Werbung

Claude Bühler – Premiere am Theater Basel

<< [ 1 | (...) | 51 | 52 | 53 | 54 | 55 | 56 | 57 | 58 | 59 | 60 | (...) | 180 ] >>

Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere

"Urfaust"

Mit einem Prolog von Ann Cotten

Autor: Johann Wolfgang von Goethe
Inszenierung: Nora Schlocker
Bühne und Kostüme: Marie Lotta Roth
Dramaturgie: Katrin Michaels
Musik: Benedikt Schiefer
Licht: Roland Edrich

Mit Liliane Amuat, Elias Eilinghof, Nicola Mastroberardino, Lisa Stiegler, Max Rothbart, Myriam Schröder, Florian von Manteuffel, Michael Wächter

Musiker: Jérôme Lepetit, Lukas Rickli, Benedikt Schiefer, Samuel Wettstein


Die Moritat vom armen Gretchen

Und sind so klug als wie zuvor, möchte man mit Fausts Worten nach den zweieinhalb Theaterstunden sagen. So antwortlos wie ein Totentanz, wo der Tod halt jeden mit sich nimmt, und so mechanisch wie ein Uhrwerk tickt sich auf der Bühne das Drama des armen Gretchens ab, die der Gelehrte Heinrich Faust verführt und die als Kindsmörderin im Kerker endet. Hat es notwendig zum Drama kommen müssen?

Regisseurin Nora Schlocker zeigt das Stück als Moritat, und die hat keine Moral. Sie schockt und schauert mit Fallhöhen, das ist ihr Zweck und Ziel: hier der Teufel Mephisto, da das gottesfürchtige, arglose Mägdlein, und dazwischen Faust, der den Pakt mit dem Teufel eingeht, ihn heranzieht, um das Gretchen zu kriegen. Einfach, weil sie ihn erregt. Jedes Angebot zu weiterer Erklärung vermindert da nur die Spannung, so vielleicht die Rechnung von Regie und Dramaturgie. Sie geht auf. Weil Goethes Witz trägt und der Spannungsbogen bis zur Katastrophe eisern hält. Ab der Mitte zieht die Geschichte zuverlässig an.

Der Raum scheint wie aus einem bösen Traum, hergerichtet wie für die ewige Strafe: ein alter Saal, hermetisch abgeschlossen, ohne Fenster oder Türen, schmucklos, muffig, hoch oben ein Spiegel, der die Insassen zu observieren scheint. An der Wand hängt einzig Holbeins toter Christus von 1521 mit seiner Frage: War das Gott oder ist das nur ein toter Mensch? Aus dem Bildrahmen nestelt Faust ein Giftfläschchen. Mephisto wird ihn wieder zum Leben erwecken. Diese Regie-Erfindung verwurzelt das Drama in altem Vorbestimmungs- und Magieglauben.

Denn an den Ursprung wollten Regisseurin Nora Schlocker und Dramaturgin Katrin Michaels anschliessen: das späte Mittelalter mit seiner Dunkelheit. Immer wieder Schwarzabblenden, immer wieder Dämmerlicht oder Kerzenschein. Zum Drama dröhnen wüstdunkle oder versunken-psychedelische Harmoniumsklänge. Dreht sich die Bühne, so klingt der mechanistische Kirmes-Dreiviertel an: auf Jahrmarktsbuden, so wird angenommen, hat Goethe in jungen Jahren Marlowes düster-komödiantisches Faustdrama von 1589 gesehen, über den Höllensturz des sagenumwobenen, deutschen Schwarzkünstlers (1480-1538). Sie könnte ihn zu seinem "Urfaust" von 1775 inspiriert haben, der weit volkstümlicher, obszöner und derber als die geschliffene Endversion von 1808 verfasst ist.

Nicola Mastroberardinos Mephisto tänzelt und räkelt sich wie der Tod im Totentanz, anfangs ein verdorben-geiler, aber hübscher Jüngling, gegen Ende mit einer Clown-Fratze geschminkt wie der Batman-Antipode "Joker". Ein toller Teufel, wenn auch mit viel Zungeneinsatz und dick aufgetragener Geisterbahn-Monströsität. Ideal besetzt ist die ordinär-lustfreundliche Kupplerin Marthe Schwertlein mit Myriam Schröder, die sich nicht mit intellektuellen Absetzungen aufhält.

Lisa Stiegler spielt das Gretchen wie eine etwas verschrobene Dorfmagd mit beschränktem Intellekt. Sie rührt nur an beim Monolog "Ach neige, Du Schmerzensreiche", in dem sie nach der Verführung der Muttergottes ihre Not vorlegt. (Weshalb sie den an einen mit Blumenerde gefüllten Kessel richten muss, bleibt das Geheimnis der Regie.) Zwar bleibt die Verkörperung zu mental-spröde, um den keuschen Hochmut Gretchens herauszustellen, der mit zur Krise beiträgt. Aber der burschikose Charme einer ehrlichen Haut weckt immerhin soviel Anteilnahme, dass man sich fragt, warum der Abend eigentlich nicht "Gretchen" heisst.

Denn Max Rothbarts Faust ist blass, kraftlos und austauschbar. Die innere Zerrissenheit im Eingangsmonolog "Habe nun ach": eine Behauptung. Da eine spastische Zuckung, dort ein Herausbrüller, damit es nicht zu langweilig wird. Da ist nichts, was der Moment gebiert, und die Figur und ihr Seelenleben aufweist, sondern nur Text, getreulich aufgesagt. Ein Mann ohne Eigenschaften, aber auch ohne Sogwirkung, ein Stellvertreter für eine Problemstellung, die aber doch bei Faust zu individuell angelegt ist. Von der Polarität zwischen dem Schwermütigen (Faust) und der Empfindsam-Naiven (Gretchen) kann keine Rede sein. An dieser Figurenanlage liegt es, dass man das Stück mehr verfolgt als dass man das Drama dabei erlebt.

Aber vielleicht ist das ja gewollt. Die Dramaturgie hat dem Stück einen Prolog der Autorin Ann Cotten vorangestellt. Das Gretchen – im Morgenmantel – spricht als 35-Jährige davon, dass Millionen Gretchens dieser Welt Goethes Verse gelesen und sich "gepanzert" hätten. Und dass die Heinrichs nur mehr "kläglich sind", sobald sich auch die Frauen ungehemmt zur Tat bewegten. Denn – trotz allen Bezügen zum Mittelalter – das Stück zeigt die heutige Welt mit verschlossenem Himmel, in dem wir uns nur mehr selber bespiegeln. Und einem von des Gedankens Blässe angekränkeltem Hamlet-Faust, der sich nur scheinbar frei zur Tat bewegt.

21. Oktober 2016
 Ihre Meinung zu dieser Kolumne
(Mails ohne kompletten Absender werden nicht bearbeitet)
Claude Bühler, ist Journalist und Schauspieler in Basel. Er arbeitete erst als Freier Journalist bei Printmedien sowie als Medienverantwortlicher von act entertainment. Lange Jahre war er Redaktor und Produzent bei Telebasel. Heute arbeitet er als Redaktor bei "Prime News". Als Schauspieler war er in verschiedenen Regie-Arbeiten der Basler Schauspielerin und Regisseurin Ingeborg Brun sehen, beispielsweise als Jean in "Fräulein Julie" (A. Strindberg), aber auch als Professor Siebegscheit im Märli "Froschkönig" des Theater Fauteuil oder als Lucky in "Warten auf Godot" (S. Beckett) des Theater Marat Sade. © Foto by OnlineReports.ch

Claude.Buehler@gmx.net

(Die Kolumnisten sind in ihrer Meinung frei;
sie braucht sich nicht mit jener der Redaktion zu decken.)

www.onlinereports.ch
© Das Copyright sämtlicher auf dem Portal www.onlinereports.ch enthaltenen multimedialer Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) liegt bei der OnlineReports GmbH sowie bei den Autorinnen und Autoren. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Veröffentlichungen jeder Art nur gegen Honorar und mit schriftlichem Einverständnis der Redaktion von OnlineReports.ch.

Die Redaktion bedingt hiermit jegliche Verantwortung und Haftung für Werbe-Banner oder andere Beiträge von Dritten oder einzelnen Autoren ab, die eigenen Beiträge, wenn auch mit Zustimmung der Redaktion, auf der Plattform von OnlineReports publizieren. OnlineReports bemüht sich nach bestem Wissen und Gewissen darum, Urheber- und andere Rechte von Dritten durch ihre Publikationen nicht zu verletzen. Wer dennoch eine Verletzung derartiger Rechte auf OnlineReports feststellt, wird gebeten, die Redaktion umgehend zu informieren, damit die beanstandeten Inhalte unverzüglich entfernt werden können.

 

https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif
"Das Gebiet Rütschete ist tatsächlich ein bekannter Rutsch- oder Kriechhang."

Stellungnahme in der Volksstimme
vom 26. September 2023
https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif

Überraschung!

RückSpiegel


In einem Artikel über die polarisierende Jungpolitikerin Sarah Regez (SVP BL) bezieht sich die Basler Zeitung auf OnlineReports.

persoenlich.com vermeldet mit Verweis auf OnlineReports den Wechsel der Basler Journalistin Andrea Fopp von Bajour zur NZZ.

Happy Radio greift den Bericht von OnlineReports über die Deponie Höli Liestal AG auf.

Die Volksstimme bezieht sich in einem Porträt über den freiwilligen Verkehrsregler in Rickenbach, Robert Bussinger, auf einen früheren Artikel von OnlineReports.

Die bz greift den Bericht von OnlineReports über den Eklat am Baselbieter Kantonsgericht mit dem sofortigem Rücktritt eines Vizepräsidenten auf.

Die bz zitiert in ihrem Nachruf auf Hans Rudolf Gysin aus dem OnlineReports-Porträt "Die Hans Rudolf Gysin-Story: Auf der Spur eines Phänomens".

Zahlreiche Medien haben die Nachricht über den Tod von Hans Rudolf Gysin aufgenommen: Basler Zeitung, bz und weitere Titel von CH Media, Prime News, Volksstimme, Bajour, Baseljetzt, SRF-Regionaljournal Basel, Happy Radio, nau.ch.

Weitere RückSpiegel

Werbung






In einem Satz


Der mit 50'000 Franken dotierte Walder-Preis geht dieses Jahr an Konrad Knüsel, den Präsidenten des Vernetzungsprojekts Rodersdorf und des Naturschutzvereins Therwil.

Götz Arlt tritt am 1. Januar 2024 die Nachfolge von Christian Griss an und übernimmt die Stufenleitung der Sekundarschulen I im Bereich Volksschulen des Erziehungsdepartements Basel-Stadt.

Michael Gengenbacher tritt am 1. Februar 2024 seine neue Stelle als Chief Medical Officer (CMO) und Mitglied der Spitalleitung beim Bethesda Spital an.

Markus Zuber übernimmt am 1. Oktober die Leitung der St. Clara Forschung AG (St. Claraspital).

Das Präsidium der Juso Baselland besteht neu aus Clara Bonk, Angel Yakoub (Vize) und Toja Brenner (Vize).

Am 1. Juni 2024 übernimmt Veronika Röthlisberger die Leitung der Gebäudeversicherung Basel-Stadt von Peter Blumer, der danach pensioniert wird.

Hanspeter Wäspi (57, Rheinfelden) ist neuer Geschäftsleiter von Procap Nordwestschweiz.

Die Leitung der Abteilung Finanzen und Controlling im Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt obliegt ab 1. Dezember Thomas Schneider, der die Nachfolge des Bald-Pensionierten Daniel Hardmeier antritt.

Stefan Binkert wird neuer Rektor des Wirtschaftsgymnasiums und der Wirtschaftsmittelschule Basel; er folgt in dieser Funktion auf Patrick Langloh, der ab 1. Januar 2024 die Leitung des Bereichs Mittelschulen und Berufsbildung im Erziehungsdepartement übernimmt.