Damals und heute in Freudenstadt
Dass meine Grossmutter aus dem Schwarzwald stammte, war für mich als in Basel aufgewachsenes Kind ganz schön spannend. Der Schwarzwald war für mich nämlich der Ort, von dem aus jeden 6. Dezember der Sankt Niklolaus pünktlich mit seinem Esel daherkam und uns mit Sack und Rute besuchte. Wobei mir der Sack mit seinem süssen Inhalt weitaus sympathischer war als die Rute.
Als dann meine Grossmutter noch erwähnte, sie habe in Freudenstadt gewohnt, und ihr Vater habe Orgeln hergestellt, oder zumindest Orgelpfeifen, so genau weiss ich das heute nicht mehr, da war mein Glück komplett. Ich liebte schon damals Musik über alles und terrorisierte mit der Blockflöte meine beiden nicht besonders musikalischen älteren Brüder.
"Ich stellte mir eine Stadt vor,
in der sich alle Leute immerzu freuten."
Und dann allein der Name: Freudenstadt! Ich stellte mir eine Stadt vor, in der sich alle Leute immerzu freuten. Und diese Stadt lag mitten in einem grossen Wald. Der war so dicht, dass kaum Sonnenlicht eindrang – deshalb hiess er ja auch "Schwarzwald", so reimte ich mir das zusammen.
Etwas Mühe hatte ich mit den Orgelpfeifen. Die waren in den Kirchen, die ich kannte, alle aus Metall. Bis ich einmal in einer kleinen alten Landkirche eine Orgel mit hölzernen Pfeifen entdeckte. Jetzt stimmte mein Bild vom Urgrossvater wieder, wie er im Schwarzwald sass und aus Holz Orgelpfeifen schnitzte.
Kürzlich war ich im Schwarzwald zu einer Hochzeit eingeladen. Ich nutzte die Gelegenheit und wählte für den Rückweg nach Basel die Schwarzwald-Hochstrasse. Auf dem Kniebis, dem Hausberg von Freudenstadt, war ich nicht nur hingerissen von der Aussicht, sondern auch von der Vegetation und der speziellen, teilweise fast unheimlichen Ausstrahlung dieses Hochmoorgebietes mit seinen knorrigen Bäumen. Und ich stellte mir meinen Urgrossvater vor, wie er eine Tanne fällte, sie von einem Pferd ins Tal schleppen liess und daraus Orgelpfeifen schnitzte.
Dann traf ich in Freudenstadt ein. Es war Sonntag und Bilderbuchwetter, und ich stellte fest, dass die Freudenstädter tatsächlich allen Grund haben, sich zu freuen: Eine offene, freundliche Kleinstadt mit wunderschönen, liebevoll renovierten oder wieder aufgebauten alten Häuserzeilen beidseits des leicht höher gelegenen riesigen Markplatzes, der grösste von ganz Deutschland. Er ist von Arkaden gesäumt und mit einer launigen Brunnenanlage versehen: Fontänen, die in einem Wechselspiel mal hier mal dort aus dem Boden schiessen. Der Brunnen ist begehbar. Wer allerdings um seine Frisur fürchtet, begnügt sich besser mit einem Fussbad in einem der vielen, Bächle genannten, offenen Wasserrinnen, die früher der Wasserversorgung dienten.
Mein Urgrossvater würde aus dem Staunen nicht herauskommen, würde er heute mit einer seiner gefällten Tannen vom Kniebis herunterkommen.
17. Dezember 2012
"Zu jeder Jahreszeit für eine Reise gut"
Wir kennen den Schwarzwald ziemlich gut und gerade die Gegend rund um Freudenstadt haben wir verschiedentlich besucht. Corina Christen kann man nur gratulieren zu der in wenigen Strichen richtig skizzierten Darstellung von Freudenstadt und Umgebung. Es gäbe noch sehr viel beizutragen. Die Geschichte von Freudenstadt, die Bedeutung des Kniebis auf dem Ost-West-Weg durch den Schwarzwald, die uralte Grenze zwischen Baden und Württemberg und die entsprechenden Unterschiede in den Mundarten, die Anreise über das Kinzigtal und und …
Doch etwas ganz Wichtiges hat die Autorin nicht angefügt: Den Schwarzwald kann man wirklich zu jeder Jahreszeit bereisen, selbst im für uns meist trüben November hat er einen ganz besonderen Zauber.
Rudolf Mohler, Oberwil