Theater Basel, Kleine Bühne
"Die drei Musketiere"
Schauspiel nach dem gleichnamigen Roman von Alexandre Dumas
Bearbeitung: Antonio Latella, Federico Bellini
Inszenierung, Raum, Musik: Antonio Latella
Kostüme: Simona D‘Amico
Choreographie, Kampftraining: Francesco Manetti
Dramaturgie: Carmen Bach
Mit Elias Eilinghoff, Vincent Glander, Nicola Mastroberardino, Michael Wächter
Jupiduu und Bumm-Bumm-Bumm
"Wollt' Ihr die Pferde nochmals?", ruft Nicola Mastroberardino am Ende in den Jubelsturm. "Jaaaa!" Und da geschieht es: Das ganze Auditorium, also das wegen seiner emotionalen Zurückhaltung gefürchtete Basler Publikum, klatscht mit voller Lust zum (eingespielten) Radetzkymarsch! So wie die Wiener im Neujahrskonzert. Und die vier Männer auf der Bühne ballen ihre Fäuste zu Hufen, wiederholen als Zugabe ihre Pferdeballett-Ulk-Nummer und reissen das Publikum beim nachfolgenden Schlussapplaus zu stehenden Ovationen hin.
Wann hat es so viel Begeisterung das letzte Mal auf der Kleinen Bühne gegeben?
"E weeneli viel Klamauk", hiess es dann doch beim Mantelholen mancherorten. Genau darum ging es dem italienischen Regisseur Antonio Latella: Ein heiterer Bilderbogen ganz nach aussen gekehrten Theaters, gespickt mit Slapstick, um dessen Urgrund unbefangenen Spiels freizulegen. Dazu reiht er Sujets aus dem Helden- und Haudegen-Roman von 1844 aneinander, der heute in der Kinderabteilung der Buchläden verkauft wird, dessen gefühlte hundert Verfilmungen Generationen von Buben glühende Wangen besorgten.
"Bumm! Bumm! Bumm!" Wie die Schulbuben auf dem Pausenplatz spielt die Viererbande Schiessen, Fechten, Detonieren. Sie wiehert (als Musketier-Pferde) im Galopp oder im Rhythmus als Ständchen. Sie imitiert ein übertrieben grimassierendes Commedia dell’arte-Spiel, um die Diener von d'Artagnan und der drei Musketiere als Hanswurste vorzuführen.
"Braucht schon noch Mut, so schamlos einzusteigen", meinte ein Journalistenkollege. Mit Wagnis, blöd auszusehen, wie es Kinder manchmal extra machen, stürzen sich die vier Schauspieler wie in den leeren Raum. Nicola Mastroberardino, der Italienisch-Schweizer, hat dazu am meisten Mut. Keiner spielt so unverkrampft offen ein Pferd wie er. "Warum heisst es eigentlich die drei und nicht die vier Musketiere?", ruft er herzerweichend. "Ausgegrenzt" im gelben Kostüm steht er den drei, eher gedeckten Graublauen mit den geheimniswitternden Pseudonymen Athos, Porthos und Aramis gegenüber. Überall lauert der Schalk. Seine naive, unberechenbare Agilität als D'Artagnan ist betörend.
"Jupiduu" singen sie beim Eintritt mit demonstrativer Sinnentleertheit. Nach und nach enthüllt sich der Abend, der sich als Hanswurstiade gibt, als frechen Kommentar mit Pointen im Minutentakt. Mit spitzem Witz verpassen Latella und sein Kompagnon Federico Bellini etwa der "deutschen Dramaturgie" ein ums andere Mal rhetorische Degenstiche. Als würde diese mit Sinnsuche und "politischer Korrektheit" das Spiel, das Leben selbst festzurren. "Introspektion, Introspektion, seit Jahren diese Introspektion", ächzt Mastroberardino angeekelt. Die "italienische Dramaturgie" dagegen komme mit ihrer Spiellust nie zu einem Ende.
"Dumas! Dumas! Dumas!", mit ausgebreiteten Armen beschwören die Vier immer wieder den Geist des Autoren, der sie in arge Definitionsnöte gebracht habe. Was heisst denn das "Alle für einen, einer für alle", wenn das "Ich" des einen nicht mal bekannt sei. Nicht mal der Person selbst! Latella und Bellini, die bisher am Theater Basel schwerblütige Stoffe ("Die Wohlgesinnten", "Ödipus", "Caligula") produzierten, geraten dann doch auch auf die Bahn der "Introspektion". Im sprechtechnischen Galopp, mit Brüchen im Spiel zu seiner (vorgeblichen?) Privatperson, wagt Wächter als der bitterernste Athos einen philosophischen Ausritt, den präzise wiederzugeben wohl mancher Zuschauer (und auch der Kritiker) Mühe hätte. Was schade ist.
"Pferd sein oder nicht, das ist hier …", albert D’Artagnan mit dem Hamlet-Text herum. Aber hinter dem vordergründigen Klamauk steckt eine anspielungsreiche, mehrschichtige Parabel: zum Sein und Spiel im Leben und auf der Bühne, zum Hintergrund verschiedener Theaterstile. Auch zum männlichen Bubencharakter. Die Aufführung läuft jedoch nie Gefahr, maskulinistische Heldenverehrung zu betreiben. Wenn die Vier doch mal zum Degen greifen, so wird daraus eher eine filmreife Fechtballett-Nummer als ein obszöner Tötungsakt. Für Mylady de Winter, die schwarze Seele des Romans, schwärmen sie in italienischen Schlagern.
Um die Handlung des Romans, die nur im Telegrammstil wiedergegeben wird, geht es nicht; eine Seltenheit, dass eine thematisch gegliederte Aufführung so viel dichtes, witziges und über fast zwei Stunden spannendes Theaterspiel zeigt, das den (hier sinnfällig, als Theaterlabor) leeren Raum mit grauer Hintergrundmauer völlig vergessen macht.
3. Februar 2019