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"Was ist los?": Erwischter Einschleicher in Bottmingen
Fünf Schritte neben dem schlafenden Hausbesitzer stand der Einschleicher
In einem Bottminger Wohnquartier belasten Serien-Einschleichdiebstähle die Bewohnenden
Von Peter Knechtli
Wer schon einen Einschleich-Diebstahl erlebt hat, kennt die unvergesslich unangenehmen Spätfolgen solches eines Vorfalls. OnlineReports gelang es, gleich drei zusammenhängende Fälle aus einem Wohnquartier in Bottmingen zu dokumentieren, die sich Ende August ereigneten. Die für Betroffene belastenden Delikte tauchen öffentlich nur in der polizeilichen Jahres-Statistik auf.
Keine Gewalt, keine Waffen: Es ist ein Delikt der Diskretion und des günstigen Augenblicks. Durch eine offene Tür in ein Wohnhaus schleichen, stehlen, was werthaltig erscheint – und still verschwinden. Das Delikt heisst "Einschleich-Diebstahl". Der amtliche Begriff klingt wie eine Gelegenheits-Verfehlung. Eher harmlos, im Stil von nebenbei Mitlaufenlassen.
Als Valentin Perga, Mitte siebzig, am Freitag, 26. August, nach einem Mittagsschläfchen gegen 15 Uhr in seinem Haus an der Weichselmattstrasse in Bottmingen die Augen öffnete, glaubt er ihnen nicht zu trauen: Höchstens fünf Schritte entfernt sah er durch die offene Tür einen fremden Mann mitten in seinem Büro stehen. Perga stand auf und fragte, was hier los sei, woher er komme, welche Sprache er spreche.
Doch der ältere Fremde mit modischer Schirmmütze und umgebundener Bauchtasche verstand kein Wort. Der Hausherr begriff einzig, dass er angeblich einen gewissen "Daniel Flurin" suche. Als er ihn "Hablas español?" fragte, fiel ihm der Unbekannte merkwürdigerweise um den Hals, als sei das Eis gebrochen, und bewegte sich langsam in Richtung Garten-Ausgang, der er wohl auch als Eintritt benutzt hatte.
Erfolgreiche Verfolgung per Velo
Der Hauseigentümer, Migranten gegenüber sonst recht angetan, hatte kein gutes Gefühl, aber: "Was will man mit einem solchen Menschen machen?". Die Situation sei "nie bedrohlich" gewesen, schilderte Perga die ungewöhnliche Begegnung. Einer Familienangehörigen gelang es sogar, den Fremden zu fotografieren, ohne dass er sich dagegen gewehrt hätte.
Doch draussen auf der Strasse war der ungebetene Gast plötzlich nicht mehr allein. Ein jüngerer Mann stand mit einem E-Trottinett bereit und gemeinsam fuhren sie, bepackt mit Tasche und Rucksack, die Weichselmattstrasse hinunter, über das Stopp-Signal in die Bruderholzstrasse und dorfwärts. Da machte es bei Kaiser "Klick!": Das war eine Flucht.
Erst rannte er den Beiden nach, erhielt von seiner Frau rasch ein Velo nachgereicht und nahm die Verfolgung auf. Gleichzeitig alarmierte er über die Nummer 117 die Polizei und fuhr Richtung Kreisel. "Die Polizei war sehr rasch zur Stelle. So konnte ich sie lotsen und informieren, wo sich die beiden Verdächtigen gerade befanden", beschrieb er seine kooperative Zweirad-Verfolgungsjagd. Nach wenigen Minuten stellten die Ordnungshüter die Flüchtenden in der Baslerstrasse und nahmen sie fest.
Es soll sich um Rumänen, Vater und Sohn, gehandelt haben, die am selben Tag über Frankreich und Deutschland in die Schweiz eingereist waren. Perga war offenbar nichts geklaut worden, er erstattete aber sofort Anzeige wegen Hausfriedensbruchs.
Kommissar Zufall im Zirkus
Am Abend desselben Tages war es nur einem Zirkus-Besuch in Basel zu verdanken, dass Ferdi Holzer durch Pergas Sohn von der merkwürdigen nachmittäglichen Begegnung seines Vaters mit dem Fremden erfuhr. Am nächsten Tag stutzte Holzer, der unweit entfernt an der Bottminger Ruchholzstrasse wohnt: Ihm fehlten 600 Euro und 50 britische Pfund, seiner Frau Schmuck und insbesondere der Verlobungsring ihrer Mutter mit dem eingravierten Verlobungsdatum und dem Namen ihres Vaters.
Der Täter muss zwischen zehn vor zwei und zehn von drei das Haus über die offene Terrassen-Türe betreten haben. Am selben Samstag, einen Tag nach der Tat, erstattete Ferdi Holzer Anzeige wegen Einschleichdiebstahls.
"Ich fühlte mich im Kontakt mit der Polizei gut aufgehoben", meinte er zu OnlineReports. Nur eines empfand er als ärgerlich: Auf der Inventarliste der gestohlenen Sachen, die der E-Trottinet-Lenker bei der Anhaltung der Polizei auf sich trug, befand sich unter den 14 protokollierten Gegenständen auch der goldene Fingerring samt passender Gravur bei Holzers. Was als klares Indiz gewertet werden kann, dass das Einschleich-Duo bei Holzers und Pergas dasselbe war.
Staatsanwältin liess einen Verhafteten frei
Doch nun kam es im Rahmen der Strafverfolgung zu einem Entscheid der zuständigen Staatsanwältin, der sich – hinterher – als fatal herausstellte: Sie entliess am Freitagabend um 22.30 Uhr den jüngeren der beiden Diebe samt Schmuck aus der Untersuchungshaft, da ihm in den ersten Stunden nach der Verhaftung kein Delikt nachgewiesen werden konnte, weil kein Schmuckstück der Familie Perga zugeordnet werden konnte. Holzers Anzeige erfolgte ja erst am Tag darauf.
Auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft sei die Sache "rückblickend nicht gut gelaufen", räumt Sprecher Michael Lutz ein. "Wir bedauern die Umtriebe, die den geschädigten Personen entstanden sind."
Lutz gibt anderseits zu bedenken, dass die zuständige Pikett-Staatsanwältin ihren Entscheid auf dem Wissensstand fällen musste, den sie zum damaligen Zeitpunkt der Freilassung gehabt hatte. Damals habe die Anklägerin keine Kenntnis vom Diebstahl an der Ruchholzstrasse gehabt. Deshalb hätten die beim jüngeren mutmasslichen Täter aufgefundenen Gegenstände "keinem Diebstahl zugeordnet" werden können.
Quartier-Buschtelefon meldet dritten Fall
Doch damit nicht genug, wie das Quartier-Buschtelefon ruchbar machte. Am selben Freitagnachmittag war auch das Haus von Natalie Berger an der Ruchholzstrasse heimgesucht worden. Im Portemonnaie, das zwei Schritte neben der unverschlossenen Haustüre stand, fehlten 180 Franken und Euro. Dem zweimaligen leichten Knarren der Haustüre hatte Natalie Berger keine besondere Beachtung geschenkt.
Die Familienmutter klingt verzweifelt. "Wir werden derart beklaut, es ist unglaublich." Unter anderen seien vor ihrem Haus schon fünf abgeschlossene Velos und sogar ein Kinderwagen gestohlen worden. Bei einem früheren Einbruch sei "das ganze Haus auseinandergenommen" worden.
Über den Kriminaltourismus-Volkssport Einschleich-Diebstahl informiert die Polizei nie tagesaktuell – es wären wohl zuviele –, sondern nur jährlich summarisch in der Kriminalstatistik. Damit sind sie der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend entzogen.
"Signifikanter Anstieg im Wohnbereich"
Auf die Frage, wieviele Anzeigen wegen Einschleich-Diebstählen bei der Baselbieter Polizei seit Jahresbeginn eingegangen seien, bleibt Sprecher Adrian Gaugler im Allgemeinen: Solche Diebstähle seien zwischen 2018 und 2021 "stabil" geblieben. "Seit anfangs Jahr verzeichnen wir allerdings einen signifikanten Anstieg im Wohnbereich." Besonders betroffen seien "schwergewichtig die Gemeinden in der Agglomeration Basel, angeführt von Allschwil, gefolgt von Binningen, Bottmingen, Münchenstein, Reinach, Muttenz und Birsfelden.
Es mag durchaus ermittlungstechnische und sogar politische Gründe geben, weshalb durch eine Anzeige offizialisierte Einschleich-Diebstähle polizeilich nicht kommuniziert werden. Dennoch ist dies bemerkenswert. Einerseits könnten sich betroffene Wohnungsmieter und Hauseigentümer – wie im Fall Perga – aufmerksam machen und die Aufklärung optimieren. Anderseits könnte Transparenz auch zu erhöhter Vorsicht beitragen und den Bestohlenen eine gewissen Wahrnehmungs-Bonus verleihen.
Türe abschliessen – nicht jedermanns Sache
Denn Diebstähle im privaten Wohnbereich lassen den Bewohnenden nicht kalt. Wenn klar wird, dass eine fremde Person in bösen Absichten unerkannt in die Privatsphäre eingedrungen ist, löst dies bei Betroffenen etwas aus. Das Gefühl von Freiheit und Sicherheit im privatesten aller Räume schwindet, Misstrauen kann wachsen.
Nicht zu Unrecht weisen Polizei und Strafverfolger zwar darauf hin, sich durch konsequentes Abschliessen von Türen und Fenster präventiv gegen Diebstahl zu schützen. Doch so konsequent, wie dies die Theorie verlangt, ist die Praxis eben nicht. Wer, wie insbesondere ältere Menschen, die in einem Haus der offenen Türen sozialisiert wurde, oder Kindern das freie Ein und Aus ermöglichen will, begegnet der Misstrauens-Massnahme "Alles abschliessen!" mit innerem Widerstand.
"Ein offenes Haus hat auch einen immateriellen Wert", schildert Ferdi Holzer als Betroffener seine Emotionslage nach dem Diebstahl. "Es entsteht schon ein Gefühl der Verunsicherung", stellte er an sich selbst fest: Nach dem Vorfall ging er abends sicherheitshalber nochmals durchs Haus, "um sicherzustellen, dass ich nicht einen Dieb eingeschlossen habe". Obschon Opfer eines dreisten Langfingers will sich seine Frau aber "nicht einschränken lassen und deswegen immer alles abschliessen".
Auch Valentin Perga spürte plötzlich ein bisher nicht gekanntes Verdachts-Gefühl. Als er sein Mobiltelefon gerade nicht fand, vermutete er als Täter zuerst seinen Fremden im Büro – obschon er es selbst verlegt hatte.
Alle Namen der Betroffenen sind geändert, aber der Redaktion bekannt.
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12. September 2022
"Jammern hinterher überflüssig"
Mich wundert es nicht, dass sich solche Fälle häufen, bekamen doch auch wir bei uns im Quartier solche "Besuche". Leider muss festgestellt werden, dass zum Teil die Bewohner selber Schuld sind, von nicht verschlossenen Velokeller- oder Waschküchen- oder Garagentüren war die Rede. Ist es Gedankenlosigkeit oder Faulheit dieser Bewohner? Sehr wahrscheinlich beides. Und das wissen auch solche "Besucher". Das Jammern hinterher ist in diesen Fällen überflüssig.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Ähnliche Erfahrungen in Allschwil"
Als Einwohner in Allschwil habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht. Mir selbst sind in kurzer Zeit mittlerweile 4 gute Mountainbikes aus der Einstellhalle und aus dem Keller gestohlen worden. Dasselbe erfahren regelmässig auch meine Nachbarn. Nebst dem werden auch Motorräder gestohlen und in die Wohnungen eingebrochen oder eingeschlichen. Die Polizei steht dem anscheinend ziemlich hilflos gegenüber.
Mehr Aufmerksamkeit der Bewohner könnte vielleicht die Zahl der Diebstähle verringern, nötig wäre aber auch ein strengeres Eingreifen der Polizei und der Gerichtsbehörden, ist doch das Risiko des Erwischtwerdens für die Diebe zu gering und die etwaigen Sanktionen zu lasch, um diese Menschen von ihrem Tun abzuhalten.
André Braun, Allschwil