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Claude Bühler – Premiere am Theater Basel

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Theater Basel, Grosse Bühne
Premiere
 
"Das weite Land"
 
Autor: Arthur Schnitzler
Regie: Elias Perrig
Bühne: Wolf Gutjahr
Kostüme: Charlotte Sonja Willi
Dramaturgie: Martina Grohmann
Musikalische Arrangements: Burkhard Niggemeier


Stühle schmeissen zum Abschied

Jetzt will es Schauspieldirektor Elias Perrig allen zeigen. Den derzeitigen Saisonhit der deutschen Grossstadttheater hat er gewählt, um seine Abschiedssaison zu eröffnen: die 100-jährige Tragikomödie "Das weite Land", die das deutsche Feuilleton pünktlich zum 150. Geburtstag von Autor Arthur Schnitzler wieder entdeckte. Mit Hilfe von Dramaturgin Martina Grohmann präsentiert er sich als Regisseur, der das Stück nicht aufführt, sondern es zerschneidet und die blutenden Schnittflächen hervorkehrt. Das Publikum applaudierte nach den 135 teilweise sperrigen Schauspiel-Minuten wohlwollend.

Kaum je ist Perrig in Basel so radikal vorgegangen, nichts ist hier zufällig, das Konzept mutet streng an. Wir müssen viel denken, zumal, wenn man das Original kennt. Auf der Bühne steht ein Zuschauerauditorium, dort sitzen Zuschauer, die gucken uns an. Basels Grossbürgertum sieht Schauspieler, die Wiens Grossbürgertum von damals spielen. Die Frage steht unmittelbar im Raum: Wer sieht hier wen an? Wo ist das massgebliche Ich, das registriert?

Und wie ist das mit dem Sex? Auftritt Georgette Dee, Deutschlands bekannteste Diseuse, die ist drunter ein Mann. Sie haucht, leidet, stöhnt wie eine Diva, packt hart die Konsonanten wie ein Kerl: Ein Chansonauftritt mit beschränkter Haftung auf echtes Gefühl. Dee spielt den ganzen Abend damit. Die Kunstfigur als ist Irritation im Geschlechterkampf geglückt, der nun erbarmungslos beginnt.

E
ine Frau im echten Publikum gerät in Panik, redet laut von einem Traum, von ihrer Behandlung bei Sigmund Freud, sinngemäss:"Als Schauspielerin Astrid Meyerfeldt habe ich geträumt, ich sei die Fabrikantengattin Genia Hofreiter." Endlich stolpert sie auf die Bühne, spricht unentschieden zum Publikum auf der Bühne, dann wieder ins Auditorium. Was also ist innen, was aussen, was intim und was öffentlich? Fragen, die Genia nie für sich beantworten wird.

Die Augen geweitet von Staunen, Sehnsucht und unergründlichem Schrecken: Als Schauspielerin Meyerfeldt bewegt sie sich in einem seltsamen, traumartigen Zwischenreich. Ihr Trauma-Blickwinkel ist der unserige während des ganzen Abends, mit ihr leiden wir. Was weckt noch Gefühle? Dass sich der Pianist Korsakow totgeschossen hat? Der hat ihr einen letzten Liebesbrief geschrieben. Oder dass ihr Gatte Friedrich sie mit der Adele Natter betrügt?

Wenn der auftritt, rückt er die Krawatte mit einer Befriedigtheit zurecht, als wollte er zeigen, wie zufrieden er mit seiner männlichen Ausstattung sei. Markiert mit kreisendem Becken den Sexprotz. Um was geht es bei all den vielen Worten, die nun hin und her gehen? Um das geschliffene Konversationsspiel von Schnitzlers Übertalent? Flach und plärrig parliert's wie von selbst beim Ehepaar Hofreiter, und Façon ist alles. Aber dass die Gattin etwas mit dem toten Pianisten gehabt, dass sie ihn geliebt haben könnte, das geht dem Herrn Gemahl doch zu nahe.

Flugs braucht der Friedrich neues Wild, die 19 Jahre junge Erna. Die will er lieben. Er haut spontan zu ihr ab in die Berge. Perrig zeigt Hofreiters "Bergrausch" als völlige Entgrenzung der Triebe aber auch der aufgestauten Destruktion. Die Gesellschaft schmeisst Stühle umher. Hofreiter schreit und brüllt wie ein Ochse. Ein nackter Mann, der von der Triebhaftigkeit sonst abstehende Herr Natter, massiert dem Doktor Bauer den Penis. Die Berggesellschaft verlustiert sich verbalerotisch an "besteigen" oder "Aigner-Turm" oder "Domino"-Spiel. Der Fünfziger Hofreiter erwacht erst ein wenig, als Erna seinen Heiratsantrag abweist.

Mit solchen Erregungsbehelfen, selbstgebastelter Spannung, geben sich die Leute das ganze Leben ab. Normalerweise konversieren sie gewandt ohne Gefühlsbezug, nennen andere lächelnd sentimental, dann schwelgen sie wieder selber in falschem Schwulst. Perrig erzeugt Parfum-Werbung-Pathos: Genia und der viel zu junge Fähnrich, so ihr erstes Abenteuer, sie brüllen sich Wange an Wange Liebesschwüre zu, der Pianist im Hintergrund donnert etwas Wildromantisches, eine Windmaschine lässt ihr rotes Kleid flattern.

Genias erste Affäre entlastet den Ehemann, der sich bisher als einziger Schuldiger fühlen musste. Aber der Fähnrich blickt ihn so jugendlich an: Sein Todesurteil. Er schiesst den Jüngling tot im Duell. "Es hat mir so beliebt", krächzt Martin Butzke mit leerem Blick, "in dem Moment ist es wahr gewesen", hält er sich an einer Rechtfertigung für eine Tat, die er weder verstehen noch rechtfertigen kann.

Das phosphorgelbe Zuschauerauditorium auf der Bühne passt als irritierende Traumkulisse. Es ist eine Spiegelung des historischen (1904 abgebrannten) Zuschauerparketts, wie es auf einem Begleitzettel in der Pressemappe heisst. Dort ist auch die Rede von "Geisterbahn" und "endloser Selbstbespiegelung", was wohl auf die Aufführung zutrifft. Hingegen heisst es da auch, man habe das Original "stark verdichtet", was als Begriff für viele Striche diskutabel bleiben muss. Verdichtung hiess hier sicherlich einen sehr abstrakten, auf Zeit anstrengenden, um nicht zu sagen mühsamen Zugriff ins Stück. Dauerndes Decodieren ist erforderlich.

Verdichtung hätte im positiven Sinne heissen können, dass wir statt der von Perrig ausgebilderten Traumata das beziehungsreiche Spiel der Persönlichkeiten hätten erleben dürfen. Perrigs Figuren sind bald bekannt, rotieren in wenigen Variationen, lassen sich über lange Strecken in den immer gleichen Tonfällen aus. Das ermüdet. Schnitzler aber lässt sein Personal innerlich Achterbahn fahren. Und dann kommt unvermittelt ein Abgrund. Sie fallen aus der Rolle, offenbaren ein Gemisch widersprüchlicher Regungen, die unerwünscht hochglucksen, und vollziehen im Alltagsdusel katastrophale Entscheide. Nicht selten erfahren wir die Wahrheit, indem wir genau das Gegenteil dessen annehmen, was sie sagen. Also wie im wirklichen Leben. Ein Reichtum der Frische, der nur stellenweise auf der Grossen Bühne aufblitzt.

17. Februar 2012
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Claude Bühler, ist Journalist und Schauspieler in Basel. Er arbeitete erst als Freier Journalist bei Printmedien sowie als Medienverantwortlicher von act entertainment. Lange Jahre war er Redaktor und Produzent bei Telebasel. Heute arbeitet er als Redaktor bei "Prime News". Als Schauspieler war er in verschiedenen Regie-Arbeiten der Basler Schauspielerin und Regisseurin Ingeborg Brun sehen, beispielsweise als Jean in "Fräulein Julie" (A. Strindberg), aber auch als Professor Siebegscheit im Märli "Froschkönig" des Theater Fauteuil oder als Lucky in "Warten auf Godot" (S. Beckett) des Theater Marat Sade. © Foto by OnlineReports.ch

Claude.Buehler@gmx.net

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"Der neue Eingang zum Birsigparkplatz wird der Ersatzneubau des Heuwaage-Hochhauses bilden."

bz
vom 26. März 2024
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Wer bildet was oder wen?

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