Theater Basel, Grosse Bühne
"Die Dreigroschenoper"
Ein Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern von Bertolt Brecht nach John Gays "The Beggar’s Opera" übersetzt aus dem Englischen von Elisabeth Hauptmann. Musik von Kurt Weill
Regie: Dani Levy
Musikalische Leitung: Johannes Kalitzke
Bühne und Video: Jo Schramm
Kostüme: Jana Findeklee, Joki Tewes
Licht: Roland Edrich
Dramaturgie: Constanze Kargl, Juliane Luster
Mit Jonas Anders, Elias Eilinghoff, Nahoko Fort-Nishigami, Vincent Glander, Paula Hans, Pia Händler, Florian Jahr, Thomas Reisinger, Myriam Schröder, Gen Seto, Cathrin Störmer, Thiemo Strutzenberger, Ingo Tomi
Mit der Basel Sinfonietta
Mackie Messer im Weltall
"Wir wissen, dass dies nichts ist", stellte John Gay 1728 seiner "Beggar's Opera" als Motto voran. Bertolt Brecht wollte es bei seiner Bearbeitung, "Die Dreigroschenoper" (1928) nicht ändern. Aber Dani Levy, der seine Bühnen- und Film-Karriere auf der Kleinen Bühne begann, und nun 40 Jahre danach das Stück 2018 auf der Grossen Bühne inszenierte, treibt es etwas gar weit damit.
Aus dem Armen- und Verbrecherviertel Soho versetzt er Londons Bettler, Huren, Gangster und Polizisten ins Weltall. Eine asiatische Klinikdirektorin und ein Oberarzt erklären in einem Prolog: Auf ihrer Space-Therapie-Station "Mammon 1" sollen Manager, Vorstandsvorsitzende oder auch ein Vertreter einer Volkspartei (welche wohl?) "Heilung durch Katharsis" erlangen: also die Rollen in Brechts Vorführstück des Raubtierkapitalismus durchspielen, wo jeder jeden verkauft, ausbeutet und gegen Geld an die korrupte Justiz ausliefert.
Atemberaubend der Anblick, wenn sich der Vorhang hebt: Ein die Grosse Bühne ausfüllendes Luxus-Resort hat Jo Schramm vor einen weiten Sternenhimmel gebaut mit Stegen und Lauben, Plätscherflüsschen und Fischteich, Papierlampen und einem Käfig. Auf der grossen Terrasse oben im Hintergrund bieten futuristisch gewandete Damen den Patienten Tee und notfalls Zuwendung an. Darunter intoniert die Basel Sinfonietta die Kompositionen Weills im Originalarrangement. Ist es die von Brecht gewünschte "Verfremdung" oder eher die totale Ablenkung: Hier hinein soll man sich die Schauplätze des Stücks, Peachums Bettlerladen, das Gefängnis Old Bailey, ein Hurenhaus, einen Pferdestall, denken.
Stark vergröbernd könnte man sagen: Auf die schiefe Weltordnung kommt Brechts extra schief akzentuierte Erzählweise kommt Levys extra schiefer Erzählrahmen im von der Erde losgelösten Therapie-Zentrum. Das könnte ein interessanter Ansatz sein, wenn die Erzählebenen miteinander korrespondierten. Tun sie nicht. Levy gelingt es nicht, Brechts Kapitalismus-Kritik mit seinem Manager-Therapie-Überbau verständlich in Austausch zu bringen. Weder das eine noch das andere wird konsequent durchgeführt. Eher sträuben sich beide gegeneinander.
In Levys Welt gibt es bezüglich der Personen mehrheitlich keine Ambivalenzen und gesellschaftlichen Fragen mehr: Diese Leute sind einfach krank. Die hohläugigen, hypernervösen oder kataton verspannten oder dauernd ins Taschentuch schniefenden Patienten, ausgestattet mit überlangen Ärmeln (Zwangsjacke?), verziehen die Anlage arg ins Groteske, was einem Teil des Premieren-Publikums immer wieder am Zwerchfell kitzelte.
Im guten Falle findet Levy hinterlistige Bilder, wenn etwa Ingo Tomi, der auch eine Hure verkörpert, im Hurenkostüm in eine Polizeiuniform schlüpft, um dann Londons Polizeichef Brown zu spielen. Im weniger guten, und das ist häufiger, dient der teilweise inhaltsleere Klamauk dazu, Betrieb zu machen, darstellerische Energie zu mobilisieren.
Es ist Weills grossartige Musik im flotten Spiel der Basel Sinfonietta, die dem Abend immer wieder Temperament und Esprit einschiesst. Das vieldiskutierte Korsett, das die Erben Brechts mit genauer Befolgung von Text, Songs und Figuren einfordern, hier bewahrt es die zweieinhalbstündige Performance vor Durchhängern, sorgt dafür, dass sie Kontur und Rhythmus behält. Und auch das Ehepaar Peachum, die Hure Jenny und Lucy: Cathrin Störmer, Thomas Reisinger, Myriam Schröder und Pia Händler haben das Formgefühl und die Kraft, ihre Figuren schillern zu lassen.
Leider ist sonst die Figurengestaltung uneinheitlich. Die Gangsterbande: Allzu lächerliche Hampelmänner. Ihr Chef, Mackie Messer: Thiemo Strutzenberger beweist (erneut), dass er bipolar gestörte Verbrecher nuancenreich verkörpern kann. Aber er ist kein Stehaufmännchen-Bandenchef, sondern durchwegs leidendes Opfer. Polizeichef Brown: Ingo Tomi vertut sich (erneut) als Zappelphilipp-Komiker. Gast Paula Hans als Polly: substantiell zu dünn. Alle scheinen nach ihrer eigenen Schule zu spielen.
Auch gesanglich bleiben die Leistungen höchst unterschiedlich. Wunderbar: Cathrin Störmer, magnetisch, vor allem bei der "Abbitte": Thiemo Strutzenberger, musikalisch: Myriam Schröder. Weil Thomas Reisinger krankheitsbedingt nicht singen konnte, sprang (ausnahmsweise für die Premiere erlaubt) Klaus Brömmelmeier als "Pfleger" ein, der die Songs von Peachum versiert meisterte – und der Aufführung im Gesamteindruck als darstellerische Stütze, ja sogar als konzeptionellen Brückenschlag zwischen den Erzähl-Ebenen diente, was man beides noch vermissen könnte. Ein Teil des Publikums applaudierte frenetisch, der andere anständig.
9. Februar 2018