Theater Basel, Kleine Bühne
Uraufführung
"Eine Verzweiflung"
Autor: Yasmina Reza
Regie: Georg Darvas
Mit Urs Bihler
Die Einsamkeit eines ewigen Amateurs
Es ist das erste Mal, dass der erste Roman der französischen Erfolgs-Schriftstellerin Yasmina Reza auf die Bühne kommt: Der Monolog eines melancholischen Rentners an der Schwelle zum Greisenalter, dem es misslang, zum erfüllten, reifen Herrn zu werden. Er ärgert sich über den Mittdreissiger-Sohn, der ehrgeizlos am Strand irgendeines Drittweltlands in der Sonne liegend seine Tage vertrödelt.
Der 63-jährige Basler Schauspieler Urs Bihler, der mit diesem 80-minütigen Monolog sein 50-jähriges Bühnenjubiläum beging, versah diesen grumpy old man mit mehr Beschaulichkeit und Toleranz als es die Autorin in der Romanvorlage vorgesehen hatte. So regt sich Bihlers Samuel Perlman nicht nur über die schlaffe Nicht-Herausforderung auf, mit der sein Sohn quasi-glücklich dahinvegetiert, nein, er hat auch Sehnsucht nach ihm, dass er ihn, den Vater, umarme, ja sich einfach mit ihm abgebe. Und wenn Perlman wie ein Seniorenheim-Mastroianni im erlöschenden Licht mit jener Geneviève Abramovitz tanzt, die die Liebhaberin seines grossen Lebensidols Leo Fench war, dann möchte man dem netten Herrn die Altersliebe gönnen mit dieser Frau, die offenkundig geistig und erotisch sehr viel herausfordernder und appetitlicher ist als seine langweilige zweite Ehefrau Nancy.
Bihler bietet einen heiter-besinnlichen Abend, der nie durchhängt. Am stärksten wirken jene Passagen, in denen der Monolog zu einem intimen Selbstrapport wird, dem wir wie zufälligerweise folgen können. Auch die Anekdoten glücken ihm: Wenn sein Perlman von der Freundschaft zu Langweiler Lionel oder seiner amour fou mit einer Marisa Botton erzählt, dann vergisst man im Zuschauerraum den Sessel, auf dem man sitzt. Und auch, dass hier Schauspieler Bihler eine schwere Kunst übt: Den Bühnenraum zwischen Schaukelstuhl und Zimmerklavier mit dem Leben dieses Mannes zu füllen. Bihlers Perlman ist ein ewiger Amateur, der immer wieder mal am Adagio des berühmten Bach-Capriccio herumübt, ohne es je flüssig spielen zu können, der den Garten bestellt, weil ihm nichts Gescheiteres einfällt. Und der sich als Amateur-Philosophen gern von den Leuten seiner Umgebung absondert, die sich modern finden, wenn sie feine Reden über "Sensibilität", "Selbstverwirklichung", "Glücklich"-Sein, Therapien und Bio-Nahrungsmittel führen.
Aber der Abend hat nicht völlig entkräftet, was Autorin Reza über ihren Roman gesagt hat: Dass man ihn nicht auf die Bühne bringen könne. In seiner Tiefe liegt eine Verstörung, die auf der Kleinen Bühne nicht vorkam: Samuel Perlman ahnt, dass da eine verborgene Türe ist, die er nicht gefunden hat. Sie bringt ihn in Wallung, macht ihn zum umtriebigen Eingesperrten in einer Existenz, zu der er mehr geraten als durch Entscheid gelangt ist. Grantig räumt der Roman-Perlman Überdeckungen weg, Illusionen, will sich immer wieder extra "ent-täuschen".
Der Roman-Perlman könnte kräftemässig noch zupacken. Aber er weiss nicht, wo. Jetzt erwartet er unversöhnt Gebrechen und Tod. Und so erkennt er auch durchaus klar, dass dieser ferne "glückliche" Sohn ihn anfeindet. Dessen Waffe ist die Mentalität der coolen Gleichgültigkeit der heutigen Tage.
20. März 2008