TheaterBasel, Kleine Bühne
Premiere
"Der zerbrochene Krug"
Autor: Heinrich von Kleist
Regie: Ronny Jakubaschk
Bühne und Kostüme: Matthias Koch
Musik: Johannes Hofmann
Dramaturgie: Martin Wigger
Mit Andrea Bettini, Hanna Eichel, Claudia Jahn, Benjamin Kempf, Lorenz Nufer, Max von Mühlen
Dorfrichter Adam im Wunderland von Oz
Das wird keine derbe Dorfposse, soviel ist schon beim Eintreten klar. Statt einer staubigen Gerichtsstube sehen wir eine Manege umgeben von bis zur Decke hochgezogenen Netzen: Darin tummeln sich aber keine Raubtiere sondern Figuren in schreiendfarbenen Kostümen und schrillfarbigen Toupets. Sie drehen sich grinsend und wie Puppen im Kreise, absolvieren etwa wie mechanisch Verbeugungen. Dazu repetieren sich Schnipsel einer Art Drehorgel-Musik, die am ehesten an Nino Rotas Komposition zu Fellinis "Casanova" erinnert. Goldene Glitterstreifen fallen vom Bühnenhimmel. Wie soll man von da bei so viel selbstvergessen-maschineller Fröhlichkeit zum peinlichen Gerichtsfall um den zerbrochenen Krug und die möglicherweise verlorene Ehre der Bauerntochter Eve kommen?
Das geht, wenn man so anfängt, nur umständlich. Nicht bloss der Dorfrichter (Bettini) wie im Original, das ganze Dorf sperrt sich gegen den hohen Gerichtsrat Walter (Nufer). Der stakst da auf riesigen Stelzen und geschminkt wie ein böser Zauberer ins Wunderland von Oz herein. Er, der Städter aus Utrecht, will nicht nur die juristische Praxis des Richter Adam prüfen, sondern auch die Kassenführung im Dorf Huisum. Die Dorfleute verziehen das Gesicht.
Wütend stampft der Gerichtsrat auf. Die Bühne zittert. Die Lautsprecher donnern wie im Film "Jurassic Parc" beim Auftritt des Tyrannosaurus Rex. Gar bedrohlich wie Nosferatu im Stummfilm von Murnau verkrümmt er seinen meterlangen Körper, breitet seine Arme aus wie ein Aasgeier seine Flügel, um das bunte Völkchen zur Ordnung und zum Gerichtstag zu rufen.
Hier auf der Bühne, zwischen den buntbestrahlten Zirkusnetzen, ist alles Action. Die Kleistschen monströsen Sprachbilder haben die Theatermacher hier "nach aussen" gestülpt und in einen grotesken Bühnenmärchen-Comic verzerrt. Alles geht schnell. Nichts hat Weile. Gerichtsdiener Licht (von Mühlen) zappelt umher in einem Pulli ohne Ärmel, übt sich zusammen mit Eve und Jüngling Rupprecht in eckiger Hampelmann-Bewegungsnervosität. Immer wieder kassiert er von Chef Adam eine Ohrfeige. Der Klatsch dazu kommt aus dem Lautsprecher. Die überspitzte Betriebsamkeit ist manchmal lustig. Sie wird jedoch die ausgefeilten Pointen, wie Dorfrichter Adam den Prozess zu sabotieren versucht, unterdrücken.
Der Gerichtsrat Walter ist bei Kleist der seriöse Herr aus der Stadt. Hier vernimmt er als hohläugiges Ekel mit grünem Haarspitz auf der Stirne gleich mal den Dorfrichter ein, woher dieser denn seine prächtig blutenden Wunden auf der Glatze habe.
Dann endlich beginnt der Prozess. Beinahe widerwillig bringt Witwe Marthe Rull (Jahn) unter diesen Umständen ihre Klage vor, wer ihren Krug gestern Nacht zerschlug. Aber zunächst mal zählt sie bis ins letzte Detail, welche Krönungen, Kriege und sonstigen Dramen auf dem Krug abgebildet waren. Das geht hier nicht, ohne die verschiedenen Bilder-Arrangements flugs mit den Bühnenfiguren nachzustellen. Passend dazu flappst ihr statt dem Wort Kesselflicker ein "Kinderficker" raus. Keine wirkliche Überraschung, mehr die Erfüllung des Regie-Konzepts. Endlich nach langem sagt sie aus: Der Rupprecht, der Verlobte ihrer Tochter Eve, der hat den kostbaren Krug zerschlagen. Sie habe die beiden in Eves Kammer ertappt.
Spätestens hier jedoch wird klar, wie sehr sich der Dorfrichter gegen jede weitergehende Ermittlung sperrt. Dem Rupprecht (Kempf) als Angeschuldigtem will er glatt das Rederecht verweigern. Denn der wird sagen: Ich habe einen anderen in der Kammer meiner Eve gesehen. Die Kammer hatten sie verschlossen. Und er, Rupprecht, habe dem Elenden mit einer Türklinke zwei Mal heftig auf den Kopf geschlagen, bevor er ins Dunkel der Nacht verschwand. Auch hier spielt Rupprecht jedes Wort gestisch nach, wird szenisch unterstützt mit einer Tonspur: "Going" ertönt die Kirchenglocke, "Miau" miaut die Katze und der Wind streicht "huuuuhhh" durch die Gasse. "Metze", ruft Rupprecht jetzt nach seiner Aussage seiner Eve zu.
Nun müsste die Eve (Eichel) endlich sagen, was los war, denn jetzt geht's um ihre Ehre. Diesen Konflikt nimmt man einer Bauerntochter ab. Hier jedoch steht eine Mischung aus Lady Gaga und Kelly Osbourne mit schrillroter Langmähne und gestreiften Strümpfen. Dorfrichter Adam droht und fleht abwechselnd, sie wisse ja, was sie zu sagen habe. Und wir wissen auch schon längst, was in etwa sie zu sagen hätte. Nämlich, dass der Richter es war, der sie in der Kammer sexuell belästigt hat. Dass er sie auch damit bedroht hat, ihr Verlobten werde in den Krieg in die Kolonie Indonesien geschickt, wenn sie ihm nicht gefügig sei: Das wurde gestrichen.
Was bei Kleist in einem lachhaften und derben Dorfskandal mit der Saalflucht des Richters gipfelt, endet hier weit versöhnlicher. Die Theatermacher dimmen die Sache als das Ende einer Posse bewusst kurz und geradezu deeskalierend herunter. Der Richter ist ja eh blossgestellt – und kann nach einer Prüfung vielleicht sogar sein Amt wieder übernehmen. Am Ende erstarren alle, als ginge es darum, das Ursprungsbild, das Kleist zum Stück inspiriert haben soll, darzustellen.
Damit hat sich's. Der Abend mit 90 mitunter unterhaltsamen Theaterminuten hängt kaum je durch. Die für heutige Theatermacher hohe Hürde der alten Sprache fällt nicht allzu sehr auf. Das Publikum (es blieben viele Plätze leer) applaudierte kräftig.
Andrea Bettini gibt seinen Dorfrichter mit tönendem Organ, wenn er Amtswürde ausstrahlen will. Seine differenzierte Darstellung hätte auch in eine Inszenierung gepasst, die den Zwischentönen und den eher tragischen menschlichen Abgründen und den Konflikten in diesem Lustspiel noch eine Chance lässt.
10. Dezember 2011
"Wundert sich jemand?"
Wundert sich jemand, warum keiner mehr ins Theater geht?
Alexandra Nogawa, Basel