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Theater Basel, Kleine Bühne Premiere
Nach dem Roman von Honoré de Balzac
Inszenierung: Martin Laberenz Bühne: Aino Laberenz, Marie Sturminger Kostüme: Aino Laberenz Musik: Johannes Hofmann Lichtdesign: Stefan Erny, Roland Heid Dramaturgie: Kris Merken
Mit Peter Knaack, Marie Löcker, Annika Meier, Julian Anatol Schneider, Birte Schnöink Klamauk über dem AbgrundDer Apothekersohn Lucien Chardon verfällt in schwärmerischer Liebe zur Landadligen Madame de Bargeton, die ihm den Weg zu dichterischem Ruhm in der Metropole Paris ebnen soll. Schon kurz nach ihrer gemeinsamen Flucht aus der Provinz verstösst die Adlige ihren Ziehsohn. Gedrückt von Armut erscheint ihm der geduldige Weg des Literaten bald zu steinig. Von Ehrgeiz und Eitelkeit getrieben erliegt er den Versuchungen des Journalismus mit schnellem Geld und hoher Geltung. Das genussreiche Gesellschaftsleben stürzt ihn in Schulden, er verheddert sich in Intrigen. Abgebrannt und moralisch ausgehöhlt kehrt in die Provinz zurück, nachdem er seine Familie mit einem Betrug wirtschaftlich ruiniert hat.
Diesen Aufstieg und Fall symbolisiert eine riesige Achterbahn, die die Kleine Bühne bis in die Ecken füllt, an deren Fuss eine kleine Truppe ironisch den Stones-Hit "You can't always get what you want" intoniert. Man theoretisiert über Luciens Selbstmordpläne aus verletzter Selbstachtung, die dieser nach seinem Pariser Abenteuer hegt. Lucien hangelt sich halsbrecherisch über das Gestänge und schwafelt altklug über die angeblich mangelhafte "kohäsive Struktur" von Fellinis Filmen. Man hat es hoch im Kopf und schickt sich an, den 800 Seiten-Roman von 1840 mit wechselnden Rollen nachzuspielen.
Das geschieht so knallig und sprunghaft wie ein Comic. Die tausend kleinen Einfälle von Regisseur Martin Laberenz und Dramaturg Kris Merken reizen das Publikum immer wieder zu Gelächter. Man fühlt sich bisweilen wie in einem Party-Talk, bei dem der Gesprächspartner einen dauernd mit aus der Luft gegriffenen Witzeleien und Zoten unterbricht. Dabei sind sich Laberenz/Merken für keinen Flachwitz zu schade. Das Wort "Eklektiker" versteht jemand als "Elektriker" und "Sonette" reimt sich ja so hübsch auf "so nette".
Ein Gedicht-Vortrag muss da dem Konzept folgend von Getuschel und vom Knall des Geschirrs, das man nachlässig fallen lässt, zerrissen werden. Luciens Liebesdrängen bei Madame de Bargeton ist eine hysterische Soap. Ihre Angst vor einem Skandal endet in einem asthmatischem "Ich! Ich! Ich! Ich!", immerhin sinnfällig ihren Egoismus herausstreichend, der den Dichter zum Werkzeug ihrer Wünsche macht. In den besten Momenten entstehen verdichtete, tragikomische Szenen, etwa wenn Lucien sein Romanwerk versteigert: hochkomisch, wie Annika Meier sich als Lucien tapfer mit fallendem Preis gegen das tränenselige Elend wehrt.
Kleinere Exkurse etwa über die falsche Erhabenheit beim Rauchen, wobei die ganze Zeit auf der Bühne gequalmt wird, oder miese Machenschaften im Journalistenhandwerk, sollen uns davon überzeugen, dass hier nicht nur Klamauk gemacht wird. Dass es einen doppelten Boden gibt. Bis zur Pause stimmt der Rhythmus zwischen Action und Ruhepunkten.
Aber danach, wenn die Geschichte und die Zusammenhänge sich verdichten, zerbröselt das Geschehen. Der Text wird nur mehr wirkungslos herausgeschwatzt, ohne dass der inhaltliche Bezugsrahmen mitschwingt; den kennt nur, wer den Roman gelesen hat. Es wird auf Tempo gemacht. Ein langer Monolog muss zusammenfassen, was man nicht mehr in Szenen zu erzählen vermochte. Luciens Partyleben wird auf eine überlange Rock'n'Roll-Tanznummer verkürzt. Der dramatische Tod Coralies, der Luciens Pariser Karriere beendet, wird in zwei Worten abgetan.
Es wirkt, als hätte man die Inszenierung auf den letzten Drücker erstellt. Die Souffleuse musste ungewöhnlich oft nachhelfen. Dem Ensemble ist zugute zu halten, dass es sich davon nicht aus seiner komödiantischen Spiellust reissen liess. Man scheint zu spät bemerkt zu haben, dass der Roman ab der Mitte halt noch Wesentliches mitteilt. Zum Beispiel Luciens Verrat, wenn er als Kritiker gegen seinen Willen, aber für die Karriere seiner Liebhaberin den Roman eines Freundes verreisst.
Das ist schmerzhaft, weil sich ab Romanmitte, in der journalistischen Karriere, die seelischen Abgründe von Lucien endgültig öffnen. Der Philosoph Georg Lukasz sah das Thema des Romans beim "Zur-Ware-Werden der Literatur", bei der "Kapitalisierung des Geistes". Davon oder von Luciens beweglichem Geist und seinen Schwächen erlebt man in den ganzen drei Stunden Spieldauer kaum etwas. Balzac versenkt uns in den Zerfall einer Persönlichkeit, deren Bewusstsein sensibel genug wäre, das Verhängnis zu erkennen. Sind nicht heute noch die Zeitungen voll solcher Dramen? Aber die Inszenierung sperrt sich mit aller Macht gegen die Tiefe. 5. Dezember 2021
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