![]() Theater Basel, Kleine Bühne Uraufführung Eine Irrfahrt ans Meer
Inszenierung: Antú Romero Nunes Bühne und Kostüm: Matthias Koch Musik: Pablo Chemor Lichtdesign: Stefan Erny Dramaturgie: Michael Gmaj
Mit Fabian Dämmich, Mala Emde, Anne Haug, Michael Klammer, Aenne Schwarz Entenhausener AbgründeWarum nur Dostojewskij, Dürrenmatt, Balzac oder Joyce, wie in der Basler Spielzeit bisher? Warum nicht mal Disney? Daisy Duck! Aber, huch!, Daisy steht ja gar nicht im Namensverzeichnis? Was könnte also geschehen sein? Wir erfahren es, aber nur sehr indirekt.
Wenn der rote Plüschvorhang aufgeht, labbert die Servierfrau in einem Zugsrestaurant dem verkrampft-verliebten Zugsbegleiter Bruno die Ohren voll, als wären Herz und Hirn nur Umwege für die Worte. Aber wenn Lucy beim Aufdecken noch unschuldig, doch absichtsvoll mit dem Hintern wackelt (Bruno guckt), dann denken wir vielleicht an Daisy in den 5-Minuten-Clips, wie sie Donald reizt, es aber – selbstverständlich in Entenhausen – nie zum Äussersten kommt.
Ihr mit englisch versetzter Redesprudel, der von Bemerkungen über starken Kaffee zu einem Essay über das Örtlichkeitsempfinden beim Zugfahren führt und am Ende in der Schilderung kulminiert, wie der Sarg ihrer Mutter explodiert sei und das Fett der fein ausstaffierten Trauergemeinde ins Gesicht gespritzt sei, ist der Prolog und lässt die Formel des Abends erahnen: Reise in eine heile Spielwelt, Geschwätz, das unbeabsichtigt über sich hinausweist, jähe Katastrophen. Regisseur Antú Romero Nunes und dem Ensemble ist mit selbstverfassten Texten virtuos ein szenischer Meta-Comic geglückt, der die Pfeiler des Genres bloss legt.
Das Setting im fünfziger Jahre gestylten Zugsrestaurant wirkt noch ganz harmlos, wenn die Oma mit ihrem dicklichen Enkel Horatio zusteigt, um "ans Meer“ zu fahren. Wenn dann endlich Wälder und Dörfer am Zugsfenster vorbeiziehen, erzählt Oma im heitersten Ton wie sie einst mit den Dorfkindern wie Dagobert Duck im Geld baden wollte. Ihre Freundin sprang vom Baum, ein Knacken, dann Stille. Das Geld war voller Blut. Später springt Zorro ins Abteil. Das "Z“ am Gürtel dreht er verärgert in ein "N“. Das "Z“ hätten ihm die "Banditos“ gestohlen, das "N“ stehe für "NO“, Norro. Wie diese Russland-Pointe schmeckt der Witz an diesem Abend oft bitter beim Lachen.
Norro und Horatio wollen Abenteuer: Lucy überfallen, ihre Kasse plündern. Plötzlich hält der Zug abrupt. "Personenschaden“, ruft Bruno mit Beamtenroutine und Lucy ist schon mit dem Wischmopp unterwegs zur Zugsspitze. Batranii, ein Mix aus der Hexe Gundel Gaukelei und der Figur Pia Wallace aus dem Film "Pulp Fiction“, schlägt die Zugsscheibe ein. Sie klärt den verstörten Horatio mit der Pistole fuchtelnd darüber auf, dass sein Vater die Oma, den Zorro, Mr. Bean für ihn spiele. Die rührende Begründung des Vaters: "Wenn Horatio nicht glaubt, glaubt niemand. Ich glaube nur daran, wenn Horatio glaubt.“
Batranii reisst die Illusionen herunter. Dagobert Duck sei ein "alter, weisser Erpel“, die Panzerknacker aber immerhin eine Gewerkschaft. Donald habe seine Cousine Daisy "vögeln“ wollen, es aber nie geschafft. Champagner aus der Flasche saufend und verspritzend nimmt sie sich auch das Kino vor. Die Filmfigur Amélie Poulain sei nichts weiter als eine Autistin. Die Selbstfindung in einer US-Komödie gipfle darin, dass Julia Roberts mit Javier Bardem im Segelboot auf einen Sonnenuntergang steuere. Szenenapplaus.
Man müsste noch viele weitere Szenen erwähnen, wie etwa der unterbelichtete Bruno sich plötzlich als Vampir Raffzahn zu erkennen gibt. Oder wie Lucy Javier Bardem begegnet, der sich als Sprechautomat entpuppt. Überrascht sieht man dabei zu, wie der Untergrund von Sex, Tod und Abhängigkeiten die harmlose Comic-Sphäre durchstösst.
Ein paar Striche oder Auslassungen hätten nicht überall wehgetan. Die Fülle ist aber auch Ausdruck der Spielfreude, die das Ensemble über die ganze Spielzeit fühlbar beflügelten. Die Rollen werden sämtlich glänzend verkörpert. Die Inszenierung gewinnt auch durch die Liebe zum Detail. Die nicht vorhandene Schiebetür, die die Protagonisten beim Eintritt mit einem Wink und einem «Schsch» öffnen müssen, gibt zu hundert kleinen Slapstick-Szenen Anlass. Beinahe poetisch werden die Szenenwechsel, in dem unser Zug in einen Tunnel fährt. Tosender Applaus. Für Comic-Fans ein must-see. 1. April 2022
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