eine Wiederbelebung von Werten, die über den geilen Geiz und die Raffgier hinausgehen. Eine wahrlich grosse Herausforderung.
Peter Berlepsch, Basel