Kokain-Deal: 18 Monate bedingt für Staatsangestellten
Baselbieter Kantonsgericht verschärft Urteil des Strafgerichts massiv und folgt weitgehend dem Antrag der Staatsanwaltschaft
Von Peter Knechtli
Ungewöhnliche Strafverschärfung in einem Baselbieter Drogen-Fall: Das Kantonsgericht verurteilte heute Dienstag einen Staatsangestellten wegen Kokainhandel zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Die Vorinstanz hatte nur eine Busse von 200 Franken wegen Kokainkonsum ausgesprochen.
Angeklagt ist ein 43-jähriger Mann, Schweizer, in solider Stellung in einer kantonalen Verwaltung der Region Basel. Keine Vorstrafe. Der Vorwurf: Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz durch Handel und Konsum von Kokain sowie Besitz verbotener Pornografie. In der Verhandlung vor Strafgericht am 7. August letzten Jahres hatte Staatsanwältin Barbara Egeler eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren bei gleich langer Probezeit beantragt.
Doch das Strafgericht liess es bei einer Busse von 200 Franken bewenden. Grund für die extrem unterschiedliche Strafzumessung: Die erste Instanz sah nur den Kokainkonsum für erwiesen an, nicht aber den Handel, der ungleich strenger geahndet wird.
Kokainkonsum wegen Leistungsdruck
Weil die Staatsanwältin gegen das milde Urteil appellierte, kam es heute Dienstag zur Verhandlung vor Kantonsgericht. Es hatte in der Hauptsache zu entscheiden, ob der Angeklagte nicht auch beträchtlich Handel betrieben hatte.
Laut Anklageschrift soll der Beschuldigte im Jahr 2011 mindestens 565 Gramm Kokain gekauft und mindestens 480 Gramm weiterverkauft haben. Er bestritt erneut diese Zahlen und den Vorwurf des Dealens generell. Er räumte lediglich ein, gesamthaft 15 Gramm Kokain konsumiert zu haben, um dem wachsenden Druck einer Weiterbildung zum Treuhänder zu widerstehen. Heute konsumiere er keine Drogen mehr.
Die Ermittlungsbehörden konnten dem Angeklagten zwar trotz Hausdurchsuchung, Telefon- und SMS-Überwachung zwar keinen einzigen Verkaufsvorgang beweisen. Sie geht aber aufgrund der Differenz zwischen der nach ihrer Meinung bewiesenen angekauften Menge und dem zugegebenen Konsum von nur 15 Gramm davon aus, dass Deals im grösseren Umfang stattgefunden haben müssen.
Nur zwei Bargeld-Bezüge in einem Jahr
Die Staatsanwältin rechnete in ihrem Plädoyer vor, dass der Angeschuldigte im Jahr 2011 durch den Verkauf rund 24'000 Franken eingenommen haben muss. In jenem Jahr aber bezog er nur zweimal Bargeld in Höhe von gesamthaft 1'300 Franken ab seinem Konto. Dazu kam ein gelegentlicher kleiner Zustupf von seiner Mutter, wie sie als Zeugin vor Gericht bestätigte. Nach Abzug der fixen Ausgaben blieb dem Beschuldigten monatlich ein Lohn-Überschuss von gerade mal 325 Franken, mit dem der tägliche Lebensunterhalt, Auto, Hobbies und Ferien hätten bezahlt werden sollen.
Für Dieter Eglin, den Präsidenten der Abteilung Strafrecht des Kantonsgerichts, "geht diese Rechnung nicht auf", wie er einwarf. "Da muss es auch andere Geldquellen gegeben haben." – Der Angeklagte dazu: "Für mich ging die Rechnung in jener Zeit auf."
Vier Handys und sieben SIM-Karten
In der harten Befragung durch den Vorsitzenden blieb der Beschuldigte bei seiner Position, nur gerade ein Minimum an Fakten einzugestehen. Zahlreiche Merkwürdigkeiten konnte er sich nicht erklären, er erinnerte sich nicht mehr oder wich auch mal von Aussagen aus der Ermittlungsphase ab.
So nutzte er vier verschiedene Handys – teilweise eingelöst auf Personen, die gar nicht existieren – und besass laut Anklägerin "mindestens sieben SIM-Karten". Von wem er diese Karten erhalten habe, wisse er nicht. Wenig Konkretes war vom Angeklagten auch zu codierten Gramm-Wörtern ("10 Franken-Karte", "80 Kilometer") im spanisch gehaltenen SMS-Verkehr mit erwiesenen Kokain-Dealern zu erfahren. Richter Eglin: "Es ist gschpässig, dass Sie diese Codewörter nicht mehr deuten können."
Durch zwei verurteilte Dealer belastet
Bei diesen beiden Dealern handelt es sich um den Schweizer E., einen damaligen guten Freund des Angeklagten aus einer Baselbieter Agglomerationsgemeinde, der auch als Vermittler wirkte und rechtskräftig zu zwei Jahren verurteilt wurde, und um einen ebenfalls aus der Region stammenden Dominikaner, den Richter Eglin als "Grosskaliber" bezeichnete. Dieser Dealer erhielt letzten April eine noch nicht rechtskräftige Freiheitsstrafe von zehn Jahren. Beide hatten in ihren Drogen-Prozessen den Angeklagten als Käufer belastet und dadurch zu ihrer eigenen Strafverschärfung beigetragen. "Weshalb soll dieser "Riesenfisch so etwas Verrücktes machen, wenn es doch nicht wahr ist?", fragte der Richter ungläubig.
Ungeklärt blieb auch die Intensität des Verhältnisses zu seinem verurteilten Freund E., das sich laut den Einvernahmen auf eine vergünstigte Auto-Betankung wöchentlich beschränkt haben soll. Weshalb es dann während 99 Tagen zu 231 Telefon-Verbindungen gekommen sei, wollte der Vorsitzende wissen. Der Angeklagte: "Man hat auch noch über anderes geredet." Mit den illegalen Geschäften seines Freundes sei er "nicht vertraut" gewesen. Weshalb dieser Freund denn mit dem zugestandenen Kokain-Verkauf an den Angeschuldigten sich selbst "massiv belastet" habe, wollte Eglin wissen. Die Antwort: "Er hat lieber einen Kollegen angeschwärzt als seine eigene Frau, die in der Gemeinde ein Restaurant führt und das dort verkauft."
Verteidiger spricht von "weltfremden Vorstellungen"
Wie die Staatsanwältin ("der Beschuldigte war eher Händler als Konsument") wiederholte auch Verteidiger Felix Moppert seinen Strafantrag aus erster Instanz: 200 Franken Busse für der Kokain-Konsum von zehn bis fünfzehn Gramm und Übernahme der Kosten durch den Staat. Die belastenden Aussagen des ehemaligen Freundes E. seien "widersprüchlich" und "nicht glaubwürdig". Auch sei es schon "sehr überraschend", dass trotz Telefonkontrollen keine Käufer hätten identifiziert werden können. Ausserdem hätte der Angeschuldigte, der in der Befragung zur Person ein Vermögen von 200'000 Franken angab, "kein Geld gehabt", um den Stoff in der vorgeworfenen Menge zu kaufen. Die Annahme sei "weltfremd", dass ein Mensch, der "ganz normal lebt, plötzlich zum Kokainhändler wird".
Als "Amigo" abgespeichert
Das Kantonsgericht in Dreierbesetzung aber folgte weitgehend dem Antrag der Staatsanwältin und verurteilte den Beschuldigten wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 18 Monaten Freiheitsstrafe bedingt auf zwei Jahre. Zudem muss er die Verfahrens- und Anwaltskosten für beide Instanzen zahlen. Das Gericht hielt die belastenden Aussagen von Dealer und Vermittler E. für glaubhaft, jene des Angeklagten dagegen für unglaubwürdig. Dass eine direkte regelmässige Beziehung zum "Grosskaliber" bestand, beweise neben den belastenden SMS die Tatsache, dass die Nummer des Angeklagten im Handy des dominikanischen Dealers als "Amigo" abgespeichert war.
Der Gerichtspräsident konnte sich denn auch eine kritische Bemerkung an die Vorinstanz nicht verkneifen: Ihre Urteilsbegründung sei "sehr, sehr kurz" und enthalte "fragmentarische, dürre Sätze". Freund E. sei nicht "inkonsistent und widersprüchlich", wie vom Strafgericht festgestellt, sondern stringent in seinen Aussagen und von allem Anfang an geständig gewesen.
Ein Nebenpunkt betraf eine illegale pornografische Video-Sequenz von 46 Sekunden Dauer auf dem Handy-Speicher des Angeklagten. Der "Pausenhof-Film", der ihm "von einem Bekannten aus Jux" zugestellt wurde, zeigt sexuelle Handlungen eines Mannes mit einem Esel. Hier erfolgte ein Freispruch, da der Vorsatz nicht nachgewiesen werden konnte.
Es droht die Kündigung
Wird das Urteil rechtskräftig, hätte dies auch arbeitsrechtlich gravierende Folgen für den Beschuldigten: Der Kanton habe ihm im Falle einer auch bedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe mit der Kündigung gedroht. Nur schon deshalb, so liess Verteidiger Moppert gegenüber OnlineReports durchblicken, dürfte auch dieses zweitinstanzliche Urteil angefochten werden – vor Bundesgericht.
4. März 2014